2. Februar 2019
Endlich hat mein Semester in Ouagadougou angefangen. Meine Freunde in Deutschland fragen mich, wie die Inhalte sind, welche Themen besonders interessant sind und wie die Profs so drauf sind. Hier berichte ich ein wenig von meinem Alltag in der UO.
Nach einiger Zeit des Wartens auf Infos über unseren Semesterbeginn hing im Dezember plötzlich unser Stundenplan aus. Ich habe erfahren, dass ich sechs Kurse in der Woche habe, jeden Kurs sechs Zeitstunden lang. Es gibt Einheiten von 7 bis 13 Uhr und von 15 bis 21 Uhr. Zwischendurch Pausen, je nach Prof. Ganz schön heftig – an zwei Tagen habe ich Vorlesungen von 7 bis 21 Uhr.
Ähnlich wie ich es auch von der TU Berlin kenne, lief das Semester langsam und nicht so hektisch an. Anfang Januar stellen die Profs die Inhalte vor, einige kündigen schon das Datum der Prüfung an und andere gedulden sich damit zunächst. Was mir neu ist, ist, dass die meisten Profs neben ihrer Anstellung an der Uni noch andere berufliche Aktivitäten haben, einfach wegen der Bezahlung der Uni, die nicht unbedingt ausreicht. Das führt dazu, dass unsere Vorlesungen auch hin und wieder mal ausfallen müssen. Das hielt sich aber bisher in Grenzen.
Welche Kurse hat man im 5. Semester Soziologie an der UO?
Die Kurse sind festgelegt, selbst auswählen kann man nicht. Auf dem Plan stehen Informatik, Sozio-Anthropologie und Entwicklung, Demografie, Soziolinguistik, Epistemologie und politische Ökonomie. Mein größter Wunsch und Hauptgrund für die Wahl Burkinas als Zielland ist in Erfüllung gegangen: Ich mächte einen Einblick in die lokalen Theorien und Bewertungen der Entwicklungspolitik bekommen. Während der ersten Woche habe ich zu meinem Glück schon bemerkt, dass es fast in jeder Vorlesung um die „Entwicklung des Landes und des Kontinentes“ geht.
Familienplanung in Deutschland im Vergleich zu Burkina Faso
In der Vorlesung Demografie ist ein Hauptthema der demografische Wandel, also das Bevölkerungswachstum in der Region. Wir nehmen die westliche Entwicklungspolitik durch, die sogenannten Entwicklungsländern eine Familienplanung gegen finanzielle Vorteile „anbietet“, die die Länder nicht abschlagen können. Diese Politik stößt in der Bevölkerung meist auf großes Entsetzen, da Kinder hier der größte Reichtum überhaupt sind. Gleichzeitig ist aber auch die Tendenz erkennbar, dass vor allem in den Städten Frauen nur noch zwei bis vier Kinder bekommen möchten.
Das heißt, die Bevölkerung in Deutschland schrumpft. Die beiden Eltern werden von 1,5 Kindern nicht mal ersetzt. Was meint ihr, wie ich als Deutsche von meinen Kommilitonen bemitleidet wurde, dass mein Volk bald aussterben wird?
Ich selbst bin ja in meinem Praktikum mit dem Thema Familienplanung in Kontakt gekommen. Mit AMPO und dem Ciné Mobile sind wir in Dörfer gefahren und haben Menschen über Verhütungsmittel aufgeklärt bzw. dafür geworben. Die Politik Burkinas hat vor, die Zahl der Geburten zu reduzieren, somit zu einem Zeitpunkt weniger Menschen versorgen zu müssen und dadurch ein wirtschaftliches Wachstum zu ermöglichen. Das wird als demografische Dividende bezeichnet.
Kritischer Blick auf „Entwicklungspolitik“
Im Kontrast dazu lernen wir in der Vorlesung „Sozio-Anthropologie und Entwicklung“ eine kritische Perspektive des Entwicklungsansatzes und deren Alternativen kennen. Grundsätzliche Fragen dabei sind:
- Mit welchen Erwartungen, Ideen, Konzepten kommen Forscher in afrikanische Länder und stellen die Situation vielleicht anders dar als sie von Einheimischen wahrgenommen wird?
- Was heißt „nachhaltige Entwicklung“ in einem Land, das erst durch die „Entwicklung“ die Umwelt verschmutzt (Abgase, Plastiktüten etc., die importiert werden)?
- Ist „Entwicklung“ unbedingt mit einer guten Integration in den Weltmarkt verbunden, auf dem die Produzenten unter dem Druck der westlichen Qualitätsstandards leiden?
Ich beschäftige mich schon länger mit diesen Themen, erkenne aber hier jetzt so richtig die Schwierigkeiten, sich zu positionieren. Wer möchte heute schon auf sein Moped als Verkehrsmittel oder Nescafé zum Frühstück verzichten? Keiner. Da steht es erstmal außer Frage, den lokalen Kaffee zu kaufen, denn der ist teurer. Und sich mit einem Fahrrad zu begnügen, ist auch schwierig.
Selbst als Baumwollfarmer ist es schwierig, auf den chinesischen oder deutschen Abnehmer zu verzichten, auch wenn die Preise unfassbar niedrig sind. Wenn hier keine Textilfabrik die Baumwolle ankauft und verarbeitet, dann besteht keine Wahl und der Weltmarkt ist die einzige Lösung.
Mir gefällt der Ansatz der Uni, verschiedene Perspektiven zu diskutieren. So bilden sich unter Studenten unterschiedliche Meinungen aus und die Hoffnung besteht, dass diese in Zukunft auch politisch stark vertreten werden und der ökonomische Fokus ein wenig durch sozialwissenschaftliche Diskurse ergänzt wird.