14. Juni 2017
„Na, wie war dein Jahr im Ausland?“ Kurze Pause, dann ein nettes Lächeln. Ein jeder, der schon einmal in der weiten Welt unterwegs war, weiß, dass ein einfaches „richtig gut“ das Erlebte ziemlich unterrepräsentiert. Du willst wissen, wie es war? Dann setz dich besser hin, mach’s dir bequem, hol dir ein neues Bier. Denn ich erzähle dir jetzt eine Geschichte von Gefühlen, Freunden und Freiheit.
Es war ein Tag wie jeder andere, als ich nach Irland zog. Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten und bei Ryanair versuchte man wie üblich, den Fluggästen Lose zu verkaufen. Etwas war aber trotzdem anders: Ich. Ein bisschen aufgeregt, aber voller Vorfreude und fast ohne Übergepäck sah ich Irland an diesem Tag mit anderen Augen. Denn kein Urlaub dieser Welt bereitet einen auf das Gefühl vor, in einem fremden Land anzukommen und zu wissen: Das wird für die nächste Zeit mein Zuhause sein. Unsicherheit vor den ersten Kontakten ist dabei genauso normal wie Angst, dass eigene Erwartungen enttäuscht werden. Doch vor allem überwiegt die Freude, dass es endlich losgeht!
Kommt Zeit, kommt Freund
Gute Freunde sind Gold wert. Das merkt man besonders, wenn man weit weg von Familie und alten Freunden aus der Heimat ist. Wie lernt man also schnell so viele neue Leute wie möglich kennen? Gar nicht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass oberflächliche Bekanntschaften ziemlich anstrengend sind. Ein guter Freund, der mit dir Fressorgien startet, ist viel mehr wert als zahlreiche Bekannte, mit denen man zwar prima im Pub sitzen, aber nicht über die Dinge des Lebens reden kann. Dass so jemand nicht gleich wartend am Flughafen steht, versteht sich von selbst. Kommt Zeit, kommt Freund. Wer authentisch, offen und fröhlich ist, wird im Ausland damit keine Probleme haben. Denn Ausland verbindet.
Mein Jahr in Irland wäre nicht das gleiche gewesen, wenn es nicht genau so eine Person in meiner Geschichte geben würde. Was als friedliche Koexistenz zwischen Kommilitonen in der Uni begann, hat sich in Irland zu einer Freundschaft entwickelt, die Winnetou und Old Shatterhand locker in den Schatten stellt. Wer schon einmal in meinen Blog geschaut hat, wird sie schon kennen: Jana. Ironiebefürworterin, Weinkönigin und beste Zuhörerin. Die beste Partnerin in Crime, die ich mir hätte wünschen können. Schön, dass es dich gibt, liebe Jana!
Man sprach von Kulturschock
Linksverkehr? Der irische Akzent? Hohe Lebensmittelpreise? Also bitte! Nach zwei Auslandsjahren in Ecuador und Spanien hielt ich mich für immun gegen jede Art von Kulturschock… und hätte es besser wissen müssen. Jedes Land dieser Welt ist so einzigartig, dass Überraschungen so sicher kommen wie die Lottozahlen nach den Nachrichten. Die Herausforderung dabei ist, sein Leben an die neuen Umstände anzupassen. Beim Überqueren der Straße erst nach rechts zu gucken. Englisch zu seiner Denk- und Traumsprache zu machen. Mit Pulli und dicken Socken zu schlafen, weil es nachts zu kalt wird. Und glaubt mir, dabei lernt man sich selbst so richtig kennen. Sich selbst und seine Bequemlichkeit.
Das Schönste am Leben im Ausland
Der Moment, in dem du dich in deinem neuen Alltag eingelebt hast, ohne Hilfe den Weg in die Vorlesungsräume findest, weißt, wo du die besten Lebensmittel einkaufen kannst, und die neue Sprache zum Automatismus wird, dieser Moment ist unbezahlbar. Wenn du dann noch Leute kennenlernst, mit denen du auf einer Wellenlänge bist, neue kulinarische Köstlichkeiten entdeckst und anfängst, deine neue Unabhängigkeit mit spontanen Ausflügen oder anderen Aktionen zu genießen, dann ist es perfekt. Noch nie bin ich so viel gereist wie während meiner Erasmus-Zeit. Und man wird ganz von selbst zum Geschichtenerzähler.
Für mich gibt es nicht die eine Sache, die das Schönste am Ausland ist. Es ist das Gefühl, dort zu sein, mit sich selbst, mit anderen. Das Gefühl, immer wieder über seinen Schatten springen zu müssen und sich selbst dabei zu überraschen. Herausforderungen zu meistern, Unistress mit sämtlichen Ich-kann-nicht-mehr-Momenten zu überstehen. Das ist nicht anders als in Deutschland auch.
Das Schöne am Ausland ist aber auch zu wissen, dass es Menschen zu Hause in Deutschland gibt, die trotz der Entfernung immer irgendwie da sind. Es ist so einfach, heutzutage in Kontakt zu bleiben, dass man eher zusehen muss, nicht ständig mit dem halben Kopf woanders zu sein.
Bin ich das wirklich? Über’s Alleinsein und andere Annehmlichkeiten
Allein zu sein, das muss jeder lernen. Ob es einem gefällt, ist Typsache, keine Frage. Ich bin zum Beispiel jemand, der gerne allein ist. Natürlich kenne ich auch das Gefühl, wenn man denkt, etwas zu verpassen. Besonders, wenn andere Leute ihr gesamtes „aufregendes“ Privatleben auf den sozialen Netzwerken breittreten. Aber wozu der Stress? Es ist schön, Quality Time mit sich selbst zu verbringen. Mut zur Langeweile!
Es mag etwas unverständlich klingen, wenn ich behaupte, ich weiß jetzt besser, wer ich bin und was ich will. Als Ausländer habe ich zum Beispiel gelernt, was es heißt, sich deutsch zu fühlen. Hätte mich das vorher jemand gefragt, hätte ich nur eine vage Antwort geben können. Effizienz, Pünktlichkeit und Direktheit sind nicht ohne Grund einige unserer Stereotypen. Vorher hätte ich nicht ohne Weiteres behaupten können, dass ich stolz bin, deutsch zu sein. Auch wenn man mit solchen Aussagen immer noch riskiert, schräg angeguckt zu werden, merkt man im Ausland doch relativ schnell, dass man aus einem Land kommt, in dem es einfach läuft. Und wie viel einfach für uns eine Selbstverständlichkeit ist. Angefangen bei Heizungssystemen über Lebensmittel bis hin zur Infrastruktur. Wenn man nicht aus seiner Komfortzone getrieben wird, werden einem diese Dinge nur schwer bewusst. Außerdem kommen während des Erasmus-Semesters so viele unterschiedliche Leute zusammen, dass man schnell merkt, welche Art von Mensch gut für einen ist und dass man seine Zeit und Energie lieber nicht mit denen verschwendet, die es eben nicht sind.
Wie schnell doch die Zeit vergeht!
Jetzt, nach meinen zwei Jahren Ausland, kehre ich voller Vorfreude auf Altbekanntes nach Deutschland zurück. Davor habe ich mich immer rastlos gefühlt, wollte raus, was von der Welt sehen. Leute treffen. Ungebunden sein. Mit Fotos, Erinnerungen und neuen Freundschaften kann ich nun auf zwei unglaubliche Jahre zurückblicken, die ich um keinen Preis missen wollte. Ich kenne die Welt nun ein kleines Stückchen besser und bin dankbar für all die schönen Momente.
Mein Plan für die nächste Zeit? Irgendwo so richtig ankommen. Vor zwei Jahren hätte mich das niemand sagen hören, aber so ändern sich die Dinge. Ich habe gemacht, was ich machen wollte und gesehen, was ich sehen wollte.
Been there, done that.
Danke für’s Lesen, ihr Lieben! Es war mir eine Ehre.
Caro
5. Mai 2019
Einfach super geschrieben. Ich kann mich in deinem Text mit all den Erfahrungen, Klischees und Eigenarten der Iren wiederfinden, da ich selber ein Monat (allerdings nur)da war. Habe in dieser kurzen Zeit aber schon all das erlebt was du hier beschreibst. Einfach super. Danke dafür.
Nömi
14. Januar 2019
Hi! Super spannender Bericht, danke dir! Könntest du uns verraten, was genau du studierst? Die Kombination mit Sprachen und Wirtschaft hört sich sehr interessant an! Ich brauche leider dringend Inspiration
Silva
14. Januar 2019
Hi Nömi!
Danke für die lieben Worte! Das Studium heißt tatsächlich auch „Sprachen und Wirtschaft“und wird an der TH Köln angeboten. Es wird allerdings in der Form, in der ich es gemacht habe, in Zukunft nicht mehr weiterlaufen, dafür aber leicht verändert in den Parallelstudiengang „Mehrsprachige Kommunikation“, ebenfalls an der TH, integriert. Vielleicht ist der ja was für dich? Schau doch mal auf der Website nach. Ansonsten gibt es auch Studiengänge wie European Business, die ebenfalls für Auslandssemester angelegt und vom Inhalt, zumindest grob, vergleichbar mit meinem sind. Viel Glück bei der Suche! Silva
Mascha
16. Juli 2017
Ein wunderschöner Resümee-Text, der Lust auf Erasmus und Irland im Besonderen macht! Vielen Dank fürs Teilen Deiner Erfahrungswerte und alles Gute für die Zunkunft! 🙂