28. September 2018
Letztes Wochenende bin ich an beiden freien Tagen in meinem Zimmer geblieben und wollte niemanden sehen. Ich denke, dass kennt jede_r einmal, dieses Stimmungstief im Ausland, wo man sich für einen kleinen Moment nach Deutschland, der sogenannten Wohlfühlgesellschaft, und der Familie sehnt. Warum es sich aber nicht um das typische Heimweh handelt, erfahrt ihr hier.
Für diejenigen unter Euch, die schon einmal längere Zeit im Ausland verbracht haben, ist es sicherlich nichts Neues: Heimweh. Eine Andere Kultur, eine andere Sprache und anders sozialisierte Menschen und Umgangsformen. Das kann einem, besonders in der Anfangsphase, aber auch nach einigen Monaten, für einen kurzen Moment in eine depressive Stimmungslage versetzen. Am besten bleibt man dann zu Hause, weg von den Menschen und Umgangsformen im Land, die einen sonst täglich umgeben bzw. herausfordern, netflixt ein bisschen oder telefoniert mit der Familie.
Wenn man allerdings im Ausland arbeitet, kann man sich nicht einfach mal einen Tag frei nehmen. In einer Krisenregion zu arbeiten bedeutet, dass du dich der Lage nicht nur bewusst in deinem Arbeitsalltag aussetzen musst, sondern den Konflikt auch lebst – egal ob du willst oder nicht. Natürlich habe ich mir das Praktikum selbst ausgesucht und auch unsere deutschen Mitarbeiter_innen sind aus Überzeugung an diesen Ort gekommen. Allerdings habe ich den emotionalen Abstand, den man hier ganz dringend braucht, unterschätzt.
Während sich die einen am Tel Aviver Strand sonnen, werden die anderen ein paar Kilometer weiter am Grenzzaun erschossen.
Ich kann mir also nicht aussuchen was ich sehen möchte und was nicht. Ich komme jeden morgen nicht drum herum die Nachrichten aus Gaza zu lesen, bei denen fast täglich Frauen, Kinder, junge Menschen durch Kopfschüsse getötet werden. Ich kann mir nicht aussuchen die Bilder von Menschen mit amputierten Gliedmaßen zu sehen, weil keine Behandlung durch die Einkesselung Israels und Ägyptens möglich ist. Ich kann mir nicht aussuchen zu lesen, dass Gotteshäuser und Wohnhäuser von aggressiven Siedler_innen und militärischen Bulldozern zerstört werden – fast täglich. Ich kann auch nichts dagegen unternehmen als Inhaberin eines ausländischen Passes einen Checkpoint überqueren zu dürfen, während Palästinenser_innen das Recht auf Bewegungsfreiheit verwehrt wird. Täglich werden Menschen getötet, verwundet, ihres Eigentums beraubt oder leiden unter Entmenschlichung durch das Regime.
„Ich habe schon nach zwei Jahren keinen Bock mehr [hier zu arbeiten]“, oder, „an die Situation musst du dich gewöhnen: „Welcome to Palestine!“, habe ich sowohl seitens der Internationals als auch von den Palästinenser_innen gehört. Anfangs habe ich das sogar – wenn auch auf ironische Art und Weise – verkraftet. Aber an meinem letzten Wochenende brauchte ich einfach mal Abstand und musste tief durchatmen.
Emotionaler Abstand ist wichtig!
Es ist so wichtig, nicht zu vergessen, den ganzen täglichen Stress einmal rauszulassen. Ob durch Sport, Gespräche mit der Familie oder einfach einmal zu Weinen. Egal ob Arbeit, Aktivismus oder Volunteering. Man muss sich bewusst werden, dass man nicht die ganze Welt retten kann. Man muss sich auch bewusst werden, dass wenn man um eine_n getötete_n Zivilist_in weint, der Person damit nicht geholfen ist. Aber man kann sich selbst entlasten, um wieder neue Kraft zu schöpfen und weiterzumachen. Das ist etwas ganz Wichtiges, was mir schon latent bewusst gewesen ist, hier aber in Palästina, in einer Krisenregion, noch einmal einen ganz anderen Stellenwert bekommen hat. Auch der Hashtag #ErlebeEs bekommt in diesem Kontext eine ganz andere Bedeutung.
Habt ihr auch Erfahrungen vom Leben und Arbeiten in einer Krisenregion?