Dr. Stephan Geifes leitet die Nationale Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im DAAD. Im Interview erklärt er, wieso es sich lohnt, einen Auslandsaufenthalt jetzt nicht zu verschieben und wie sich Auslandsmobilität in der nächsten Zeit verändern wird.
Wie hat sich die weltweite Corona-Pandemie auf das Erasmus+ Programm ausgewirkt?
Die Corona-Pandemie ist für uns alle mit Reise- und Kontaktbeschränkungen einhergegangen. Dies hat insbesondere auch das Erasmus-Programm als Austauschprogramm betroffen. Man konnte nicht mehr oder nur eingeschränkt reisen. Die Kontaktsperren haben die Präsenz in der Lehre und bei Praktika eingeschränkt. In der aktuellen Krise hat das etwa 18.000 deutsche Erasmus+ Studierende im Ausland getroffen. Sie haben ihr Studium oder ihr Praktikum online oder im Home-Office fortgesetzt. Im Schnitt ist die Hälfte im Ausland geblieben und die andere Hälfte zurück nach Deutschland gereist.
Die Reisewarnung innerhalb der meisten EU-Staaten ist mittlerweile aufgehoben und die Mobilität ist wieder möglich. Welche Gründe sprechen für Sie dafür, einen Auslandsaufenthalt im Rahmen von Erasmus+ zu beginnen?
Ein Auslandsaufenthalt mit Erasmus+, egal ob als Praktikum oder im Studium ist eine Bereicherung für jeden – persönlich wie auch für die berufliche Perspektive. Ein Auslandsaufenthalt fördert die interkulturelle Erfahrung und den Austausch, erweitert den Horizont und verbessert die Sprachfähigkeiten. Studierende, die ins Ausland gehen, zeigen, dass sie sich durchbeißen können. Das gilt grundsätzlich und das gilt auch in Corona-Zeiten. Eine noch nicht veröffentlichte Studie mit Wirtschaftsvertretern hat herausgefunden, dass zunehmend auch digitale Fähigkeiten von großer Bedeutung sind. Insofern ist ein Erasmus-Aufenthalt, der jetzt geplant wird und vielleicht zunächst nur digital angetreten werden kann, noch eine besondere Gelegenheit und Qualifikationsmöglichkeit.
Gibt es denn weiterhin Erasmus-Förderung, wenn man seinen Auslandsaufenthalt – sei es auch vorerst – nur digital antreten kann?
Wenn man im Rahmen von Erasmus+ sein Studium oder sein Praktikum online oder im Home-Office im Gastland macht, erhalten Studierende den Mobilitätszuschuss. Im Rahmen der Krise war Gefahr in Verzug, da haben auch die Studierenden, die nach Deutschland zurückgekehrt sind, weiterhin finanzielle Unterstützung bekommen. Jetzt wird das Stipendium aber erst gezahlt, wenn man ausreist. Wer zunächst noch in Deutschland bleibt, aber im Ausland Online-Kurse besucht oder im Home-Office das Praktikum antritt, bekommt den Status eines Erasmus-Studierenden und damit zum Beispiel auch den kostenlosen Sprachkurs. Aber den Zuschuss für die Lebenshaltungskosten, den Mobilitätszuschuss, bekommen Studierende erst, wenn sie ins Ausland gehen.
Was raten Sie den Studierenden, die jetzt einen Auslandsaufenthalt planen und ausreisen?
Auch für das Erasmus+ Programm gilt: Gesundheit geht über alles. Dafür ist es essenziell, sich an die Hygienevorschriften des Gastlandes zu halten und den Regelungen dort Folge zu leisten. Im Ausland gilt es genauso wachsam zu sein, wie man es auch in Deutschland ist. Dann aber: Planen Sie, erkundigen Sie sich über die Möglichkeiten Ihrer Hochschule in den Fakultäten und den International Offices. Die Hochschulen und wir in der Nationalen Agentur tun alles, um so viele vertretbare Austauschmöglichkeiten wie es geht, anzubieten. Nutzen Sie diese Möglichkeiten als Ihre Chance.
Wie blicken Sie auf die kommenden Semester?
Über allem steht eine große Unsicherheit. Im Wintersemester wird es sicherlich in vielen Fällen eine Kombination von Online- und physischer Mobilität geben. Wir hoffen, dass sich das zum Sommersemester 2021 weiter entspannen wird. Das ist aber letztendlich abhängig von der Entwicklung der Pandemie und weniger eine akademische Frage.
Wir betrachten dabei nicht nur die Zahl der Studierenden deutscher Hochschulen, die ins Ausland gehen, sondern auch die der europäischen Studierenden, die zu uns kommen wollen und können. Ich hoffe, sie werden zahlreich sein und unsere Hochschulen bunt und divers.
Welchen Einfluss hat die Pandemie langfristig auf das Erasmus+ Programm?
Wir stellen fest, dass der Wille der jungen Menschen ins Ausland zu gehen, ungebrochen ist. Die Neigung, zunächst online anzufangen, ist jedoch noch ausbaufähig. Da gibt es Vorbehalte. Natürlich ist es nicht das Gleiche. Aber wir leben nun mal in diesen Zeiten, und das Verhältnis von Online und Analog wird sich im Privaten wie im Akademischen und Beruflichen neu justieren. Insofern ist unser Plädoyer, die derzeitigen gemischten Lehrangebote anzunehmen. Ich fürchte, dass ein weiteres Verschieben zu Kapazitätsproblemen an den Gasthochschulen führen könnte. Studierende haben ja ebenfalls Zeitfenster, in denen ein Auslandsaufenthalt möglich ist. Sie sollten es jetzt durchaus versuchen. Das, was die Studierenden jetzt als weniger empfinden, ist unterm Strich vielleicht sogar mehr.
Ich kann verstehen, dass ein reines Online-Studium von Zuhause zunächst nicht attraktiv wirkt. Wenn man diesen Weg aber jetzt nicht geht oder plant, dann vertut man die Chance, auch wirklich auszureisen, wenn später das Reisen doch möglich sein sollte. Auch wenn Studierende zwar ins Ausland reisen, dort aber nur Online-Kurse besuchen können, würde ich dafür werben, die interkulturelle Erfahrung zu machen.
Barcelona
2. August 2020
Guten Abend,
Ich kann den Aussagen des Artikels nur zustimmen, dennoch frage ich mich im speziellen, ob es Sinn macht nach Katalonien zu gehen, da das jetzt als Risikogebiet eingestuft wird. Haben Sie dafür einen Tipp?
Mit freundlichen Grüßen
Homebase
4. August 2020
Vielen Dank für diese Frage. Im Erasmus+ Programm haben Gesundheit und Sicherheit oberste Priorität.
Um die Lage besser einschätzen und alle notwendigen Schritte planen zu können, beachte bitte die Reisehinweise auf den Seiten des Auswärtigen Amtes zum Coronavirus – sowohl die von dir angesprochenen Reisewarnungen als auch die Einreisebestimmungen in die Zielländer.
Grundsätzlich bleibt es wichtig, sich bei der Planung bzw. vor dem Antritt eines Auslandsaufenthalts dringend über die aktuelle Situation im Gastland zu informieren und ggf. den virtuellen Beginn einer Erasmus-Mobilität und die spätere physischen Fortsetzung in Erwägung zu ziehen.
Studierende sollten sich vor einer Ausreise informieren, wie sich die Situation im Gastland darstellt und ihre Entscheidungen in Absprache mit ihrer Heimathochschule (International Office bzw. Erasmus+ Koordinatoren) treffen.