14. Februar 2024
Mein Auslandssemester in Tbilisi neigt sich dem Ende entgegen. Die letzten sechs Monaten sind unglaublich schnell vergangen. Ich habe Abenteuer erlebt, tolle Menschen getroffen und viel über mich gelernt. All das habe ich aufgeschrieben in meinem vielleicht persönlichsten Beitrag: Meinem Rückblick auf sechs Monate Georgien voller Höhen und Tiefen und der schönste Zeit meines Lebens.
Das ist eine große Aussage. Aber sie stimmt. Die letzten Monate haben mich in einer Art und Weise geprägt, wie ich es mir vorher nicht hätte vorstellen können. Ich habe so viel Schönes erleben dürfen, die vielen Reisen, die neuen tiefen Freundschaften, die interessanten Kurse an der Universität, die Begegnungen mit den Menschen und Tbilisi, eine Stadt, in der ich auch nach sechs Monaten immer noch Neues entdecke, haben mich bereichert.
Aber klar, es gab neben all den schönen auch schwierige Momente: alte Unsicherheiten wurden getriggert, Liebeskummer, eine schwere Krankheit im Familienkreis und die Angst vor der Zukunft. Als Correspondent will ich den Auslandsaufenthalt mit all seinen Facetten zeigen. Es ist leicht, sich von den tollen Bildern und Eindrücken auf Social Media blenden zu lassen, wenn die unspektakulären und schwierigen Seiten des Lebens verborgen bleiben. Ich hoffe, dass meine Erfahrungen zeigen, dass Höhen und Tiefen dazu gehören.
1. Ich weiß jetzt: Mein Wert hängt nicht von meinen akademischen Leistungen ab
Seit ich mit meinem Masterstudium begonnen habe, plagen mich Selbstzweifel und ich habe oft das Gefühl, nicht so begabt zu sein wie andere. Es gibt sogar einen Fachbegriff dafür: Imposter-Syndrom. Zusätzlich bin ich ein Perfektionist. Zusammen führen die beiden Eigenschaften dazu, dass ich oft Angst habe, zu versagen und den Respekt meiner Mitmenschen zu verlieren. In Georgien war ich lange frei davon, da ich viel weniger Kurse hatte und die Erwartungen an mich nicht so hoch waren wie an meiner Heimatuniversität. Doch dann kam der große Trigger. Ich musste eine Hausarbeit schreiben, die ich schon ein Semester vor mir hergeschoben hatte. Es klingt banal, aber diese Hausarbeit hat viele Ängste und Unsicherheiten geweckt und ich bin in ein Verhaltensmuster zurückgefallen, von dem ich dachte, ich hätte es längst hinter mir gelassen. Plötzlich habe ich mein ganzes Leben in Frage gestellt. Trauma und Trigger sind nicht rational, aber die Auswirkungen sind ernst zu nehmen. Heilungsprozesse verlaufen nicht linear, und das ist etwas, mit dem ich lernen muss umzugehen. Ich versuche auch, meine Erkenntnisse umzusetzen. Es ist es wirklich nicht wert, meine mentale Gesundheit für eine Hausarbeit oder ein Studium aufzugeben. Eine Hausarbeit ist einfach eine Hausarbeit. Es gibt für alles eine Lösung.
2. Manchmal musst du einfach loslegen: Inspiration ist keine Voraussetzung für Produktivität
Durch die Arbeit als Correspondent für „studieren weltweit“ habe ich viel über mich und meine Arbeitsweise gelernt. Blogposts schreiben, Insta-Posts erstellen und Tiktoks drehen, vieles davon war Neuland für mich. Es macht auch viel Spaß, ist aber mehr Arbeit, als es aussieht und erfordert viel Kreativität. Und die kommt nicht auf Knopfdruck. Oft habe ich lange nach kreativen Ideen und Inspiration für die nächsten Beiträge nachgedacht. An manchen Tagen auch vergebens. Aber wie überwinde ich Schreibblockaden? Was tun, wenn mir nichts einfällt, oder ich meine Inhalte plötzlich an den anderen Correspondents messe? Ich habe lange gebraucht, um zu verinnerlichen, dass Inspiration keine Voraussetzung für Produktivität ist, sondern im Prozess entsteht. Suche nicht nach dem perfekten Ansatz. Fang einfach an. Der Rest entwickelt sich. Bis dieser Artikel veröffentlicht wird, hat er bereits drei Themenwechsel und zwei Versionen hinter sich. Insgesamt habe ich etwa 20 Stunden daran gesessen. Hätte ich es schneller und effizienter machen können? Ja, natürlich. Aber der Prozess ist mir sehr wichtig. Dieser Text ist am Ende durch Gespräche, Tagebuchschreiben, Fotorecherche und ständige Selbstreflexion entstanden. Es ist okay, etwas nicht sofort zu wissen oder zu können. Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Aber meistens ist es am besten, sich hinzusetzen und ohne Erwartungen etwas anzufangen.
3. Habe keine Angst verletzt zu werden: Die Liebe kommt (und geht) unerwartet
Ich verliebe mich nicht schnell und nicht oft. Offenbar hatte Georgien andere Pläne mit mir. Am dritten Tag nach meiner Ankunft in Tbilisi habe ich jemanden online kennen gelernt. Unser erstes Date dauerte zwölf Stunden. Wir sind spazieren gegangen, haben über Gott und die Welt geredet, waren essen, abends in einer Bar und ich habe sogar ein paar seiner Freunde kennengelernt. Wir hatten viele gemeinsame Interessen – es war einfach perfekt. Da er in Tbilisi aufgewachsen ist, konnte er mir die Stadt und die Kultur mit ganz anderen Augen und Kenntnissen zeigen. Ich fühlte mich wie ein Teenager, der seinen ersten Crush erlebt. Im Nachhinein bin ich mir nicht sicher, ob ich verliebt war oder nicht, aber ich habe mich sehr schnell und sehr stark an ihn gebunden. Ich war überzeugt, dass wir das perfekte Match sind und am Ende zusammen in den Sonnenuntergang reiten werden. Wie ihr euch denken könnt, ist es nicht so gekommen. Ich war verknallt in ihn, aber er hatte nicht die gleichen Gefühle für mich. Dieser eine Satz fasst eigentlich alles zusammen. Ich habe fast vier Monate gebraucht, um über ihn hinwegzukommen und alles zu verarbeiten. Ich bin heute noch sehr dankbar für die gemeinsame Zeit. Ich bin davon überzeugt, dass die Angst, verletzt zu werden, nicht verhindern darf, dass gute Dinge passieren.
Mein Dating-Tipp (eigentlich in erster Linie an mich gerichtet): Akzeptiere und liebe die Menschen, wie sie sind, nicht wie du sie haben möchtest.
4. Akzeptiere die Ungewissheit: Auch die besten Pläne können durchkreuzt werden
Zwei Tage vor Weihnachten erhielt ich einen unerwarteten Anruf: Ein enger Familienangehöriger ist an Krebs erkrankt. Zum Glück war ich in diesem Moment nicht allein, ich weiß nicht, wie ich sonst in diesem Schockmoment reagiert hätte. Zum ersten Mal war ich über die Feiertage nicht zuhause. Es ist vielleicht nicht für jeden verständlich, aber mit der Zeit habe ich mich entschieden, so lange wie möglich in Georgien zu bleiben. Natürlich mit dem Wissen, jederzeit spontan abreisen zu müssen, wenn etwas passiert. Diese Ungewissheit führte dazu, dass ich wirklich im Moment leben musste. Ich wusste nicht, ob ich meine Freunde und Freundinnen zum letzten Mal sehen würde, ob ich zum letzten Mal an der Universität bin . Und so habe ich immer nur bis zum nächsten Schritt gedacht. Inzwischen kann ich viel besser mit der Situation umgehen und zum Glück sehen die Chancen für eine Heilung gut aus.
5. Post-Erasmus-Depression: Loslassen fällt schwer
Nach meinem turbulenten Date zu Beginn des Semesters folgte ein zweites. Aus einer guten Freundschaft entwickelte sich etwas mehr. Diesmal ging es sehr langsam. Über Monate. Vorsichtig. Aber sicher. Um ehrlich zu sein, so langsam, dass ich gar nicht damit rechnete, dass daraus etwas werden könnte. Aber in den letzten Wochen ist es dann doch passiert. Und diesmal war klar: Wir planen keine Fernbeziehung. Aber wir werden in Kontakt bleiben, wenn wir beide wieder zu Hause sind, denn wir schätzen uns als Menschen, egal wie wir unsere Beziehung definieren. Wir sind im Laufe des Semesters sehr enge Freunde geworden. Umso schwerer war der Abschied. Er und andere enge Freundinnen sind am selben Tag zusammen nach Hause gefahren. Wie Babys haben wir zusammen geheult. Ich hatte schon viele Abschiede in meinem Leben und meistens sind sie nicht für immer. Trotzdem brauche ich Zeit, um loszulassen. Um zu akzeptieren, dass wir als Freundesgruppe nicht mehr wie gewohnt zusammen in derselben Stadt leben werden. Dass wir nicht spontan auf einen Kaffee vorbeischauen können. Das war eine ganz besondere Zeit in unserem Leben. Loslassen ist ein Trauerprozess, der nicht einfach ist. Und diese Post-Erasmus-Depression hat uns voll erwischt. Ich denke, es ist wichtig, Raum für Dankbarkeit und Trauer zu schaffen, denn viel zu fühlen ist ein Geschenk und keine Schwäche.
Nimm dich selbst nicht so ernst!
All die Höhen und Tiefen, die ich in Georgien erleben durfte, haben mich daran erinnert, nichts für selbstverständlich zu nehmen. Es ist vieles anders gekommen, als ich es mir vorgestellt hatte. Und wenn ich eins in den letzten sechs Monaten gelernt habe, dann, dass es nichts bringt, sich zu sehr darum zu sorgen, was wir in der Vergangenheit verpasst haben oder wie wir die Zukunft kontrollieren können. Das macht nur unglücklich. Ich für meinen Teil bin sehr glücklich, wie sich das Ganze entwickelt hat. Es war die beste Zeit meines Lebens!