24. August 2020
Die meisten von uns kennen das: Man hat Abistress und steckt auf der Reifeskala irgendwo zwischen dem Erwachsensein und dem „Mensch, kannst du nicht endlich mal die Spülmaschine ausräumen?“ fest. Dazu meldet sich dann irgendwo im Hinterkopf immer mal wieder die gerne unterdrückte, aber doch penetrante Frage zu Wort: Was wollen wir mit unserer Zukunft denn jetzt eigentlich so genau anfangen?
Man fängt an, sich durch alle möglichen Broschüren zu wühlen und zahlreiche Info-Messen zu besuchen. Man macht Tests im Internet, bei denen von der Steuerfachangestellten bis zur Bestatterin so ziemlich alles dabei ist. Und irgendwann kommen dann endlich die ersten Ideen auf. Wenn man Glück hat, ist man dann auch recht schnell ziemlich begeistert von dieser Idee und beginnt direkt munter drauf los zu recherchieren.
Erste Frage: Was? Check! Ich habe mich nach langem Überlegen für das Studienfach „Internationale Beziehungen“ an der University of Groningen entschieden.
Das „International“ kommt nicht von ungefähr
Ein Faktor, mit dem die Hochschullandschaft der Niederlande definitiv überzeugen kann, ist das internationale Umfeld, in dem ihr studieren könnt. An der „rijksuniversiteit Groningen – University of Groningen“ (RUG) zum Beispiel leben und lernen Studierende aus 120 verschiedenen Ländern. Solch ein Freundeskreis bringt einen immensen Vorteil an kultureller Kompetenz. Darüber hinaus baut man fast von alleine ein weit verzweigtes Netzwerk auf. Wenn ihr außerdem, wie ich eine Sprache ganz neu lernen müsst, ist es also ziemlich wahrscheinlich, dass man auch sein verstaubtes Französisch oder Spanisch nebenher noch mal auffrischen kann. In der WhatsApp-Gruppe meines Studienfachs sind unter anderem Studierende aus Südafrika, Indien, Swasiland und Neuseeland.
Darüber hinaus gibt es an den niederländischen Universitäten eine breite Auswahl englischsprachiger Studiengänge. An der RUG gibt es über 180 international anerkannte Studienfächer auf Englisch. Man muss also nicht über den großen Teich fliegen oder auch nur den Ärmelkanal überwinden, um eine gute Ausbildung auf Englisch zu erhalten. Mehr Informationen für internationale Studenten an meiner Uni findet ihr hier.
Die Sache mit dem Abi-Schnitt
Der NC an deutschen Universitäten war für mich zwar nur bedingt ein Grund für die Entscheidung, ins Ausland zu gehen, kann aber für viele ausschlaggebend sein. Während hierzulande oft nur der Abiturschnitt zählt, gehen die Niederlande mit ihren Numerus-Fixus-Programmen einen anderen Weg. Der Numerus Fixus bedeutet, dass das Studienfach nur eine begrenzte Anzahl an Plätzen vorweisen kann. Diese wird aber von der Zahl an Bewerbern meistens übertroffen – bei Medizin und Psychologie ist das oft der Fall. Während man in Deutschland jetzt vorwiegend anhand vom Notenschnitt des Abiturs aussortiert, verlangt man in den Niederlanden, dass die Bewerberinnen und Bewerber sich einem Auswahlverfahren stellen. Das ist aufwendiger als die Bewerbung in Deutschland, erhöht meiner Meinung nach aber auch die Chancengleichheit. So gibt es zum Beispiel relativ viele deutsche Psychologiestudierende in Groningen. Über ein Studium dort nachzudenken bedeutet also auch, eventuell die Möglichkeit zu haben, einen hohen NC in der Heimat zu umgehen.
Okay, und warum willst genau DU jetzt in die Niederlande?
Das sind ja jetzt alles schöne, aber auch theoretische Gründe, aber warum möchte ich denn persönlich jetzt für die nächsten drei Jahre mein Heimatland verlassen? Ich kann mich sehr gut mit der Kultur identifizieren. Die Niederländer sind nicht umsonst eines der glücklichsten Völker auf unserer Erde. Bist du der einzige Deutsche auf einer niederländischen Geburtstagsfeier, kannst du dir trotzdem sicher sein, dass jeder um dich herum Englisch mit dir redet. Auch eine persönliche Vorliebe für das Studentenleben lässt sich nicht leugnen. Dass man irgendwo in den engen Straßen Groningens abends junge Leute sieht, die sich ihre Couch auf den Bürgersteig vor die Haustür stellen, ist keine Seltenheit. Dass sie sich dabei durch die Fensterscheiben Kochshows mit Untertitel anschauen? Alles schon gesehen.
Seit meine Schwester und ich klein sind, fahren wir fast jedes Jahr in die Niederlande in den Urlaub. Wir lieben es, dass der Strand nie weit weg ist, die Menschen freundlich und die Häuser klein und gemütlich sind. Und ja, wir lieben Kibbelinge (Fischstückchen in ganz viel Panade). Mein Vater philosophiert jedes Mal neu darüber, warum den Deutschen diese einzigartige Idee noch nicht gekommen ist. Und nein, es sind keine Fischstäbchen! Vielleicht sollte man Fisch nicht zu seinem Hauptgrund für einen Umzug in die Niederlande erklären. Aber einen kleinen Unterpunkt hat er trotzdem verdient.
Was ich mir von den nächsten drei Jahren verspreche?
Ich möchte dieses Land nicht mehr nur mit den Augen einer Touristin betrachten. Ich möchte am Königstag (Geburtstag vom niederländischen König Willem Alexander) einmal orange tragen, irgendwann während einer Konversation nicht mehr beschämt von niederländisch auf englisch wechseln müssen und ja, Fahrradfahren können wie ein echter Niederländer. Die sieht man nämlich auch gerne mal meterlange Leisten auf dem Fahrrad transportieren. Ich bezweifle, dass ich dieses Level je erreiche, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Heimlich bin ich aber auch der Meinung, dass die Menschen dort erst Fahrrad fahren und dann das Laufen erlernen.
Ich möchte mich in den Niederlanden heimisch fühlen. Aber nicht nur das. Mein Studiengang ist sehr international geprägt und ich mir erhoffe mir noch mehr Kontakte auf alle Kontinente zu knüpfen. Ich möchte sie verstehen lernen –unsere Welt. Nicht nur ihre politischen Strukturen während meiner Vorlesungszeit, sondern auch ihre Menschen, ihre Kulturen, ihre Geschichten. Mit dem Fahrrad in die Welt halt. Wünscht mir Glück, dass ich auf dem Weg keinen Unfall baue!
Kein Scherz, so ganz verstehe ich die Verkehrsregeln wirklich noch nicht. Fahrradfahren in den Niederlanden hat auch noch seinen ganz eigenen Blogbeitrag verdient!