10. Mai 2020
Als ich die Zusage bekam, dass ich 2020 in Frankreich studieren darf, war ich ein Single, der Lust hatte aus dem Alltag auszubrechen. Im Laufe der Vorbereitungszeit geriet ich in eine Beziehung und es kam mir der Gedanke, dass ein Auslandssemester schwerwiegende Folgen für meine laufende Beziehung haben könnte. Noch konnte ich, meinem Partner zuliebe, das Semester im Ausland nicht antreten. Doch ist dies wirklich eine ernst zu nehmende Lösung?
Ich sprach mit einigen Freunden und Bekannten, die ebenfalls vor einer Fernbeziehung während einer Auslandserfahrung standen oder sich bereits damit befassen mussten. Ich merkte schnell, dass mir niemand so wirklich weiterhelfen konnte, denn für meine Beziehung gab es keine perfekte Lösung. Es war ein individuelles Problem, mit dem ich mich alleine mit meinem Partner auseinandersetzen musste. Und gemeinsam mussten wir in ständigen Austausch über das Thema Auslandsaufenthalt und Fernbeziehung treten.
Gut Ding will Weile haben
Von Anfang an war uns beiden bewusst, dass es mich ins Ausland verschlagen würde. Bedingungslose Offenheit und Ehrlichkeit halfen uns dabei, über das Thema Auslandsaufenthalt zu sprechen. Ich wollte auf einen Studienaufenthalt im Ausland nicht verzichten. Es war mir wichtig, dass ich solche Entscheidungen für mich treffe, denn würde ich eine solche Chance nicht wahrnehmen und die Beziehung würde aus irgendwelchen Gründen im Nachhinein scheitern, dann würde ich es bereuen. Auch wenn ich mein gesamtes Leben nichts von Fernbeziehungen gehalten habe, wollte ich nicht von vorne herein ausschließen, dass es doch funktionieren könnte. Also ließ ich mich auf das Experiment ein.
Mein Freund war von der Idee, dass ich ins Ausland gehen würde, nicht begeistert. Er stellte jedoch von Anfang an klar, dass er mich dahingehend unterstützte und er ebenfalls mit mir zusammen bleiben wollte. Er stand also voll und ganz hinter mir und verstand meine Entscheidung. Auch er hatte Bedenken gegenüber Fernbeziehungen, doch er war ebenfalls dazu bereit, dieses Experiment zu wagen.
Das Experiment
Die Zeit der Vorbereitung verging wie im Fluge und plötzlich befand ich mich in Frankreich. Weit weg von meiner Familie, meinen Freunden und meinem Freund. Das Experiment begann. Wir hörten von anderen Beziehungen, dass sie Regeln aufstellten, wie sie sich während der Fernbeziehung zu verhalten hatten. Zu diesen Regeln zählte oft, dass sie jeden Abend zu einem festen Termin Videochatten mussten, Treffen mit anderen Frauen oder Männern verboten waren und Alkohol trinken und auf Partys gehen, tabu war.
Von solchen Regeln und Abmachungen hielten wir nichts. Wir wollten, dass unsere Fernbeziehung auf Vertrauen und Ehrlichkeit gründet. Wir verstanden, dass Eifersucht in Fernbeziehungen ein Problem darstellte. Selbstverständlich war auch bei uns eine gewisse Angst vor einem Seitensprung des anderen Partners da. Wir wollten dieser Angst jedoch durch Kommunikation entgegenwirken. Wir waren uns einig, dass wir beide den anderen nicht betrügen wollten und bereit waren, aufeinander zu warten. Außerdem waren wir uns einig, dass ein Seitensprung nicht direkt mit einem Auslandsaufenthalt zusammenhängt.
Wenn man betrügen will, betrügt man. Egal wann und wo.
Wir wollten beide nicht eifersüchtig sein, da wir es auch sonst nicht sind. Unsere Beziehung fundierte bis zu meiner Abreise auf Vertrauen und Ehrlichkeit. Wieso sollte sich das im Ausland ändern? Wir stellten fest, dass die Mehrheit der Fernbeziehungen in unserem Umfeld während eines Auslandsaufenthalts durch die Angst vor einem Betrug scheitern. Diese Angst führt zu Eifersucht und diese dann zum Streit und unangenehmen Situationen. Da manchmal die Gefühle oder Ängste nicht offen und ehrlich angesprochen werden, können solche Situationen nicht geklärt werden und das Vertrauen dem Partner gegenüber leidet darunter.
Über Ängste und auch negative Gefühle zu sprechen kann in solchen potenziellen Streitsituationen helfen. Dass ein Seitensprung jederzeit passieren könnte und nicht unmittelbar durch eine große Entfernung herbei beschworen wird, muss man manchmal akzeptieren. Wie so oft im Leben, muss man Dingen einfach eine Chance geben, Menschen vertrauen und daran glauben, dass alles gut wird. Dies gepaart mit regelmäßiger Kommunikation durch Videochats, Telefonaten oder simplen Nachrichten, ohne dabei zu übertreiben und auch während eines Auslandsaufenthaltes dem Partner Freiraum einzuräumen, kann für eine gut funktionierende Fernbeziehung sorgen.
Das war eine gute Methode, den Kontakt nach Deutschland zu pflegen, der ab und an eintretenden Einsamkeit entgegenzuwirken, und meine Liebsten auf den neuesten Stand zu bringen. Aus der anfänglich spontanen Idee wurde ein Ritual und mein Partner las jeden Morgen beim Frühstück, was bei mir, 955 km entfernt, geschah.
Das Thema Fernbeziehung während eines Auslandsaufenthaltes ist ein sehr individuelles und komplexes Thema. Jede Beziehung ist anders, genauso wie jeder Mensch unterschiedliche Ansichten hat. Ich möchte mit diesem Beitrag einigen Paaren Hoffnung geben, die eventuell fürchten, die Zeit im Ausland nicht zu packen. Ich bin keinesfalls ein Beziehungsratgeber. Nur ein Mann, der liebt und ins Ausland ging.