13. August 2017
Indien bringt mich manchmal an meine Grenzen. Das Land ist großartig, doch der Kulturschock sitzt tief. Meine Zeit hier ist eine emotionale Achterbahn – von Momenten der puren Dankbarkeit und Freude bis hin zu reiner Überforderung und ein paar Tränen. Aber zugegeben, ich hab hier auch meinen Spaß. Die Situationen, in denen ich einfach nur schmunzeln muss, sind unzählig, jeden Tag passiert etwas, wo ich mir denke „Hä?“. An manchen Tagen jedoch wusste ich wirklich nicht mehr weiter. Ich wusste manchmal nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Ein paar dieser Momente möchte ich hier mit euch teilen.
Meine Ankunft
Von meinem ersten Tag habe ich euch ja bereits erzählt. Ich saß zehn Stunden im Flugzeug, war müde, hatte Jetlag, fühlte mich ekelig; ich wollte nur duschen, schlafen und ankommen. Aber nein, ich wurde ohne Schlaf nach nur zwei Stunden Ruhe in die Schule gezerrt – für das volle Begrüßungsprogramm. Zwar habe ich das ganze lächelnd mitgemacht, aber ich hätte vor lauter Überforderung und Übermüdung auch einfach anfangen können zu weinen. Der Blick in die freudigen und erwartungsvollen Gesichter hat mir dann aber gezeigt, wie sehr sich alle auf mich gefreut haben. Das hat mich die Strapazen dann auch schnell wieder vergessen lassen.
Kaffeeklatsch mit Quasimodo
Mein dritter Tag in Indien begann mit einem juckenden Auge. Zuerst habe ich mir nicht viel dabei gedacht. Wahrscheinlich ein Stich oder ein Sandkorn… Im Laufe des Tages wurde es jedoch ein wenig unangenehm. Dennoch beließ ich es erst mal dabei. Der Blick in den Spiegel am nächsten Tag erschreckte mich dann aber umso mehr. Ich sah aus wie Quasimodo, der Glöckner von Notre Dame. Das Auge war rot, geschwollen und eitrig (Spoiler: Ich hab mir eine Augeninfektion eingefangen, die ich mit Antibiotikum wieder in den Griff bekommen hab). Meine Gastfamilie spielte meine Bedenken am Morgen jedoch runter. „Das passiert manchmal. Geh erst mal in die Schule und dann schauen wir.“ Gesagt, getan. Es ging mir zwar nicht gut, ich war verunsichert, sah furchtbar aus und der Schmerz in der rechten Gesichtshälfte war auch nicht zu unterschätzen. Dennoch hielt ich meinen Unterricht. Nach den drei Stunden lagen meine Nerven jedoch blank. Ich wollte nur noch heim und am liebsten vorher beim Arzt vorbei, um sicherzugehen, dass es nichts ernstes ist. Also sprach ich mit dem Rektor, der mich, nachdem ihn mein Anblick im Tageslicht dann auch schockierte, mit seinem Fahrer zum Arzt schickte. Wir nahmen noch eine Schülerin mit, um sie auf dem Weg zu Hause abzusetzen, da es ihr an diesem Tag nicht gut ging. Bei dem Mädchen angekommen, wurde auch ich überraschend aus dem Auto gewunken und ins Haus gebeten. Freudig wurde ich von der Mutter begrüßt und ins Wohnzimmer gebeten. Mir wurde Tee hingestellt und ich solle doch bitte von den Keksen kosten. Dann wurde Smalltalk gehalten. Über Indien, Deutschland etc. Alles war sehr nett und ich kann verstehen, dass die Leute interessiert und neugierig sind. Aber sehen sie nicht, dass es gerade nicht so gut passt? Die kranke Schülerin setzte sich tapfer dazu und lächelte mich an. Man sah auch ihr an, dass es ihr eigentlich nicht gut ging. Und so saß ich da. Mit eitrigem Auge und einer pulsierenden Gesichtshälfte und einer Tasse Tee auf dem Schoß zwischen einer kranken Schülerin, ihrer freudigen Mutter und dem Fahrer. Ich konnte es einfach nicht fassen, dass mir niemand ansah, dass ich einfach nur allein sein wollte. Das war doch rot auf mein Gesicht geschrieben! Und aufgepumpt war es doch auch noch! Auch in dieser Situation war der Grad zwischen lachen und weinen sehr schmal. Zum Glück hab ich irgendwann die Kurve bekommen und dezent auf mein Auge hingewiesen, sodass ich dem Kaffeeklatsch dann auch schnell entkommen konnte.
Unterrichtsvorbereitung auf Indisch
Ich halte mich für einen sehr spontanen und flexiblen Menschen. Wenn was kurzfristig gemacht oder geändert werden soll, kein Problem, mach ich doch glatt. Aber für Indien bin ich (noch) nicht spontan und flexibel genug. Nachdem ich mich in die Gegebenheiten des Deutschunterrichts der einzelnen Klassen reingefuchst, alles mit der Koordinatorin abgesprochen habe, plante ich meinen Unterricht für die zwei Wochen hier. So eine Vorbereitung ist schon recht zeitintensiv, aber mein Aufenthalt soll ja auch für alle den größtmöglichen Mehrwert haben. Hier ist alles ein wenig unübersichtlich für mich. Ich hab das System noch nicht ganz verstanden. Im Fach Deutsch behandelt die 7. Klasse den gleichen Stoff wie die 10. Klasse. Die achte Klasse ist ein Kapitel weiter als die neunte. Und irgendwie sitzen überall in den Lerngruppen Schülerinnen und Schüler, die noch gar kein Deutsch können. Hä?!
Aber egal. Challenge accepted. Leider habe ich nicht mit der Koordinatorin gerechnet. Spontan sollte ich doch lieber in diese Klasse gehen, dort ein Lied einstudieren und ach, im Politikunterricht wäre eine Präsentation des deutschen Regierungssystems schön! Puh, das kostete mich schon so einige Nerven. Besonders, weil die Politikpräsentation, für die ich zwei Stunden recherchiert hab, dann doch nicht stattfand.
Was das ganze dann noch mit einem geschmückten „Festsaal“, meinem entzündeten Auge, einer zu haltenden Rede und Videokameras zu tun hat, erzähle ich auch ganz bald. Denn auch da wusste ich nicht so recht, ob ich lachen oder weinen sollte… Aber so ist das wahrscheinlich hier in Indien. Alles ein wenig anders – und nichts für schwache Nerven ☺