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Horrorwohnheim Le Rabot


Während meines ersten Monats lebte ich im Wohnheim Le Rabot. Ein Studentenwohnheim, das vom französischen Studierendenwerk CROUS zur Verfügung gestellt wird. Auf der Webseite wird es als traditionelles und gar typisches Studentenwohnheim beschrieben. Traditionell und typisch – genau das, was ich während eines Auslandssemesters will. Oder?

Ich erhielt folgende Informationen: Das Wohnheim befindet sich auf dem Bergmassiv Chartreuse. Die Miete beträgt 172€ pro Monat. Dafür werde ich in einem 9 m² Zimmer leben und mir WC und Dusche mit anderen Bewohnern teilen müssen. Die Ausstattung beinhaltet: ein Bett, ein Waschbecken, einen Stuhl, einen Schreibtisch, ein Regal, einen Schrank, eine Decke und ein Bettlaken. Ich habe nie zuvor in einem Studentenwohnheim gelebt und war gespannt auf diese Erfahrung. Über das Zimmer machte ich mir keine großen Gedanken, denn die Bilder im Internet sahen nicht schlecht aus. „Es ist ein Studentenwohnheim. …“, sagte ich mir, und dachte dabei an die Studentenwohnheime in Deutschland. „ … Es wird bestimmt eine coole Erfahrung.“.

Bei Studentenwohnheimen dachte ich an coole Leute, Wohnheimpartys, schicke Aufenthaltsräume, gemeinsames Kochen und pragmatisch eingerichtete, doch zugleich gemütliche Zimmer. Natürlich vergaß ich nicht, dass ich keine eigene Toilette und Dusche haben werde, doch solche Umstände waren mir durch Hostelbesuche im Ausland nicht fremd. Ich kannte nichts, was Desinfektionstücher und –mittel nicht regeln konnten. Die Rezensionen im Internet waren oft durchweg positiv. Viele Berichte schwärmten von der Aussicht, die man vom Wohnheim aus hat. Außerdem erfuhr ich, dass es sich beim Wohnheim um eine alte Kaserne handelt, die zum Studentenwohnheim umfunktioniert wurde.

Ein Tier im Käfig

Bereits der Weg bergauf war alles andere als leicht. Ich benötigte bei meinem ersten Aufstieg eine halbe Stunde. Oben an der Rezeption angekommen, tropfte mir der Schweiß von der Stirn. Die nächste Hürde war die Schlüsselübergabe, die generell erst stattfindet, nachdem man den ganzen Papierkram bearbeitet hat. Ich benötigte insgesamt 33 gedruckte Seiten und Kopien, doch da ich gut vorbereitet war, ging dies zügig über die Bühne.

Im eigentlichen Gebäude angekommen, roch es sehr modrig, was meiner empfindlichen Nase gar nicht gefiel. Die Gänge waren lang und düster. Einige Neonleuchten funktionierten nicht, andere flackerten ein wenig vor sich hin. Einige Wände waren mit Graffiti-Schmierereien überzogen und das Treppenhaus war kahl und trostlos. In meinem Zimmer angekommen packte mich der Schock. Ich weiß nicht, ob es meine viel zu hohen Erwartungen waren, oder meine Fehleinschätzung von 9 m², doch da stand ich nun und spürte, wie mir die Luft zum Atmen fehlte. Ich fühlte mich eingesperrt, wie ein Tier im Käfig.

Das Bett war ungewöhnlich klein, nur 70 cm breit und 180 cm lang. Ich wusste nicht, dass dies möglich sein kann, doch ich passte mit meinen 176 cm Größe und einem Kissen nicht in voller Länge ins Bett. Apropos Kissen – es gab keins. Die mir zur Verfügung gestellte Wolldecke fühlte sich wie Maschendrahtzaun an und die Bettlaken waren dreckig. Es gab kein WLAN, nur eine LAN-Buchse, die mir nicht viel brachte, denn ich besaß weder ein LAN-Kabel, noch hat mein Laptop einen LAN-Anschluss. In meinem Zimmer roch es nach Moder und ich war wirklich den Tränen nahe.

Ich ging in die Küche, beziehungsweise, dem weiß gefliesten Raum mit zwei Herdplatten. Es gab weder Kochutensilien, noch Geschirr und ich hatte nichts aus Deutschland mitgebracht. Nun ging es zum letzten Teil meiner Besichtigung. Die Tür zu den Toiletten stand offen. Alles Studierenden auf diesem Flur schienen sich zwei Klokabinen zu teilen. Ich öffnete die Tür und sah etwas Unglaubliches.

„Traditionell und typisch“ wohnen

Einen Monat lang lebte ich in Le Rabot. Noch am Tag meines Einzugs fuhr ich zum Einkaufszentrum, um mir zwei Kissen, einen Topf, Geschirr, einen tiefen Teller und etwas gegen den modrigen Geruch zu kaufen. Die Einkäufe musste ich wie alle folgenden Einkäufe, mühsam hoch schleppen. Nur zu den Stoßzeiten fuhren kleine Busse den Berg hinauf. Im 15 Minuten Takt von 07:10 Uhr bis 08:25 Uhr und von 11:50 Uhr bis 13:15 Uhr. Im 30 Minuten Takt von 16:15 Uhr bis 20:15 Uhr. Samstags und sonntags fuhr gar kein Bus oder nur mit vorheriger Reservierung im Büro der öffentlichen Verkehrsmittel.

Die wenigen Dinge, die ich aus meiner Heimat mitgebracht habe, machten mein Zimmer nur wenig wohnlicher. Ich habe mich an diesem Ort einfach sehr unwohl gefühlt. Die Sonne schien permanent in mein Zimmer und ich konnte putzen, so oft ich wollte, mein Zimmer war durchgehend staubig und dreckig. Die Heizung ließ sich nicht regulieren und lief Tag und Nacht auf maximaler Hitze. Das sorgte dafür, dass es zum Schlafen viel zu heiß wurde und ich das Fenster öffnen musste. Im Januar war die Bergluft bitterkalt, was meine Gesamtsituation nur erschwerte. Die Aussicht ist ebenfalls für die Katz, wenn Bäume die Sicht versperren.

Man sieht, wie Bäume de Blick auf die Aussicht versperren
Die schönste Aussicht bringt einem nichts, wenn man nichts sieht.

Es gab kein W-LAN, also musste ich in der Uni alle aufwendigeren Dinge erledigen und genügend Serien, zum offline schauen, herunterladen, da sonst mein Datenvolumen schnell aufgebraucht wäre. Meine morgendliche Routine musste am meisten unter den Gegebenheiten leiden. Kalt duschen stand auf der Tagesordnung, da die Duschen entweder nicht funktionierten, nicht regulierbar waren oder es kein warmes Wasser gab. Die Hocktoiletten mitten in Frankreich schockierten mich jeden Tag aufs Neue. In der Beschreibung des Wohnheims war davon nie die Rede gewesen. Wie hätte ich ahnen sollen, dass es so etwas in Frankreich geben wird? Ich wusste gar nicht, wie ich diese Toilette benutzen soll. Die gesamte Situation setzte mir sehr zu und niemals zuvor hatte ich solche Sehnsucht nach warmem Wasser, einem Toilettensitz und einem Zuhause.

Nicht alles blieb unerfüllt

Die Menschen, die im Wohnheim wohnen waren sehr freundlich. Auch wenn einige es mit den nächtlichen Gesprächen in den Fluren übertrieben haben, kann ich mich ansonsten nicht beschweren. Es trieb sich zu jeder Zeit jemand zum Reden in der Küche oder im Flur herum. Die miserable Wohnungssituation schaffte es jedes Mal einen Bund, zwischen Leidensgenossen, zu schließen. Es gibt sogar einen Aufenthaltsraum, der mittwochs und freitags ab 21:00 Uhr geöffnet ist. Einmal im Monat veranstaltet das Wohnheim sogar eine Party, die mal mehr und mal weniger gut ist. Die Musik ist meistens ein bunter Mix aus 2000er und aktuellen Partyhits und der Aufenthaltsraum ist immer mit viel Liebe zum Detail dekoriert. Für Stimmung wird auf den Partys gesorgt und jeder findet eine gute Beschäftigung. Sei es mit Freunden zu tanzen oder auf dem Balkon zu quatschen.

„Ich will hier raus!“

Mit diesem Gedanken wachte ich jeden Morgen auf und ging jeden Abend zu Bett. In Le Rabot lernte ich, mit warmem Wasser zu duschen, zu schätzen. Ich fing an, Toiletten zu vermissen, und kämpfte tagtäglich gegen mein Heimweh an. Das sind Lehren, mit denen ich niemals während eines Erasmus-Semesters in Frankreich gerechnet habe.  Wie es weiter geht und wie es mir gelang umzuziehen, erfahrt ihr in meinem nächsten Beitrag.

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