31. Januar 2024
Meine Reiselust ist zwar noch lange nicht gestillt, aber mein Abenteuer in Gambia neigt sich dem Ende zu. Vier wundervolle Monate im kleinsten Land Afrikas mit so vielen Momenten gefüllt mit Glück. Ich möchte in diesem Beitrag auf meine Zeit zurückblicken, Abschied nehmen und in die Zukunft blicken. Und auch ganz wichtig: Habe ich eigentlich meine Mission erfüllt?
Rückblick auf vier Monate Gambia
Mein Alltag und das Leben in Gambia waren oft recht simpel, doch umso mehr habe ich es geliebt. Den langsamen Alltag, die Gelassenheit der Dinge. Die Routine von der Arbeit mit der NGO, den Nachmittagen und Sonnenuntergängen am Strand, der intensiven Freundschaft mit meiner Projektpartnerin Luisa und Essen in unserem Lieblingsrestaurant. Unser Lieblingsrestaurant lag gleich um die Ecke, der Besitzer heißt Ibrahima und sein Restaurant deshalb I-mix. Die Küche ist offen, etwa 2 Quadratmeter groß. Gleich nebenan ist ein kleiner Raum von vielleicht 4 Quadratmetern mit ein paar Bänken, in denen die Leute nebeneinandersitzen und gemeinsam essen. Es ist immer etwas los, das Licht flackert, Leute kommen herein, um Hallo zu sagen, Hunde und Katzen liegen unter dem Tisch. Mittags gibt es Reis mit drei verschiedenen Soßen, abends Spaghetti mit Zwiebelsoße, Pommes und gegrilltem Fisch. Dieser Ort mit seiner Atmosphäre ist eines der Dinge, die ich am liebsten in ein Marmeladenglas packen würde, damit ich ihn jederzeit wieder rausholen kann, wenn ich ihn vermisse.
Was mich anfangs noch wahnsinnig gemacht hat, habe ich am Ende schätzen gelernt und möchte es beibehalten: die Gelassenheit des Alltags. Während ich am Anfang noch genervt war, dass es wenig Pünktlichkeit und keinen geregelten Fahrplan für Busse gibt und ich deshalb nicht planen konnte, wann ich zu Hause los muss und wann ich wo ankommen würde, war es am Ende eine unglaubliche Erleichterung, einfach in den Tag hinein leben zu können. Ich wusste nicht, wann wo was genau passieren würde, aber am Ende klappt alles auch ohne Planen und Pünktlichkeit und die Dinge entwickelten sich von alleine.
Auch wenn es auf den sozialen Medien so erscheint und all meine Fotos toll aussehen, trügt der Schein und natürlich gab es auch schlechte Momente. Es gab Tage, an denen ich Heimweh hatte oder es Schwierigkeiten und Missverständnisse bei unserem Projekt gab und ich dadurch dessen ganze Sinnhaftigkeit hinterfragt habe. Es gab öfters Situationen, in denen ich mit kulturellen Unterschieden konfrontiert war und nicht genau wusste, wie ich mich richtig verhalten sollte. Während ich mich in Europa in meiner gewohnten Blase frei bewege, war ich in Gambia plötzlich mit Themen wie krasser Armut, patriarchalen Strukturen, Umweltproblemen und der Absenz von Gleichberechtigung und ausreichenden Menschenrechten konfrontiert. Inwiefern sollte ich Dinge akzeptieren und ab wann etwas sagen? Inwiefern ist es überhaupt meine Rolle und wann steht es mir zu, mich einzumischen?
Es gab auch einige Dinge, die mich positiv überrascht haben. Ich hatte nicht mit dieser unglaublichen Offenheit und Gastfreundlichkeit der Menschen gerechnet. Jeden Tag von allen Seiten mit einem freundlichen ‚Hello Kalama (mein gambischer Name), Nanga def` (‚Wie geht’s?‘ in Wolof). Sobald ich krank war oder ein paar Tage unterwegs, hat das ganze Viertel nach mir und Luisa gefragt und uns dann gleich für den nächsten Tag zum Mittagessen eingeladen. Zwischen den Menschen gibt es einen unglaublichen Zusammenhalt und viel Hilfsbereitschaft, die ich anderswo noch nie so erlebt habe. Ich erinnere mich an einen Sonntag, an dem ich wie gewohnt am Stand um die Ecke Bananen kaufen wollte. Leider hatten am Sonntag aber alle Bananenstände zu, und so wurde ich von einer hilfsbereiten Person zur nächsten weitergeleitet, bis ich am Ende bei einer Familie im Wohnzimmer auf dem Sofa umringt von Kindern saß und von der Cousine der Großmutter der Nachbarin Bananen geschenkt bekommen habe.
Auch das Konzept von ‚elastic families‘ (elastischen Familien) ist wunderschön und spielt dabei eine Rolle. In Gambia und auch generell Westafrika muss keine Blutsverwandtschaft bestehen, um zur Familie zu gehören – und Familie ist ein sehr dehnbarer Begriff. Anfangs stellte Ablie, der Leiter der NGO, uns viele Leute aus dem Viertel vor und meinte oft, dass jemand sein Bruder oder seine Schwester sei. Luisa und ich gingen automatisch von biologischer Verwandtschaft aus. Nachdem er uns aber irgendwann bestimmt 20 Geschwister vorgestellt hatte, wurden wir doch stutzig und hakten genauer nach. Ablie erklärte uns, dass in Gambia auch gute Freunde und Nachbarn zur Familie zählen und dass auch Luisa und ich jetzt Teil seiner Familie wären. Ein sehr schöner Gedanke, den ich beibehalten möchte.
Mission erfüllt?
Zur Erinnerung: Meine drei Missionen habe ich in meinem ersten Artikel beschrieben. Sie sind: Noch mal sinnvoll ins Ausland gehen und die Welt entdecken, mir eine eigene Meinung vor Ort über Entwicklungszusammenarbeit bilden und im Bereich Klima-/Umweltschutz und Gender Arbeitserfahrungen sammeln.
Nach nun fast drei Jahren im Ausland habe ich definitiv viele Perspektivenwechsel erleben dürfen und eine Menge gelernt. Meine Projektarbeit in Gambia hat mich dabei weiter die Welt entdecken lassen und war auf jeden Fall eine sinnvolle Art, dies zu tun. Anstatt ’nur‘ zu reisen, konnte ich die NGO bei ihrer Arbeit unterstützen und das lokale Leben vor Ort richtig kennenlernen, anstatt nur kurz als Touristin vorbei zu schauen.
Meine Meinung über Entwicklungszusammenarbeit wurde durch die Zusammenarbeit mit der NGO vor Ort und vielen Gesprächen und Diskussionen mit verschiedenen Menschen weiter geformt, gleichzeitig sehe ich viele Dinge nun aber noch kritischer als zuvor. Dazu zählt die oft fehlende Nachhaltigkeit von Projekten, das Fortbestehen von postkolonialen Strukturen, fehlende Augenhöhe von allen Beteiligten sowie das Kreieren von finanziellen Abhängigkeiten. Ich habe für mich festgestellt, dass Entwicklungszusammenarbeit noch mal weitaus komplizierter und vielschichtiger ist, als ich es mir vorgestellt hatte. Deshalb war mein Projekt in Gambia auf jeden Fall hilfreich, aber es ist unmöglich, dass ich mir aufgrund dieses einen Projekts eine allumfassende Meinung über so einen weitreichenden Bereich bilde. Ich habe die positiven Seiten und Ergebnisse unseres Projekts gesehen, aber öfters auch negative Sachen bemerkt oder dessen Sinnhaftigkeit oder Nachhaltigkeit in Frage gestellt. Ich denke, dass diese Tatsache mein Interesse an dem Thema Entwicklungszusammenarbeit deshalb aber sogar noch verstärkt hat und darum würde ich gerne in Zukunft in dem Bereich arbeiten. Meines Erachtens gibt es viele Dinge, die verbessert und geändert werden könnten bzw. sollten, aber anstatt sich stattdessen davon abzuwenden, ist das für mich eher eine Motivation, Teil der Veränderung zu sein.
Definitiv konnte ich aber Arbeitserfahrung in meinem Lieblingsbereich sammeln. Mein Lieblingsmoment war dabei während eines Workshops in einer Schule, als die Mädchen sich in meinen Erklärungen über den Zusammenhang von den Auswirkungen vom Klimawandel auf Mädchen und Frauen wiedererkannt haben und dann Feuer und Flamme waren. Zudem war es eine sehr lehrreiche Erfahrung, einen Einblick in die Arbeit einer kleinen lokalen NGO vor Ort zu erhalten und die Schwierigkeiten, mit denen man im Umwelt- und Klimabereich konfrontiert ist. Ich würde also sagen: Mission erfolgreich erfüllt!
Abschied nehmen – schwerer als gedacht
Zum Abschied bin ich noch einmal durch meine Nachbarschaft gelaufen und habe mich von all den lieben Menschen, die meinen Alltag versüßt haben, verabschiedet (mehr zu meinem letzten Tag seht ihr auch in meiner letzten Story).
Wie verabschiede ich mich von einem Land, da so fern von meinem Zuhause ist und bei dem ich nicht weiß, wann ich wieder kommen kann. Ist das nächste Wiedersehen mit all den neu gewonnenen Freunden in fünf, zehn oder gar erst zwanzig Jahren? Nach all meinen Auslandsaufenthalten dachte ich, dass mir Abschied nehmen inzwischen leichter fallen würde. Dass ich mich daran gewöhnt hätte, Menschen und Orte, die ich ins Herz geschlossen habe, hinter mir zu lassen. Leider musste ich feststellen, dass es jedes Mal aufs neue schwierig ist. Ich bin ohne großartige Erwartungen und Vorstellungen nach Gambia gekommen und wurde umso mehr positiv überrascht und mit voller Begeisterung in den Sog dieses Landes gezogen. Zum Gackern der Hühner und dem Meckern der Ziegen aufwachen, das Tapalapa Omelette zum Frühstück auf der Bank beim Laden um die Ecke, die Freundlichkeit und Zusammenhalt der Menschen, die Gelassenheit des Alltags und die Sonnenuntergänge bei der unendlichen Weite des Ozeans. All das wird mir unglaublich fehlen, aber ich bin froh, diese Erfahrung gemacht haben zu dürfen.
Und jetzt? Blick in die Zukunft
Wo geht es nun für mich hin? Meine Reiselust ist – Überraschung – immer noch nicht gesättigt und das Wetter in Deutschland noch zu kalt und grau. Deshalb verbringe ich nun noch mal einen guten Monat in Dakar im Senegal zum Surfen lernen und Französisch aufbessern, bevor es dann ab März für fünf Monate nach Berlin geht für ein Robert-Schuman-Praktikum beim Europäischen Parlament. Nach fast drei Jahren im Ausland freue ich mich sehr, mal wieder etwas mehr Zeit in Deutschland mit Freunden und Familie verbringen zu können und meine Liebe für deutsche Bäckereien und Supermärkte ausleben zu können. Ob Berlin allerdings erneut nur ein Aufenthalt von ein paar Monaten sein wird oder ob ich für länger bleibe, steht noch in den Sternen. Wo lasse ich mich nieder, wenn zu Hause inzwischen nicht mehr nur ein Ort bedeutet, sondern vielmehr mehrere Orte und Menschen überall auf der Welt in verschiedenen Ländern gleichzeitig? Wenn ich zur gleichen Zeit Sehnsucht nach all den wunderbaren Orten und Menschen habe, die ich in den letzten Jahren zurückgelassen habe, mich im aktuellen Leben wohl fühle und die Verlockung der unbekannten Ferne mich aber auch für das nächste Abenteuer zu sich ruft. Wie viele Leben und verschiedene Versionen meiner selbst werde ich noch kreieren, bevor ich gesättigt bin? Wie Tamara in ihrem Artikel über Abschied sehr schön beschrieben hat: „Es fühlt sich so an, als lebe ich in einem ständigen Schwebezustand – dauernd auf der Suche und nie ganz in der Lage, mich niederzulassen und Wurzeln zu schlagen.“ Mal sehen, wo mich die unendliche Suche nach dem Unbekannten und Abenteuern als nächstes hinführen wird. Eines aber ist sicher: All die wunderbaren Erinnerungen an Menschen und Orte habe ich fest in mein Herz geschlossen und sie werden mich überallhin begleiten.