16. November 2023
Ein Studium ist nicht für jede*n etwas. Aber wie kommt es, dass besonders Kinder aus Nichtakademikerhausalten daran zweifeln, für ein Studium geeignet zu sein bzw. sich überhaupt für die Universität qualifizieren? In diesem Beitrag erzähle ich davon, wie es mir als Kind von Nichtakademikern an der Uni erging und noch immer ergeht.
Erst kurz vor meinem Abschluss ist es mir bewusst geworden: Ich bin Teil einer Minderheit! Das ist weder auf meine sexuelle Orientierung bezogen noch darauf, dass ich ein großer Fan von Lakritz bin. Nein, ich bin ein Student, der aus einer Familie kommt, in der niemand anders studiert hat: nicht meine Mama, nicht mein Papa, nicht meine Schwestern, nicht mein Onkel und nicht meine Tante.
Die Zahlen sind nicht neu, aber sie tauchen immer wieder auf: Von 100 Akademikerkindern beginnen 79 ein Studium und 43 erwerben einen Masterabschluss. Von 100 Nichtakademikerkindern sind es gerade 27, die ein Studium beginnen und nur elf, die einen Masterabschluss erwerben. Den Schritt zum Doktortitel machen insgesamt nur wenige, aber auch hier liegt der Anteil bei den Akademikerkindern dreimal höher mit sechs Prozent als bei Nichtakademikerkindern (zwei Prozent).
Doch erst einmal genug zu den Zahlen. Wer mehr dazu wissen möchte, schaut am besten in dieser Publikation vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung vorbei. Weitere Infos findest du auch im Abschlussbericht des Stifterverbands. Auch der kurze Beitrag auf Instagram von funk gibt einen guten ersten Einblick in die Thematik.
„Es wurde nie über die Universität gesprochen“
Doch was geht damit einher, dass man aus einem Nichtakademikerhaushalt kommt und was hat das mit dem Studium zu tun? Die Statistiken und die Wissenschaft können darauf keine definitive Antwort geben, aber es gibt doch ein paar Dinge, die mir auffallen, wenn ich auf meine eigene Schulzeit zurückblicke. Eines sticht dabei besonders hervor:
Es wurde nie über die Universität gesprochen. Weder meine Schwestern haben mit der Vorstellung eines Studiums geliebäugelt, noch war es für mich eine Option, als ich von der Grundschule auf die Realschule wechselte und mir fest vornahm, Tierpfleger zu werden. Selbst als ich dann auf das Gymnasium ging, wurde in meiner Familie nicht über mögliche Studiengänge oder Universitätsstädte gesprochen. Was nach dem Abitur kommen sollte und keine klassische Ausbildung war, das war Neuland für uns alle. Wie soll man auch über etwas ernsthaft diskutieren, wenn man es nicht kennt?
Die Not der Vorbilder
Diese Problematik wird in unserer Gesellschaft immer wieder diskutiert, besonders wenn es um geschlechter(un)spezifische Vorbilder geht. Es soll nicht sein, dass Astronauten in Büchern immer männlich sind und nur Mädchen auf Pferden reiten. Diese sich wiederholenden Bilder verstärken stereotypische Geschlechtsnormen und einer Generation nach der nächsten wird vorgegeben: „So verhalten sich Jungen und so Mädchen.“
Dies ist nicht anders, wenn es um berufliche Perspektiven geht. Machen um dich herum alle eine Ausbildung, dann ist es wahrscheinlich, dass auch du dazu tendierst, eine Ausbildung zu machen. Zum einen ist es eher selten der Fall, dass ein Mensch, anders sein will als seine Mitmenschen. Zum anderen ist dir vielleicht gar nicht bewusst, welche Möglichkeiten dir offen stehen, wenn du keine anderen Optionen siehst. So merkwürdig es klingt, aber selbst das Konzept „Universität“ als solches war für mich fremd. Was sollte ich mir denn darunter vorstellen? Was bedeutet es, Student zu sein? Mit viel Glück organisiert die Schule einen Ausflug an eine Universität und die Schüler*innen bekommen die Möglichkeit, einmal in eine Vorlesung hineinzuschnuppern, wie damals bei mir am Anne-Frank-Gymnasium. Aber ob das ausreicht, um ein Bild vom Unileben zu bekommen, ist fraglich.
Noch heute erinnere ich mich an die Vorlesung, die ich an der Universität Bochum besuchen konnte: „An Introduction to Contemporary British Poetry“. Eines der Gedichte, das in dieser Einführung in die Gegenwartslyrik Großbritanniens vorgestellt wurde, war „The Keyboard and the Mouse“ von Sophie Hanna (glaube ich). Noch heute kann ich es auswendig.
Lasst das Studium beginnen
2014 war es dann so weit, ich war scheinbar eines von 27 Nichtakademikerkindern, das ein Studium begann. War es einfach? Auf keinen Fall! Wollte ich das Studium nach kurzem hinschmeißen? Jap! Ging es nur mir als Nichtakademikerkind so? Ich denke nicht.
In den letzten Jahren bin ich immer wieder auf Berichte gestoßen, in denen geschildert wurde, wie viel einfacher der Studieneinstieg für Kinder aus Akademikerhaushalten war, während man selbst durch die Bibliothek und Seminargebäude irrte und sich nicht traute, an einer Diskussion teilzunehmen. Meine Wahrnehmung ist eher folgende: Der Studieneinstieg ist schwierig und manche finden sich schneller ein als andere; die eine ist diskussionsfreudiger, der andere schüchterner; die einen finden den Hörsaal direkt, die anderen schleichen sich nach 15 Minuten unauffällig (also eigentlich unter den aufmerksamen Augen aller anderen) aus der Vorlesung, wenn sie merken, dass es gerade um Makroökonomie und nicht um die Sonettstruktur am Anfang des 17. Jahrhunderts geht. Am Anfang sind wir alle Neulinge – aufgeregt und überfordert.
Einkommen in Nichtakademikerhaushalten
Genaue Zahlen zu den Unterschieden findet ihr beispielsweise im Gehaltsreport des Handelsblatts. Dort zeigt sich, dass der Median („Der Median hingegen ist der Wert, der in der Mitte aller Werte liegt. Das bedeutet: Es gibt genauso viele Gehälter, die niedriger als auch höher sind als der Median.“) bei Akademikern um 17.000 Euro brutto im Jahr höher liegt als bei Nichtakademikern.
Strukturelle Nachteile
Dennoch gibt es Nachteile für Studierende aus einem nichtakademischen Haushalt und diese sind unter anderem finanzieller Natur. Nichtakademikerhaushalte haben in der Regel ein geringeres Einkommen als Akademikerhaushalte. Dies hat zum Teil einen Einfluss darauf, wer an welchem Ort studieren kann (denn das BAföG ist für manche Städte doch sehr knapp bemessen). Mehr noch beeinflusst es, wer es überhaupt bis zum Abitur schafft: Nachhilfe, Bildungsausflüge, Museumsbesuche und Buchanschaffungen sind eine finanzielle Belastung und werden nicht jedem Kind zuteil. Gleichzeitig sind sie von besonderem Wert für die Schulbildung und die Vorbereitung auf das Abitur oder die Universität.
Dies ist nur einer der Gründe, die es Nichtakademikerkindern schwieriger machen, eine Universität zu besuchen, und es ist wohl der oberflächlichste. Auch Faktoren wie die psychische Gesundheit, Migrationshintergrund, Lernschwächen und das soziale Umfeld beeinflussen die schulische und berufliche Laufbahn eines Menschen. Aber dazu an dieser Stelle erst einmal nicht mehr.
Ein kleiner Nachtrag
Es soll nicht so klingen, als betrachtete ich das Studium als das erstrebenswerteste Ziel, das NonPlusUltra, das Eldorado des Lebens. Jede Ausbildung, die du wählst, hat ihren Wert und keine steht über der anderen. Wichtig ist, dass du die Wahl hast und nicht die finanzielle Situation oder der Bildungsstatus deiner Eltern darüber entscheidet, was für dich möglich ist.
Weitere Infos und Unterstützung
Wer mehr über das Thema „Erstakademiker“ wissen möchte oder auf der Suche nach einem unterstützenden Netzwerk ist, kann sich auf den Seiten vom Netzwerk Chancengleichheit oder bei Arbeiterkind umschauen. Auch der DAAD vergibt in besonderen Fällen zusätzliche Förderungen an Studierende aus einem nichtakademischen Haushalt. Dafür kannst du hier vorbeischauen.