29. Juli 2020
Was war nun mit der Mission, meine Mission zu finden? Zu Beginn meines Erasmus+ Semesters an der Universität Wien, habe ich es mir zur Mission gemacht, meine Mission zu finden. Sei es beruflich oder persönlich. Ob mir das gelungen ist?
Dieses Sommersemester habe ich an der Uni Wien verbracht. Auch wenn dieses Semester mein sechstes (und damit laut Regelstudienzeit letztes) Bachelorsemester in meinem Psychologiestudium war, hatte ich vor einem halben Jahr noch wenig Ahnung, in welche Richtung es später mal beruflich gehen soll. Das sollte sich in Wien ändern – so lautete zumindest meine Mission.
Denn was eignet sich besser, um den Berufswunsch zu definieren als ein Semester an einer neuen Uni, in einer neuen Stadt, in einem neuen Land?
Servus Wien! Servus Zukunftsplanung!
Es hieß also nicht nur „Servus Wien!“, sondern auch „Servus Zukunftsplanung!“. Für viele Studierende ein unangenehmes Thema, das wir gerne aufschieben bis es sich eben nicht mehr aufschieben lässt. Ich bin eigentlich kein Mensch, der Dinge gerne aufschiebt. Im Gegenteil, wenn es sich vermeiden lässt, gebe ich Hausarbeiten nicht erst am Tag der Deadline ab und habe Präsentationen schon zwei Wochen vor dem Präsentationstermin fertig. Ich bin einfach gerne gut vorbereitet.
Die Qual der Wahl
Gleichzeitig bin ich aber unglaublich schlecht darin, Entscheidungen zu treffen. Besonders wenn es so viele spannende Perspektiven gibt wie nach einem Psychologiestudium. Schließlich kann man überall Psychologie dranhängen: Sportpsychologie, Gesundheitspsychologie, Kriminalpsychologie, Arbeitspsychologie, Wirtschaftspsychologie, Werbepsychologie … Man könnte diese Liste ewig weiterführen und irgendwie klingt alles ziemlich cool.
„Von der Regelstudienzeit können Sie sich direkt verabschieden“
In meinem sechsten und laut Regelstudienzeit letzten Bachelorsemester wurde es nun Zeit, mich der Wahl zu stellen. Nicht etwa, weil ich so viel von Regelstudienzeit halte. Unsere Persönlichkeitspsychologie-Professorin eröffnete uns gleich zu Beginn des Studiums ganz unverblümt ihre Meinung: „Von der Regelstudienzeit können Sie sich direkt verabschieden“, was sich für viele Studierende bewahrheiten sollte. Ich will damit nicht sagen, dass man in sechs Semestern keinen Bachelorabschluss in Psychologie erreichen kann. Viele meiner Kommilitonen haben genau das geschafft. Und wäre ich nicht für zwei Semester ins Ausland gegangen, wäre es höchstwahrscheinlich auch mir gelungen. Dafür wären mir aber so viele neue Eindrücke und Erlebnisse entgangen, dass ich diese Zeit nicht missen und lieber ein weiteres Semester dranhängen möchte.
Meine Kurse an der Uni Wien
Okay aber warum wollte ich mich dann in Wien schon intensiver mit meiner späteren Berufswahl auseinandersetzen, wenn ich doch noch Zeit habe und schließlich auch noch ein Master ansteht? Einerseits bin ich gerne gut vorbereitet. Dazu kommt aber die Tatsache, dass ich noch ein Pflichtpraktikum zu absolvieren habe. Sinn und Zweck eines solchen Praktikums ist es, einen bestimmten Beruf nicht nur auf theoretischer Ebene (sprich im Studium), sondern auch in der angewandten Praxis kennenzulernen. Aber wie sollte ich mich für ein Praktikum in einem vielversprechenden Berufszweig entscheiden, wenn ich noch keinen klaren Berufswunsch vor Augen habe? Genau: gar nicht.
Deshalb habe ich mich für die Uni Wien entschieden. Denn sie bietet Themenbereiche, die ich in meinem bisherigen Studienverlauf noch nicht kennenlernen konnte und die mir und meinem weiteren Werdegang neue Inspirationen geben sollten. So habe ich in Wien Kurse belegt, die nicht in meinem Studium in an der HU Berlin vorgeschrieben sind, mich aber wirklich interessieren und Themen behandeln, die ich hinsichtlich meiner späteren Berufswahl spannend finde wie z. B. Unternehmensberatung und Achtsamkeitsforschung.
So habe ich neben einem Bachelorseminar zur Entwicklungspsychologie und einem zur Bewusstseinsforschung auch zwei Masterseminare an der Uni Wien belegt, die ich besonders spannend fand und die mich für meine Praktikums- und vielleicht ja auch Berufswahl inspiriert haben. Im Rahmen des Erasmus+ Programms können Psychologiestudent*innen im Bachelor auch Masterveranstaltungen an der Uni Wien belegen. Ziemlich cool, wie ich finde.
Seminar zur Auswirkung der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt und das Individuum
Mein erstes Masterseminar mit der hochtrabenden Bezeichnung „Die Auswirkung der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt und das Individuum – Die Rolle der angewandten Psychologie in einer Arbeitswelt im Wandel“ beschäftigte sich wie der Name schon sagt mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt. In Zeiten von Corona und dem damit einhergehenden Home-Office und E-Learning natürlich ein hochaktuelles Thema. So konnten wir die Theorie fantastisch mit der Praxis verbinden. Und mussten feststellen:
Home-Office heißt nicht gleich (erfolgreiche) Digitalisierung!
Viele von uns sind momentan zum E-Learning gezwungen, teilweise technisch aber (noch) gar nicht dazu in der Lage. Es kann allein schon an der Internetverbindung oder fehlenden Endgeräten scheitern. Anfangs war der Austausch mit den Lehrveranstaltungsleiter*innen und Kolleg*innen in meinen Seminaren noch etwas holprig. Oft gab es Schwierigkeiten mit den Videokonferenz-Tools oder Information-Overloads via E-Mail. Wir mussten einfach erstmal ein für unsere Zwecke geeignetes Kommunikationsmedium finden, was letztendlich Zoom war. Als wir unsere Routine aber gefunden hatten, sind wir im Flow angekommen. Die Zoom-Sessions haben wunderbar funktioniert und vor allem die Möglichkeit von Break-Out-Sessions, in denen man in Kleingruppen arbeiten und diskutieren kann, fand ich super, um interaktiv zu arbeiten.
Was Corona uns lehrt(e)
Mir wäre der persönliche Austausch im Seminarraum lieber gewesen, aber ich finde, wir haben das Beste aus der Situation gemacht und – einmal im Flow angekommen – effizient und produktiv arbeiten können. Trotzdem lehrt(e) Corona uns, dass in Richtung Digitalisierung noch einiges getan werden muss. Denn erst wenn die technischen Rahmenbedingungen für eine reibungslose Arbeit und Kommunikation gegeben sind und wir uns voll auf unsere Aufgaben fokussieren können, statt uns ununterbrochen mit der Technik rumschlagen zu müssen, können wir eine gute Life Domain Balance erreichen.
Life Domain Balance
Life Domain Balance bedeutet so ziemlich das gleiche wie Work Life Balance. Nur dass man heute eben eher von Life Domain Balance statt Work Life Balance spricht, da Arbeit eben auch zum Leben gehört und deshalb nicht als Gegenpol zu betrachten ist. Vielmehr sind Arbeit bzw. Studium sowie Familie, Freunde, Partner, Freizeit usw. eigenständige Life Domains (Lebensbereiche), die in ein subjektives Gleichgewicht gebracht werden müssen. Dieses Gleichgewicht kann für verschiedene Personen ganz unterschiedlich aussehen. Wichtig ist dabei die individuelle Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit, die Abwesenheit von Interrollenkonflikten (z. B. zwischen den Verpflichtungen an der Arbeit und zuhause), aber auch die gegenseitige Bereicherung der Life Domains.
Dabei spielt auch die Digitalisierung eine wesentliche Rolle: Wir sprechen von Work-Life-Fusion, wenn Arbeit und Privatleben mithilfe neuer Technologien fusionieren (z. B. durch Home-Office) und von Entgrenzung, wenn die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen und das Privatleben zunehmend durch den Beruf bestimmt wird (z. B. durch E-Mails nach Feierabend am privaten Mobiltelefon). So habe ich gelernt, dass man E-Mail-Programme auch mal schließen kann und sollte. Auf diese Idee muss man erstmal kommen.
Seminar zur Achtsamkeitsforschung
Was damit ebenfalls zu einer guten Life Domain Balance beitragen kann, ist Achtsamkeit. Sie kann uns helfen, Resilienz in Zeiten von Stress aufzubauen. Was es mit Achtsamkeit genau auf sich hat und wie Meditation unser Gehirn verändern und damit unser Gedankenwandern reduzieren kann, habe ich in meinem Masterseminar zum Thema „Achtsamkeitsforschung“ gelernt. Allerdings sind Achtsamkeit und Meditation in unserer westlichen Welt zu einem regelrechten Hype geworden, um Stress zu reduzieren und unsere Leistungsfähigkeit zu steigern.
Von Leistungsdruck und Selbstoptimierung
Es besteht die Gefahr, dass wir Achtsamkeit mal schnell „zwischendurch“ praktizieren, ohne dass wir den Leistungsdruck kritisch hinterfragen, der unserem Stress möglicherweise zugrunde liegt. Vielleicht sollten wir aber genau diese Leistungsgesellschaft hinterfragen, in der Stress zum persönlichen Problem gemacht wird, statt zu versuchen, Stress „wegzumeditieren“ und so unsere Leistung zu optimieren. Vielleicht stellen wir dann fest, dass wir uns zu viel vorgenommen haben und wir ein Projekt streichen oder delegieren sollten. Auch das ist Achtsamkeit! Auf sich selbst achtgeben und erkennen, dass weniger manchmal mehr ist und dass man beispielsweise nach Feierabend und am Wochenende keine Mails mehr checken sollte. Oder dass es eben nicht an uns, sondern am Leistungsdruck der Gesellschaft oder der Unternehmen liegt und dort mehr Menschlichkeit und weniger Profitorientierung gefragt wäre. Deshalb bin ich überzeugt, dass Achtsamkeit – richtig angewandt: mit einem ganzheitlichen Ansatz in allen Lebensbereichen statt als reines Selbstoptimierungstool – eine wichtige Ressource für mehr Stressresistenz und damit eine gute Life Domain Balance darstellen kann.
Probieren geht über Studieren
Soweit die Theorie. Aber wie sieht nun die Praxis aus? Da ich die Themen dieser beiden Masterseminare super spannend fand – und dabei außerdem einiges zu Themen wie Transformation, Organisationskultur (Werte und Normen, die einen Betrieb definieren), Kooperation und Change Management sowie neuen Führungskonzepten lernen durfe – werde ich nun ein dreimonatiges Praktikum in einer wissenschaftlich fundierten Unternehmensberatung, RETURN ON MEANING, in Berlin absolvieren, die sich nicht nur mit Geschäftsstrategie, sondern auch mit der Psychologie des Menschen auskennt. RETURN ON MEANING hat sich auf die Beratungsfelder Kulturwandel, Talent Management, sinnhafte Führung und Achtsamkeit spezialisiert. So unterstützen sie Führungskräfte zum Beispiel mit achtsamkeitsbasierten Interventionen wie Meditationstrainings darin, Sinn und Geschäft zusammenzubringen, um damit auch einen positiven Beitrag für unsere Gesellschaft zu leisten. Ich bin äußerst gespannt und überzeugt, meine Mission, meinem Berufswunsch etwas näher zu kommen, damit erfüllt zu haben.
Aber war da nicht noch was?
Genau, der zweite Teil meiner Mission, mich in zwei neuen Sportarten – Ballett und Kickboxen – zu versuchen. Dazu bald mehr.