17. Juli 2024
Ich bin überzeugt, dass es nicht möglich ist, eine Auslandserfahrung zu erleben ohne neue Erkenntnisse zu gewinnen – schon gar nicht an der Universität. Die insgesamt 15 Monate, die ich in Ghana verbracht habe, waren lebensverändernd für mich und brachten mir viel neues fachliches Wissen, aber auch tiefgreifende persönliche Erfahrungen.
#1 Ghana – the place to be!
Oftmals wird Ghana als Gateway to Africa beschrieben. Das hat verschiedene Gründe. Einerseits gibt es hier den Sicherheitsaspekt, der im Vergleich mit anderen Ländern nicht nur in absoluten Zahlen, aber auch gefühlt höher ist. Als anglophones Land bietet es gute Voraussetzungen für internationale Reisende. Gerade die dicht besiedelte Küste, die verhältnismäßig gut ausgebaute Infrastruktur (Fernbusse, Flughäfen) und das touristische Angebot bilden eine gute Grundlage für Reisen in und nach Ghana. Auch der Lebensstil, den Accra bildet und den ich auf meinem Instagram-Kanal zeige und hier in den Blogbeiträgen beschreibe, ist eine gute Grundlage, guten Gewissens deine Auslandserfahrung in Ghana zu planen.
#2 Wirf deine Vorurteile über Board!
Ich kann mich noch gut an den Moment erinnern, bevor ich das erste Mal nach Ghana reiste. Irgendwie war ich unsicher. Zwar hatte ich einzelne Erfahrungen mit dem Reisen in nicht-europäische Länder, aber dennoch war der Umzug in ein Land in Westafrika ein großer Schritt. Die Vorurteile, die ich im Kopf hatte und die durch die häufig einseitige Darstellung afrikanischer Länder in den Medien verstärkt waren, haben natürlich dazu beigetragen, dass ich etwas unsicher war. Gerade die Themen Sicherheit und Armut haben mich im Vorfeld beschäftigt.
Die Realität in Accra war denn doch sehr unterschiedlich. In den Nachbarschaften in den ich gelebt habe, habe ich mich als weißer Cis-Mann sehr sicher gefühlt. Auch meine Freund*innen berichten von ähnlichen Eindrücken. Die Hauptstadt Accra ist dazu eine Weltmetropole, in der hohe Einkommens- und Vermögensunterschiede sichtbar werden. Unterm Strich also ein viel diverseres Bild als das, was ich im Kopf hatte.
#3 Entwicklung? Eine Frage der Perspektive
Über das Thema Entwicklung könnte ich einen ganzen Blog schreiben und schon viele Autor*innen haben hierzu interessante und wichtige Beiträge geliefert. Das häufig besprochene Konzept der (Unter-) Entwicklung sollte daher stets kritisch bewertet werden und der Kontext der Debatte betrachtet werden. Das, was ich hier mitgeben möchte, ist, dass Entwicklung kein linearer oder universeller Prozess ist. Stattdessen sollten lokale Entwicklungsprozesse betrachtet werden, da gerade der globale Vergleich oftmals hinkt und individuelle Realitäten nicht anerkennt.
Wenn ich also nach Ghana gehe und versuche die Lebensrealitäten mit europäischen zu Vergleichen, sollte ich nicht vergessen, dass ich mich im Kontext von (Neo-) Kolonialismus, ungerechten Wirtschafts- und Herrschaftsverhältnissen und Korruption befinde. Entwicklungshemmnisse, die der europäischen Perspektive tendenziell eher nützen.
#4 Der andere bin ich!
Als ich in Berlin gestartet bin und zum Flughafen gefahren bin, ich erinnere mich noch gut, war mir alles klar. Fast automatisch habe ich erst die U-Bahn genommen, bin zur S-Bahn und dann zum Flughafen. Alles war mir bekannt und ich wusste, wie ich mich verhalten soll. Dann komme ich in Accra an und plötzlich war vieles anders. Der öffentliche Nahverkehr ist über Kleinbusse organisiert, das Essen kannte ich nicht und überfordert war ich auch mit der überbordenden Höflichkeit in der Kommunikation. Dennoch wussten alle Menschen um mich herum, wie sie sich zu verhalten haben und haben ihren Alltag einfach gelebt, ob meiner Anwesenheit oder nicht.
Auch hier weise ich gerne auf den Perspektivwechsel hin. Anstatt zu denken, dass die neue erlebte Realität anders oder gar komisch ist, versuche dich selbst zu reflektieren und von den Menschen um dich herum zu lernen. Das macht nämlich ultra Spaß und erleichtert dir das Leben.
#5 Overdressed? Nicht in Ghana
30° und Anzug tragen? Kein Problem für viele Leute in Ghana. Ich war echt noch nie in einem Land, in dem ich mich permanent so underdressed gefühlt habe. Gerade in offiziellen Umfeldern wird in Ghana sehr auf gute Kleidung geachtet. Hierzu zählt auch die Uni! Es gibt Abstufungen zwischen Bachelor- und Masterstudis, wobei die Bachelorstudis etwas legerer gekleidet sind. Trotzdem habe ich wenig Menschen gesehen, die in kurzer Hose in T-Shirt zur Arbeit gehen oder im Seminarraum sitzen. Aber keine Sorge, die Märkte in Accra bieten genug Auswahl und Möglichkeit euch auszustatten.
#6 Good old Germany
Ghana ist ein junges Land – und damit meine ich nicht nur das Bestehen des Staates Ghana, der sich 1957 aus der kolonialen Herrschaft Großbritanniens befreite, sondern vor allem die junge Bevölkerung mit einem Median-Alter von ca 21 Jahren. Circa die Hälfte der Bevölkerung ist also unter 20 Jahren alt und das ist auch sichtbar. Im Stadtbild oder in der Nachbarschaft sind einfach viel mehr Kinder, und mit 27 Jahren war ich einfach Teil der älteren Hälfte der Bevölkerung. Fragen nach meiner Familienplanung waren daher keine Seltenheit.
Auffällig ist auch die starke Nutzung von sozialen Medien – häufig wurde ich nach meinem Snapchat- oder Instagram-Kontakt gefragt, und dominierend ist ehrlich gesagt TikTok. Übrigens eine sehr gute Voraussetzung, wenn ihr eure Reichweite auf Social Media erweitern wollt.
#7 Offenheit und trotzdem ich selbst
Wie ich in einem früheren Artikel bereits erwähnt habe, war dies meine vierte Auslandserfahrung. Daher konnte ich schon etwas selbstsicherer in diese neue Erfahrung gehen und wusste, dass ich früher oder später die richtigen Kontakte knüpfen werde. Anfängliche Events, die von der Uni organisiert wurden, waren hierbei sehr hilfreich, aber auch Apps können Helfer sein bei der Kontaktaufnahme. Gleichzeitig war ich aber auch das erste Mal in meinem Leben bewusst an einem Punkt, in dem ich auch Einladungen zu Events, auf die ich nicht gehen wollte, bewusst ablehnen konnte. Ganz ohne Fomo konnte ich sagen: „Darauf habe ich heute keine Lust, aber ich wünsche euch viel Spaß!“.
So betrachtet, war ich eigentlich auch nie wirklich allein. Einerseits war es sehr leicht Freundschaften zu schließen, gleichzeitig ist der Trubel des Campus sehr aktivierend und die Momente, die ich für mich hatte, habe ich zu schätzen gelernt. Also keine Angst, falls ihr denkt, dass ihr in Ghana niemanden kennenlernen werdet!
#8 Wo ein Wille, da ein Weg
Ist Ghana das Land der unbegrenzten Möglichkeiten? Ich glaube nicht. Aber vieles ist möglich bzw. kann möglich gemacht werden. Privattaxi mitten in der Nacht zum Strand? Let’s go! Eigene Wohnung für ca. 300€? Na klar! Für 10€ drei leckere und reichhaltige Mahlzeiten essen? Absolut!
Auch hier gilt es offen zu sein und nach Rat zu fragen. Denn wichtig ist es nicht nur Geld zu haben, sondern vor allem auch Kontakte. Es lohnt sich also auf die Perspektive von Menschen zu bauen, die schon länger vor Ort leben.
#9 Trust the process
Der Prozess des Auslandsaufenthalts muss nur in seltensten Fällen von dir allein bestritten werden. Die Organisation meines Aufenthalts wurde selbstverständlich von meiner Heimathochschule begleitet und von der Gastuni in Accra mit organisiert. Hier konnte ich mir im International Programmes Office jederzeit Rat und Unterstützung holen, sodass ich eigentlich nie komplett lost war. Und egal wie besonders die Umstände sind, die Erfahrungen der International Offices sind so weitreichend, die haben alles schon gesehen.
#10 Check deine Privilegien
Das Thema ist vermutlich in vielen Situationen ein guter Rat, nicht nur für einen Auslandsaufenthalt in Ghana. Hilfreich kann hier zum Beispiel das Rad der Privilegien sein, um sich selbst zu reflektieren, aber auch die anderen Personen besser zu verstehen. Frag dich am besten: „Wie konnte ich es bis hier schaffen und welche Privilegien oder Umstände führen zu meiner Ansicht oder Position?“
Die Reflexion der eigenen Lebenssituation, aber vor allem meines Verhaltens im Kontext globaler Abhängigkeiten hat mir dabei geholfen mich als weißer queerer Cis-Dude in Ghana zu bewegen. Auch hier gilt wieder, bei Unsicherheiten zu kommunizieren bzw. lieber einmal mehr zu nachzufragen bevor bewertet wird.
Fazit
Wie ihr seht, war der fachlichen Wissensgewinn nicht so einschneidend wie die persönlichen Erfahrungen über mich selbst und meine Umgebung. Einen Auslandsaufenthalt in Ghana zu planen, mag am Anfang herausfordernder erscheinen und ist sicher mit mehr anderen Herausforderungen verbunden als vergleichbare Aufenthalte im westlichen Ausland. Dafür werdet ihr aber belohnt mit umfassenden Erkenntnissen über euch selbst und globalen Zusammenhängen und könnt dazu noch den Lifestyle einer afrikanischen Weltmetropole erleben.
Ich kann also jede*n motivieren einen Auslandsaufenthalt in Ghana zu starten.
Mit diesem Beitrag endet meine Zeit als Correspondent für studieren-weltweit.
Gerne könnt ihr mich aber auch weiterhin über Social Media kontaktieren.
Viel Spaß – Euer Tom.