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Sicherheit, Bedenken und Papayas

Das heutige Kolumbien ist ein anderes als noch vor 20 Jahren. Und auch anders als man es in Deutschland häufig aus Filmen und Serien kennt, in denen vor allem Drogen- und Bandenkriege im Vordergrund stehen, die auf offener Straße ausgetragen werden. Viel zu selten hört man meines Erachtens jedoch zum Beispiel von den bedingungslos herzlichen Menschen oder der beeindruckend vielfältigen Natur, die Kolumbien vor allem auszeichnen. Da Bedenken rund um die Sicherheit dennoch immer wieder Teil der Planung meines Praktikums waren (zum Beispiel bereits bei der Auswahl der Stadt und Schule), möchte ich diesem Thema einen eigenen Artikel widmen. Fühle ich mich hier sicher? Was gilt es grundsätzlich zu beachten? Und was haben Papayas mit der Thematik zu tun? Was folgt, ist eine Skizze persönlicher (!) Eindrücke und Erfahrungen bezüglich meines Sicherheitsempfindens während meiner bisherigen Zeit in Barranquilla.

Ich laufe durch eine schmale Gasse im Norden Barranquillas, vorbei an spielenden Kindern und selbstständigen Mechanikern, die an kaputten, aber noch fahrtüchtigen Autos schrauben. Mein kolumbianischer Freund, mit dem ich mich an diesem Nachmittag verabredet hatte, läuft neben mir.

Als wir an einer alten Parkbank vorbeilaufen zieht er sein T-Shirt nach oben und zeigt mir ungefragt eine Narbe rechts über seiner Brust. „Hier ist es passiert. Dort, links neben der Bank.“ Er erzählt mir, wie er vor knapp 18 Jahren in diesem Park mit einem Messer bedroht und dabei verletzt wurde. Heute würde er sich nicht mehr wehren, vor allem weil damals gleich drei Gleichaltrige auf sein Geld aus waren. „Das war dumm, ich hatte Glück“. Zwar wurde er nicht ausgeraubt, sein Bargeld war er direkt im Anschluss dennoch los: „Mit dem, was ich damals dabei hatte, konnte ich auf den Peso genau das Krankenhaus nach dem Überfall bezahlen“, erklärt er. Was blieb ist die Narbe. Mein Freund bemerkt, wie ich mich etwas genauer im Park umblicke und fügt hinzu: „Aber keine Sorge, heute ist es hier sicher. Vor allem tagsüber.“

Mit dieser Anekdote möchte ich niemanden abschrecken, nach Kolumbien zu gehen. Nein, ganz im Gegenteil. Die Szene liefert vielmehr zwei wichtige Erkenntnisse: Zum einen, dass man im Falle eines Raubüberfalls das Geforderte (Geld, Handy etc.) einfach herausgeben sollte. Und zum anderen, dass eben jene Überfälle in Kolumbien heute nicht mehr zur Tagesordnung gehören. Vor allem tagsüber habe ich das Gefühl, die meiste Zeit dort Zeit verbringen zu können, wo ich möchte. Und auch am Abend bewege ich mich nicht ausschließlich zwischen meinen vier Wänden. Darum ist es aber umso wichtiger, dass ich darauf achte, wo ich mich aufhalte und dass ich im Idealfall nicht alleine unterwegs bin. Und trotzdem gibt es da dieses eine Gefühl, das sich fest im Unterbewusstsein verankert hat: die latente Gefahr und Sorge, ausgeraubt werden zu können.

Foto einer sechsköpfigen Gruppe von hinten, die eine Straße zwischen Häusern entlang läuft.
In der Gruppe ist man nicht mehr allein. Zusammen kann man sich tagsüber nahezu überall aufhalten.

Was habe ich vorher gedacht?

Sowohl meine kolumbianischen, als auch die deutschen Bekannten, die in irgendeiner Form eine Beziehung zu Kolumbien haben, waren sich im Vorfeld immer einig: Barranquilla sei ein gutes Pflaster. Vor allem im Vergleich zu anderen kolumbianischen Städten gelte allen voran der moderne Norden der Stadt als fortschrittlich und sicher. Und dennoch: Immer wieder wurde ich gewarnt. An keinem Ort könne man Raubüberfälle ausschliessen, die logische Folge einer eklatant grossen Schere zwischen arm und reich sind. Ich war also gewissermaßen vorbereitet und dennoch hat das Thema in meinen Gedanken keine entscheidende Rolle gespielt. Im Vordergrund stand vielmehr meine Neugier auf Schule, Menschen, Sprache oder auch eine neue (Ess-)Kultur. Und ehrlich gesagt: Ich habe gedacht, dass die anfängliche Ungewissheit und Sorge hinsichtlich der Sicherheit ohnehin schnell verschwinden würde, wenn ich erst mal vor Ort bin. Ich war zudem der Meinung, dass beides zwischen Alltag und Routine einfach verblassen und nur eine untergeordnete Rolle spielen werde. Und dass es generell ganz anders sein würde, als man es aus der Ferne zunächst hört.

Wie fühlt es sich jetzt vor Ort an?

So anders ist es aber gar nicht. Bislang liegt das vor allem an einem Grund: Das Thema Sicherheit ist ein präsentes Gesprächsthema innerhalb der Gesellschaft. Auch unter den Kolumbianer:innen selbst, was ich in der Form nicht erwartet hätte. Obwohl sich die Gesamtsituation tendenziell weiter verbessert, höre ich dadurch unausweichlich immer wieder von Negativbeispielen, die in meinem Dorf, der Stadt oder meinem unmittelbaren Umfeld passieren. Angst davor, dass mir in irgendeiner Form körperlich etwas zustößt, habe ich aber nicht. Hinsichtlich der eigenen Sicherheit schränkt mich nur ein Aspekt in meinem täglichen Tun und Handeln etwas ein: das unterbewusste Bedenken eines Überfalls. An sich beschränkt sich meine Auseinandersetzung mit dem Sicherheitsempfinden auf diesen Teilaspekt. Manchmal frage ich mich: „Warum mache ich mir eigentlich immer wieder Gedanken darüber? Im schlimmsten Fall wirst du halt ausgeraubt. Nur dein Handy wäre weg, vielleicht ein bisschen Geld. Die Welt dreht sich weiter“. Und ja, das stimmt. Aber trotzdem würde es glaube ich jede:r vorziehen, einen Überfall, egal in welcher Form, nicht miterleben zu müssen. Umso besser, dass man dem schon mit kleinen und einfachen Tricks bedeutend entgegenwirken kann.

Bus von innen. Fahrerkabine mit Blick auf die Straße. Alles ist bunt verziert.
Fast jeden Tag fahre ich mit dem Bus. Mein Fazit bisher ist positiv: sicher, schnell und ziemlich bunt.

Drei Tipps, die es sicherer machen

Der womöglich wichtigste Ratschlag ist, dass du möglichen Gefahrensituationen schon im Vorhinein aus dem Weg gehen kannst. Beispielsweise, indem du dich an bestimmten Orten zu gewissen Uhrzeiten gar nicht erst aufhältst – vor allem nicht allein. Welche Orte das sind, erfährst und hörst du immer wieder. Hier in Barranquilla ist das zum Beispiel der gesamte Süden der Stadt. Mir rät beispielsweise jede:r davon ab, dort als „unkolumbianisch“ Aussehender allein herumzulaufen; egal zu welcher Tageszeit. Für einen anderen Tipp haben die Kolumbianer sogar einen eigenen Ausdruck. „No dar papaya“. Was wörtlich übersetzt so viel wie „Keine Papayas geben“ heißt, bedeutet im übertragenen Sinne in etwa: Vermeide es, dich in Situationen zu begeben, in denen du leicht ausgenutzt werden kannst. Unmittelbar geht damit auch einher, dass du nach außen nichts (Auffälliges) zeigen solltest, was du nicht zwingend zeigen musst. Dazu zählen neben Uhren, Kopfhörern, Schmuck, Bargeld oder teuren Klamotten vor allem auch das Handy, was am besten immer in der Tasche bleiben soll, wenn man draußen ist.

Was mir außerdem hilft, wie viele andere auch, benutze ich hier ein anderes, älteres Handy als in Deutschland. Außerdem folge ich dem Rat vieler und habe immer eine im Fall des (Über-)Falles „zufriedenstellende“ Summe Bargeld dabei.

Wohlfühlen trotz Einschränkungen

Zeit für eine kleine Bilanz: Die Sorge, ausgeraubt zu werden ist bislang leider ein allgegenwärtiges Thema – auch wenn mir bislang zum Glück noch nichts passiert ist und ich vermeide, mich ständig damit auseinanderzusetzen. Anders als erwartet, schwingt bei vielen (besonders bei neuen) Aktivitäten die Frage „Ist das sicher?“ oder „Ist es dort gefährlich?“ mit. Es sind vor allem aber die Kolumbianer:innen selbst, die mich immer wieder ungefragt warnen. Nicht nur, weil ich hier neu bin und nicht gerade kolumbianisch aussehe, sondern weil für sie meist dasselbe gilt. „Gehe dort lieber nicht hin“, „Fahre nur bis zu dieser Station und nicht weiter“ oder „Nutze nur den Bus, wenn du es wirklich musst“ sind nur ein paar Beispiele dafür, wie ich immer wieder aufs Neue an Vorsicht erinnert werde.

Mittlerweile habe ich mich aber daran gewöhnt. Es wurde zur Normalität, den Aspekt Sicherheit immer mitzudenken. Ich kann bis jetzt festhalten: Ich fühle mich grundsätzlich sicher – aber dennoch gewissermaßen eingeschränkt. Angst habe ich bislang selten verspürt. Wahrscheinlich auch, weil sich meine latente Sorge einzig darauf beschränkt, dass mir materielle Dinge entwendet werden könnten. Die Gefahr, körperlich angegriffen zu werden, schätze ich hingegen als sehr gering ein. Das liegt vielleicht auch an den zahlreichen „Safe Spots“, an denen ich zu keinem Zeitpunkt an mögliche Gefahren denken muss. Dazu gehören beispielsweise das (bewachte) Schulgelände, Taxis, Supermärkte, öffentliche Plätze, Restaurants oder auch meine Wohnung. Allesamt Orte, an denen ich viel Zeit verbringe. Was mich meine Zeit in Kolumbien hinsichtlich dieses Themas schon jetzt gelehrt hat: Es ist nicht selbstverständlich und gleichzeitig ein besonderes Privileg, abends bedenkenlos durch die Straßen Heidelbergs oder anderer Städte in Deutschland laufen zu können. Ohne sich Gedanken machen zu müssen, in welche Gasse man biegt oder was man bei sich trägt.

Panoramablick in den Bergen. Grüne Wälder. Sonnenuntergang im Hintergrund.
Sicherheit hin oder her. Bereits für die einzigartige Natur hat es sich schon jetzt gelohnt, nach Kolumbien zu kommen.

Und trotzdem möchte ich betonen: Ich kann Kolumbien sehr empfehlen – egal ob man dort ein Praktikum machen, arbeiten oder einfach reisen will. Es gibt mindestens 22 gute Gründe in diesem wunderschönen Land, Zeit zu verbringen. Welche das sind, erfahrt ihr in einem der nächsten Blog-Artikel.

Tim

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