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Die vergessene Stadt Sonntagsausflug nach Tripoli


Tripoli ist die nördlichste und zugleich zweitgrößte Stadt des Libanon. Als wir vor einiger Zeit mit einem feministischen Frauenforum die Akkar-Ebene besuchten und dabei einen kurzen Zwischenhalt in Tripoli einlegten, nahmen wir uns fest vor wiederzukommen. Gesagt, getan: Kommt mit in eine Stadt voll wechselhafter Geschichte, mamlukischen Souks und einem ewig unvollendeten Niemeyer Projekt.

Jedem Anfang wohnt ein Checkpoint inne

Libanons dicht besiedelte Küste

Nimmt man den Minibus von der zentralen Busstation Beiruts in Richtung Norden, muss man sich meist auf eines einstellen: Verkehr, Verkehr, Verkehr. An einem Sonntag habe man für die halbe Strecke, circa 25 Kilometer, mal vier Stunden gebraucht, erzählten mir Freunde erst kürzlich. So haben wir in weiser Voraussicht den Sonntag Morgen für unseren Ausflug auserkoren. Sonntag Morgen, perfekt, denken wir: die guten Christen sind in der Kirche, andere bei Freunden oder Familie und der Wochenendrückverkehr nach Beirut hat noch nicht begonnen. Zügig kommen wir voran: Jounieh, Jbeil, … Zwischen den Städten hört die Bebauung kaum auf und ich habe einige Zeit gebraucht, um überhaupt zu verstehen, dass das eine nichtmehr das andere ist. Nach Jbeil kommt einer der vielen Checkpoints im Libanon. Was hier gecheckt wird? Weiß keiner so genau. Die Checkpoints sind sichtbare Überbleibsel aus dem Krieg, die, wie viele unsichtbare Verletzungen, das Leben im Libanon immer noch mitbestimmen. Damals gab es solche der Armee, aber auch inoffizielle Checkpoints, die durch verschiedene Milizen kontrolliert wurden und ganz eigene politische Agenden verfolgten. Heute blicken natürlich nur noch Soldaten in libanesischer Uniform in den Bus hinein, die Zeit der Milizen gehört der Vergangenheit an. Der Fahrer kurbelt das Fenster runter, eine Begrüßung, ein kurzes ‚wie geht’s‘, dann kann man meist ohne Zwischenstop weiterfahren.

Krieg und Frieden: Eine kurze Geschichte Tripolis

Tripolis chaotische Innenstadt

In Tripoli angekommen habe ich, wie bei unseren anderen sehr kurzen Besuchen hier, das Gefühl, in eine andere Welt einzutauchen. Denn gegen das kosmopolitisch, im Krieg stark zerstörte und mit Wolkenkratzern wieder aufgebaute Beirut, ist Tripoli so richtig ‚arabisch‘. Hier gibt es alte Souks (das heißt ein traditionelles Marktviertel), Straßenhändler, Männergrüppchen, die in Parks Shishas rauchen, und junge Libanesinnen mit Hijab, die in Gruppen durch die Straßen laufen. Tripoli ist vorwiegend muslimisch. Seine Geschichte reicht bis in das 9. Jahrhundert vor Christus zurück, in dem die Phönizier an dieser Stelle einen Handelsstützpunkt errichteten. Unter mamlukischer und osmanischer  Herrschaft erlangte die Stadt zentrale Bedeutung. Tripoli, das war mal glänzende Metropole, Hauptstadt, Dreh- und Handelskreuz mit einem strategisch wichtigen Hafen. Tripoli, das ist vielen LibanesInnen, die nicht aus dem Norden kommen, mittlerweile suspekt. Einer der Gründe: ein andauernder Straßenkrieg, der für Jahre die sunnitische Mehrheit mit der alawitischen Minderheit kämpfen und die Stadt nicht zur Ruhe kommen ließ. Auch dank friedensstiftender NGO Arbeit, wie  zum Beispiel der von March (siehe Infobox), ist es hier seit einiger Zeit wieder ruhig, das Image aber bleibt. Das einst so schillernde Tripoli ist mittlerweile marginalisiert, bestätigt unsere Gastgeberin, von der Politik vergessen, die Menschen auf sich allein gestellt. Wenn man durch die voll gepackten Straßen fährt braucht man nicht lange, um diesen Eindruck bestätigt zu sehen. Die meisten der Häuser sind schlecht bis garnicht renoviert, viel Geld scheint nicht investiert worden zu sein, in den letzten Jahren. Ganz anders als die top sanierte Beiruter Innenstadt.

Cowboy und Citadelle

Der kleine Armeestützpunkt inmitten der Zitadelle

Wir beginnen unseren kleinen Rundgang in Tripoli mit einer Fahrt zur Zitadelle, die im 12. Jahrhundert erbaut und unter den Osmanen renoviert wurde und von der aus man die halbe Stadt überblicken kann. Mittendrin: Ein kleiner Armeestützpunkt. Nehme ich jedenfalls an. Einige Libanonflaggen, ein Tisch und mehrere Stühle, es scheint als hätte sich hier jemand übergangsweise eingerichtet. Hierbei fällt mir die hohe Polizei- und Armeepräsenz auch im Rest der Stadt auf. Deutlich höher als sonst im Libanon, wo ich mich an unerklärliche Checkpoints, Soldaten, die an unerklärlichen Orten unerklärliche Sachen bewachen und Kalashnikows im Straßenbild mittlerweile gewöhnt habe. Nach der Zitadelle geht es weiter in die alten mamlukischen Souks, wo Schmuck, Kleidung, Essen, Gewürze und vieles mehr verkauft wird, um anschließend einer der skurrilsten Sehenswürdigkeiten Tripolis zu besichtigen: Das Gelände der International Fair.

Seifenproduktion und Verkauf im mamlukischen Souk

Das unendliche Projekt: Oscar Niemeyer in Tripoli

Eines der Gebäude auf dem Messegelände, konzipiert von Oscar Niemeyer

Die International Fait ist ein Messegelände, geplant vom brasilianischen Stararchitekten Oscar Niemeyer, dessen Erbauung 1975 aufgrund des libanesischen Bürgerkriegs unterbrochen wurde. Seitdem befinden sich fünfzehn halbfertige Niemeyer Gebäude auf einem ein Quadratkilometer großen Gelände. Eine Oase, mit freien Grünflächen und hohen Palmen. Das Gefühl, mitten in einer Filmkulisse zu stehen. Unendlicher Zustand der Unfertigkeit. Im Krieg haben die syrischen Besatzer Niemeyer’s Projekt für einige Jahre als Quartier verwendet, seitdem finden hier ab und zu mal Messen statt. Meistens ist es jedoch ungenutzt und auch nicht immer für BesucherInnen offen, da scheint es auf die Gutmütigkeit des jeweiligen Pförtners anzukommen. Nach einer kurzen Fahrt entlang der Hafenpromenade, die sich erstaunlich gelassen gibt im Vergleich zum geschäftigen Treiben Tripolis, erklären wir eine Falafel in der Innenstadt zur letzten Amtshandlung unseres Besuchs. Mit umgerechnet 3 Dollar inklusive Getränk kommen wir dabei so günstig davon, wie noch nie in meinem libanesischen Auslandsjahr und auch hierfür ist Tripoli berühmt: Im Vergleich zur Hauptstadt erstaunlich günstig zu sein und außerdem eine unschlagbare Süßigkeitenkultur zu besitzen. Die solltet ihr euch bei eurem nächsten Tripolitrip nicht entgehen lassen.

Und jedes Idee ein wenig zu klein

An der Busstation angekommen fällt uns auf, dass es fast fünf Uhr ist. Wochenend-Rückreiseverkehr. Kein Problem, denken wir uns, und legen spontan einen Zwischenstop in der kleinen Küstenstadt Batroun ein, wo ein deutsch-libanesischer Freund von mir gerade eine Woche bei seinem Vater verbringt. Passend zum St. Patrick’s Day findet dort heute ein Open-Air Festival statt. Warum gerade die Libanesinnen dem irischen Bischof Patrick gedenken? Scheint erstmal unverständlich. Wer die libanesische Kultur kennt weiß aber, diesem Land ist jeder Grund, und eigentlich auch kein Grund gut genug, um ausgiebig zu feiern. Und so runden wir unseren ersten Eindruck von Tripoli mit einer Erfahrung ab, die wieder mal so garnicht in das Klischeebild des Libanon passen will. Einheimische und Ausländer, Junge und Alte, die zwischen Hot Pants und alkoholgeröteten Wangen, zwischen Elektro und rockigen Klassikern auf den Bänken tanzen. Und wieder merke ich, wie jede Idee ein bisschen zu klein ist, um  dieses Land zu begreifen.

Kommentare
  1. SaraS

    28. August 2017

    Ein schön formulierter Reisebericht. Ich finde du kannst ganz toll schreiben.

  2. Gabriele Rink

    5. April 2017

    Vielen Dank für den informativen und farbigen Bericht über Tripoli.
    Sollte man nicht verwechseln mit der Hauptstadt Libyens. !

    1. Maxie Rink

      10. April 2017

      In der Tat. Schon im Vorhinein wurde mir vom einen oder der anderen ‚viel Spaß in Nordafrika‘ gewünscht … Bei Tripolis in Libyen und Tripoli im Libanon ist die Verwirrung endgültig perfekt!

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