30. Juli 2019
Ein halbes Jahr im Rückblick: was mir geholfen hat, was ich anders machen würde, was ich persönlich mitnehme nach Deutschland und vor allem warum mein Auslandssemester die allerbeste Entscheidung in meinem Studium war.
Nach fast sechs Monaten steige ich in meinen Flieger Richtung Deutschland. Mit im Gepäck: meine neuen Spanischkenntnisse, wunderbare Freunde auf der ganzen Welt, ein bisschen von der argentinische Gelassenheit und eine große Portion Stolz, den Schritt ins Ausland zu gehen, gewagt zu haben. Dachte man anfangs noch, dass ein halbes Jahr super lang ist, stelle ich spätestens jetzt fest, dass die Zeit einfach so verflogen ist. So viele neue Eindrücke, neue Länder, neue Orte, dass man nie die Zeit hat, alles zu entdecken.
1. Raus aus dem Alltagstrott
In gewisser Weise leben wir alle ein bisschen in unserer Bubble. Wir haben unseren Freundeskreis, unseren Alltagstrott und verlassen manchmal ungerne unsere Komfortzone. Ein Austauschsemester wirft dich in einen komplett neuen Kontext und bietet die ideale Gelegenheit für all die Sachen, die du schon immer mal ausprobieren wolltest. Außerdem lernst du dich selber besser kennen und merkst, was dir persönlich eigentlich wichtig ist. Auf der einen Seite freue ich mich nach dem halben Jahr wieder auf ein bisschen mehr Struktur und Alltag, aber ich will auf jeden Fall versuchen, ein bisschen mehr Spontanität beizubehalten, weiterhin neuen Ideen nachzugehen und Berlin weiter zu erkunden.
2. Neue Freunde aus aller Welt
Meine größte und vermutlich albernste Angst vor dem Semester: keinen richtigen Anschluss zu finden. Albern deshalb, weil natürlich alle Austauschstudenten super interessiert sind, neue Leute kennenzulernen und die Argentinier generell sehr offen und hilfsbereit sind. Man trifft so viele Menschen aus der ganzen Welt, reist und erkundet das Land zusammen und bewältigt die anfänglichen Hürden gemeinsam. Ich würde behaupten, dass man durch ein Auslandssemester automatisch offener wird und die Scheu ablegt, Leute anzusprechen, schon alleine, weil man so oft Menschen nach Hilfe fragen muss.
3. An Herausforderungen wachsen
Jedes Auslandssemester startet mit einer Menge Herausforderungen: ein oft komplett anderes Unisystem, eine Menge Organisationskram, das Visum und bei mir dann auch noch gleich alles auf Spanisch. Aber gerade deswegen gibt es im Auslandssemester auch unendlich viele kleine Erfolgserlebnisse. Die erste mini Konversation beim Bäcker, das Gefühl, endlich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurecht zu kommen, die erste mit Ach und Krach bestandene Teilklausur, die sich anfühlt wie eine 1,0, der Moment, wenn man in eine Komödie gehen kann und anfängt die Witze zu verstehen und nicht mehr nur lacht weil alle anderen lachen. In einem halben Jahr baut man sich ein bisschen von Null sein eigenes Leben auf, lernt sein Viertel und die neue Stadt kennen, entdeckt sein neues Lieblingscafé, weiß, wo man was einkauft und findet seinen neuen Freundeskreis.
Aber natürlich läuft nie alles beim Versuch, in Argentinien meist schon gar nicht und pünktlich sowieso nicht. Dann muss man einfach ein bisschen Geduld mitbringen und die Dinge mit ein bisschen mehr argentinischer Gelassenheit sehen. In meinem Töpferkurs hat unsere Kursleiterin erklärt, sie liebe das Arbeiten mit Ton, da es jeden Fehler verzeiht. Es gibt immer eine Möglichkeit, jeden Fehler auszubessern, die Form wieder und wieder zu ändern bis man mit dem Ergebnis zufrieden ist. Das spiegele für sie genau die Mentalität der Argentinier wieder. Aber eigentlich hat es ganz allgemein etwas Menschliches, weil das Leben nicht auf einem geradem Weg abläuft aber es immer eine Möglichkeit gibt, alles irgendwie wieder zu regeln.
4. Seine Heimat aus einer neuen Perspektive sehen
Ich freue mich schon darauf, dass viele Sachen in Deutschland einfach effizienter und organisierter sind oder mal direkt funktionieren. Was ich aber auf jeden Fall versuchen werde, ist ein bisschen Platz für die argentinische Gelassenheit zu reservieren. Wenn man weit weg ist, wird einem auch bewusst, was man alles zuhause hat und ich freue mich schon wahnsinnig auf meine Familie und Freunde und auf mein Leben in Berlin.
Da ich in Argentinien viel Zeit hatte zu reisen, habe ich oft mehr von Argentinien gesehen, als die meisten meiner Kommilitonen und mir ist aufgefallen, dass mir das selber hier in Deutschland genauso gehen würde. In den nächsten Jahren möchte ich daher auch ein bisschen mehr von Deutschland erkunden.
5. Die Welt entdecken
Fast in jedem Austauschsemester wirst du Zeit finden, deine neue Stadt und das Land zu erkunden – und dabei mehr als nur ein Touri zu sein. Ein halbes Jahr in einer Stadt in einem neuen Land bietet die Möglichkeit, das Land und eine neue Kultur zu leben und zu erleben, statt nur zu besichtigen. Ich habe in diesem halben Jahr mehr von der Welt gesehen als in den 20 Jahren davor und weiß ganz sicher, dass es nicht meine letzte Reise in Südamerika war.
Was ich in dem halben Jahr aber auch gelernt habe: man kann nie alles mitnehmen, alles erleben oder überall sein und das muss man auch gar nicht. Klingt trivial, aber wenn man den ganzen Tag mit anderen Austauschstudenten unterwegs ist, kann man schnell den Eindruck bekommen, die anderen hätten alle schon viel mehr erlebt. Der eine war schon hier, der andere da, der nächste schwärmt davon, die Kurse wären ja leicht und Zeit zum lernen bräuchten sie auch nicht. Manchmal muss man da auch mal realistisch einschätzen, was andere sagen und nicht immer glauben, dass bei allen anderen alles perfekt läuft. Such dir jemanden, der dir auch mal ehrlich sagt, wenn es bei ihm doof läuft und mach dich nicht verrückt. Ich musste vor allem feststellen, dass ich für meine Klausuren auf Spanisch einfach mehr Zeit zum Lernen brauchte – weil Auswendiglernen auf einer anderen Sprache einfach länger dauert! Generell muss man einfach, aufhören sich immer mit anderen zu vergleichen und sich einfach vor Augen führen, was man selber für tolle Erfahrungen gesammelt hat.
Denn eins ist sicher: Du wirst deine eigenen unvergessliche Erinnerungen schreiben.