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Studieren am östlichsten Punkt der EU


Auf meiner langen Estland-Reiseliste stand ein Ort ganz weit oben: Narva, die drittgrößte Stadt des Landes. Narva liegt im äußersten Osten des Baltikums – und stellt damit auch den östlichsten Punkt der EU dar. In Estland selber hat Narva einen eher schlechten Ruf: kriminell, unattraktiv, zu nah an Russland, so die gängigen Attribute, die mit Narva verbunden werden. Dennoch wollte ich die Stadt unbedingt besuchen. Wie mein deutsches Uni-Städtchen Frankfurt (Oder) liegt Narva direkt an einer Staatsgrenze und wird nur durch einen Fluss vom östlichen Nachbarland getrennt. Genauso wie Frankfurt zählt Narva etwas mehr als 60.000 Einwohner und genauso wie Frankfurt ist auch Narva Hochschulstandort. Und doch könnten die beiden Städte nicht unterschiedlicher sein.

Russisch in Narva

Es ist ein ungewöhnlich grauer und regnerischer Sommertag, als wir am Bahnhof in Narva ankommen. Entsprechend trist präsentierte sich uns das Städtchen. Am Bahnhofsgebäude bröckelt der Putz, der Straßenrand ist gesäumt von verlassenen Plattenbauten, in dessen Vorgärten das Unkraut sprießt. Narva war einst eine sehenswerte, im Barockstil erbaute Kleinstadt. 1944 wurde sie von der Roten Armee fast komplett zerstört und Jahre später als sowjetischer Industriestandort neu aufgebaut. Dieses Erbe spiegelt sich noch heute im Stadtbild wider. Auf den Straßen hören wir ausschließlich Russisch: 96% der Einwohner von Narva sind russischsprachig. Lediglich die konsequent auf Estnisch (und Englisch, für die Touristen) formulierten Straßenschilder zeugen davon, dass wir noch in Estland sind – wo einzig und allein Estnisch offizielle Landessprache ist.

Zur Grenze bitte hier entlang: Schild mit Aufschrift "Piiripunkt"Zur Grenze bitte hier entlang

Europa in Narva

Am Ufer des Narva-Flusses zeigt sich die Stadt von einer neuen Seite. Hier hat sich Narva erstaunlich herausgeputzt. Die Uferpromenade ist neu gepflastert, ein künstlicher Sandstrand lädt zum Baden ein. In der Parkanlage schnippeln Gärtner die frisch ergrünten Bäume akkurat zurecht. Zufällig findet gerade ein Stadtfest statt: Live-Musik spielt, es riecht nach frisch Gegrilltem. Die Musik, das Kinderlachen und der Grillgeruch ziehen bis ans andere Ufer des Flusses. Und doch können die Menschen auf der gegenüberliegenden Seite nicht einfach zu den Festlichkeiten hinzustoßen. Zwischen Narva und Ivangorod, der Stadt auf der anderen Flussseite, verläuft nämlich eine harte Grenze. Es ist die Grenze zwischen Estland und Russland und damit auch EU-Außengrenze. Eine Installation aus 28 Lichtpfählen säumt bei unsrem Besuch die Uferpromenade von Narva – sie sollen symbolisch für die die Mitglieder der EU stehen. Nach dem Brexit wird nun wohl ein Licht weniger am Fluss Narva leuchten.

Die EU-Flagge am FlussDie EU-Flagge findet sich an vielen Plätzen in Narva

Von Brücken und Grenzgängern

Ich muss an Frankfurt (Oder) denken. Die deutsche Grenzstadt ist über eine Brücke mit ihrer polnischen Nachbarstadt Słubice verbunden. Täglich wird diese Brücke von tausenden Schülern, Spaziergängern und nicht zuletzt Studierenden der Europa-Universität Viadrina überquert. Auch zwischen Narva und Ivangorod gibt es eine Brücke über den Grenzfluss. Auf beiden Seiten findet hier aber eine strikte Passkontrolle statt. Ohne Visum kommt niemand auf die andere Seite des Narva-Flusses. Auch nicht die Studierenden vom Narva College, einer Zweigstelle der traditionsträchtigen Universität Tartu.

So bleibt auch uns der Besuch der anderen Flussseite verwehrt. Stattdessen besichtigen wir die mittelalterliche Hermannsburg am estnischen Flussufer. Stolz weht die estnische Flagge auf dem nördlichen Wachturm. Gegenüber, fast schon in Greifweite, erspähen wir die russische Flagge auf der Ivangorod-Festung. Im Mittelalter wurden zwischen den beiden Festungsanlagen viele Fehden ausgetragen.

BrückeDie Grenzbrücke zwischen Narva und Ivangorod

Heute plätschert der Narva-Fluss friedlich vor sich hin. Enten schwimmen unbeirrt von einem Ufer zum anderen. Nur die Menschen teilen sich weiterhin strikt nach rechts und links, Osten und Westen ein. Bauen Brücken, um sie zu Grenzfestungen zu machen. Narva ist ein Ort, der nachdenklich stimmt. Ein Ort, der anregt zum Sinnieren über Sinn und Unsinn von Grenzen, Bündnissen und Spaltungen, politischen Brücken und Festungen.

Ein estnischer Angler vor der Kulisse der Ivangorod-FestungEin estnischer Angler vor der Kulisse der Ivangorod-Festung

Gebäude des Narva CollegeDas Narva College

Kommentare
  1. Mario

    21. Juli 2023

    Netter Bericht. Aber der östlichste Punkt der EU ist NICHT in Estland…

  2. Hesse

    18. September 2018

    Wie lang stehe ich mit auto auf der grenzabfertigung ??? Danke

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