31. Oktober 2022
La Réunion vereint nicht nur alle Landschaften, die man sich vorstellen kann, sondern ist auch sprachlich sehr interessant. Ab und zu hörst du in den Straßen afrikanische oder asiatische Sprachen wie Malagasy, Tamil oder Gujarati. Diese nehmen aber im öffentlichen Leben keinen großen Stellenwert ein. Die einzige offizielle Sprache auf der Insel ist Französisch, daneben hörst du aber vor allem Kreolisch. Was genau ist aber dieses Créole Réunionnais?
Da ich Linguistik studiere, darf auf jeden Fall ein Blogbeitrag zu den Sprachen, die hier gesprochen werden, nicht fehlen. Et voilà, hier ist er jetzt endlich 🙂 Französisch wird in allen offiziellen Kontexten gesprochen: in der Uni, Schule oder im Fernsehen. Kreolisch hört man im Supermarkt, in der Bäckerei und vor allem im familiären Kontext. Unser Nachbar ist 78 Jahre und spricht beispielsweise nur Kreolisch. Auch wenn das Créole Réunionnais auf dem Französischen basiert, verstehe ich leider trotzdem nur einzelne Wörter, wenn er schnell redet. Vielleicht ändert sich das aber noch nach meinem Kreol-Kurs an der Universität!
Von arabischen Seefahrern, Sklavenhandel und Zuckerrohr
Das sogenannte Créole Réunionnais hat sich im Laufe der Jahrhunderte aus einem engen Sprachkontakt und vielen historischen sowie soziokulturellen Einflüssen ergeben. Um die Entstehung der Sprache zu verstehen, kommt jetzt ein kurzer schneller Überblick über die Geschichte der Insel (dieser ist aber auf keinen Fall ausführlich, sondern dient nur dazu die Sprachentwicklung und die verschiedenen Einflüsse besser zu verstehen und geht deshalb auch nur auf die wichtigsten Punkte diesbezüglich ein!).
Ich fange mal im 12. Jahrhundert an, wo die Insel von arabischen Seefahrern unter dem Namen „Dina Maghrabin“ entdeckt wurde. Als erster europäischer Seefahrer kam der Portugiese Pedro Mascarenhas 1507 nach La Réunion. Nach ihm wurde dann später die Inselgruppe „Maskarenen“, die heute La Réunion, Mauritius und Rodrigues umfasst, benannt. Fast 130 Jahre später landeten die Franzosen auf der Insel, die sie als „île Bourbon“, benannt nach dem französischen Königshaus der Bourbonen, in Besitz nahmen. Um 1665 ließen sich die ersten dauerhaften Siedler auf der Insel nieder.
Ab den 1730ern startet das goldene Zeitalter des Kaffees. Das Problem? Man brauchte Leute, die arbeiten. Und damit begann nicht nur die Sklaverei (durch das Eintreiben von Sklaven hauptsächlich aus Ostafrika und Madagaskar), sondern auch die sogenannte „métissage“. Ich habe lange nach einem deutschen Wort gesucht, um das französische „métissage“ zu beschreiben. Im Wörterbuch findet man „Mischform“ oder „Rassenmischung“, aber ich finde da ist im Deutschen eine leicht negative Konnotation bei und daher stellt es keine equivalente Übersetzung dar. Im Französischen ist dies ein objektives, neutrales Wort, deshalb werde ich es in diesem Blogartikel auch dabei belassen und das französische Wort verwenden.
Mit der Ausweitung des Zuckerrohrvertrieb ab 1800 wurde auch der Sklavenhandel massiv ausgebaut. Diese kamen nun aus ganz Afrika und sprachen dementsprechend auch alle unterschiedlichen Sprachen. Das und der Fakt, dass sie sehr jung waren, seien wohl die Hauptgründe dafür, dass es kaum Aufstände gab.
Am 20. Dezember 1848 wurde die Sklaverei offiziell und endgültig verboten. Seitdem ist der 20. Dezember der wichtigste Feiertag auf der Insel und ich freue mich schon sehr, dass ich die Festlichkeiten hier miterleben und dich so auch dabei mitnehmen kann!
Was all dies mit Ohren zu tun hat
Durch verschiedene Handelsgeschäfte kamen viele andere Nationalitäten auf die Insel und die métissage verstärkte sich. Der Handel mit Textilien beispielsweise führte zur Einwanderung vieler indischer und pakistanischer Menschen. Durch die offizielle Ernennung als französisches Überseedepartment 1946 kamen auch viele Franzosen der Metropolregion. Warum werden diese eigentlich als „Zorey“ bezeichnet? Zorey ist das kreolische Wort für oreilles (dt. Ohren) und es gibt drei geläufige Geschichten zu dem Ursprung. Ich starte mal mit der schöneren: Als die Métropolitains auf La Réunion ankamen, bekamen sie rote Ohren, weil sie die Hitze und das tropische Klima nicht gewohnt waren. Die zweite Erzählung besagt, dass die Métropolitains ihre Sklaven aufgrund der Sprachunterschiede nicht verstanden und deshalb die Hände an ihre Ohren gestreckt haben. Die letzte Version ist, dass die Plantagenbesitzer ihren Sklaven die Ohren abgeschnitten haben, damit sie nicht weglaufen konnten.
Es entstanden für jede Gruppe individuelle Bezeichnungen, die ich dir im folgenden aufgelistet habe. In diesem Zusammenhang ist es noch wichtig zu erwähnen, dass dies nicht abwertend oder rassistisch ist, sondern sich die Menschen selbst auch so nennen.
KAF = Personen, die von ehemaligen Sklaven abstammen
MALBAR = Personen mit indischen Wurzeln
SINOI = Personen mit chinesischen Wurzeln
ZARAB = Personen mit pakistanischen Wurzeln
ZOREY / Zoreille = Personen aus Frankreich (Metropolregion)
COMORE = Personen aus Mayotte
Eine Sprache für alle?
Durch die vielen verschiedenen Nationalitäten entstand schließlich die Notwendigkeit eine gemeinsame Sprache zu erschaffen – es entwickelte sich das Créole Réunionnais. Als Basis dient die französische Lexik, aber circa 30 % der Wörter stammen aus anderen Sprachen. Anfangs wurde es nur als Dialekt oder Patois angesehen, mittlerweile hat es aber den Status einer eigenen Sprache. 1810 gab es die ersten schriftlichen Zeugnisse, 1830 mit der Übersetzung der Fabeln von Fontaine die ersten literarischen Schriftstücke. Zuerst wurde so geschrieben, wie man es gehört hat. Dadurch gab es aber keine einheitliche Schreibweise.
So gab es für mi em aou (ich liebe dich) mehrere Varianten wie beispielsweise:
Mi aim a ou
Mi aim a u
Mi aime aou
Mi em a u
1977 hat eine Gruppe Intellektueller schließlich versucht eine einheitliche Graphie und ein kreolisches Alphabet zu erschaffen und jedem Laut einen einzelnen Buchstaben zuzuschreiben. Ein weiteres Ziel war es, die Sprache weiter vom Französischen zu entfernen. Heute unterscheidet man hauptsächlich zwischen dem Basilekt (Créole basilectal) und dem Akrolekt (Créole Acrolectal). Der Akrolekt ist näher an dem Französischen und wird oft als höherrangig gegenüber dem Basilekt gesehen. Ich habe mal ein sprachliches Kontinuum erstellt, das dir den Unterschied der Nähe verdeutlichen soll:
Wohingegen das Créole Basilectal domoun für demain (=heute) des francais standard benutzt, ist es für das Créole Acrolectal demoun.
Ich habe lange mit meiner réunionnaisischen Mitbewohnerin Romaine und einer Freundin von ihr über créole gesprochen und ich fand es sehr interessant, dass die beiden komplett unterschiedliche Sichtweisen haben. Während meine Mitbewohnerin für drei Jahre in Paris gelebt hat, hat ihre Freundin (eine Zarab) die Insel bisher noch nicht verlassen. Auf die Frage, ob es für sie einen Unterschied zwischen Französisch und Kreolisch gibt, entstand eine ziemliche Diskussion. Romaine meint, sie fühlt sich komplett als Französin, schließlich gehört La Réunion ja zu Frankreich. Ihre Freundin hingegen vertritt die Auffassung, dass La Réunion nichts mit Frankreich zu tun hat und sie sich als Réunionnais sieht, nicht als Französin.
Und zum Abschluss bekommst auch du hier noch ein paar kreolische Wörter bzw. Sätze. Falls du Französisch kannst, würde es mich sehr interessieren, ob du das Créole Réunionnais sehr ähnlich zu Französisch findest oder nicht? Schreib es gern in die Kommentare 😊
Und auch wenn du kein Französisch kannst, freue ich mich natürlich über dein Feedback !!!
Nou atrouv!
Koman i lé? – Wie geht’s dir?
Moin lé bien. – Mir geht’s gut.
Mon kor lé mol. – Ich bin müde.
Koman ou apèl? – Wie heißt du?
Moin lé kontan konét aou. – Ich freue mich dich kennenzulernen.
Ousa ou sort? – Woher kommst du?
Ousa ou sa va? – Wohin gehst du ?
Dalon – FreundIn
Lé gayar sa ! – Das ist toll/super!
Mi sava la mer/dann léo/ volkan/ mon kaz. – Ich gehe an den Strand/ in die Berge/ zum Vulkan/nach Hause.
Mi ém aou! – ich liebe dich!
Ou lé dou komn in bonbon miel – Du bist so süß wie ein Honigkuchen.
Nou artrouv tanto – Bis ganz bald!