22. März 2020
In den letzten Tagen haben sich die Ereignisse regelrecht überschlagen, alles ging so schnell. Vor einer Woche habe ich auf die Frage meiner Mama, ob ich aufgrund der Corona-Krise nicht nach Hause kommen möchte, noch mit der Gegenfrage „Warum sollte ich das tun?“ geantwortet. Nun sitze ich im Zug von Wien nach Berlin – und nein, diesmal nicht im Donauwalzer – sondern in der Berolina, aber dazu später mehr.
Alles fing damit an, dass letzte Woche alle österreichischen Universitäten bis voraussichtlich Ostern geschlossen wurden. Eine Maßnahme zur Reduktion der weiteren Verbreitung des Coronavirus. Das war der Zeitpunkt, an dem ich den Ernst der Lage erst so richtig erkannt habe. Es ist natürlich nicht so, dass ich vorher nichts davon mitbekommen hätte oder ignorant gewesen wäre. Die Medien waren ja schon voll mit dem Thema und ich habe mir definitiv öfter meine Hände gewaschen und mehr Abstand zu Menschen gehalten als gewöhnlich. Allerdings hat es mich in diesem Moment das erste Mal persönlich beeinflusst.
Aber erst mal eben nur, was mein Studium betrifft. Dass keine Lehrveranstaltungen mehr mit physischer Präsenz abgehalten werden, heißt ja aber nicht, dass der Unibetrieb zum Erliegen käme. Im Gegenteil, die Schließung der Uni bringt ganz neue Möglichkeiten mit sich. So stellen wir uns gerade auf „home learning“ um. Für mich eine ganz neue Arbeitsform. Meine Seminare laufen nun – mehr oder weniger erfolgreich – per Videokonferenz oder wir bekommen, wenn Technik mal wieder nicht das tut, was sie soll, Aufgaben zum Selbststudium, die wir dann online einreichen müssen. Und in einer Woche halte ich – online – meine erste Präsentation. Um diese mit meinen Kommilitonen (in Wien sagt man übrigens „Kollegen“) vorzubereiten „treffen“ wir uns regelmäßig per Skype. Ungewohnt aber funktioniert doch besser ich dachte. Trotzdem ziehe ich es vor, mich persönlich zu treffen. Das geht aber momentan leider nicht. Warum?
Ausgangssperre für ganz Österreich
In einer Pressekonferenz am Wochenende verkündete Bundeskanzler Sebastian Kurz eine „Ausgangsbeschränkung“ für ganz Österreich. Seitdem gibt es nur noch drei Gründe, das Haus zu verlassen. Erstens: die Arbeit. Zweitens: dringend notwendige Besorgungen wie Lebensmittel und drittens: anderen Menschen helfen, die sich nicht selbst helfen können. Versammlungen sind verboten und es dürfen sich nicht mehr als fünf Personen an einem Ort treffen. Dies wird von der Polizei kontrolliert – und im Falle eines Verstoßes mit Bußgeld bestraft. Spazieren oder joggen gehen darf man zum Glück trotzdem noch. Aber nur alleine oder mit den Menschen, mit denen man zusammenwohnt. Zudem bleiben vorerst alle Geschäfte, Restaurants, Fitnessstudios etc. geschlossen – mit Ausnahme von Supermärkten und Apotheken natürlich.
Soweit so fair, was möchte ich damit sagen? Die Lage ist ernst und die Maßnahmen sind restriktiv. Und das ist auch gut so! Wir müssen alles daransetzen, die Verbreitung des Virus einzudämmen. Also, bleibt zuhause!
Alleine sein ist nur solange schön, bis man es muss
Prinzipiell kein Problem, ich bin gerne zuhause. Ich habe ein – wie ich finde – schönes Zuhause und fühle mich sehr wohl. Ich bin auch gerne mal alleine. Aber nur solange ich es aus freien Stücken will und nicht mehr so sehr, wenn ich es muss. Ein Glück wohne ich in Wien nicht alleine, sondern habe zwei tolle Mitbewohner. Oder hatte. Sinah, die auch aus Deutschland kommt und ein Praktikum bei Austrian Airlines in Wien machte, verlor aufgrund der aktuellen Situation – Flugreisen sind ja bekannterweise gerade wenig profitabel – ihren Praktikumsplatz. Sie ist am Montag nach Hause gefahren. Und da waren wir nur noch zu zweit. Christopher kommt aus New York und forscht mit einem Fulbright-Stipendium an der Uni Wien. Auch er befürchtet, nach Hause fliegen zu müssen, falls die Situation sich weiter zuspitzt.
One Way Ticket nach Berlin
Ich habe mich also gewissermaßen darauf eingestellt, die nächsten Wochen ganz alleine zu verbringen. Immerhin wäre mein Freund Kai, den ich nun seit fast zwei Monaten nicht gesehen habe, dieses Wochenende zu mir nach Wien gekommen. Das war allerdings auch hinfällig, als wegen der Corona-Krise die deutsch-österreichische Grenze geschlossen, sämtliche Flugverbindungen eingestellt und seine Flüge gestrichen wurden. Da ich ihn aber unbedingt sehen wollte und wir, wenn wir schon zuhause bleiben müssen, das viel schöner gemeinsam tun können, habe ich den Entschluss gefasst: „Wenn er nicht zu mir kommen kann, komme ich zu ihm.“ Als deutsche Staatsbürgerin habe ich schließlich immer die Möglichkeit, nach Hause zu kommen. Also habe ich – spontan wie ich sonst nie bin – einen Zug nach Berlin gebucht, damit wir diese Zeit gemeinsam bestreiten können. Ein One-Way-Ticket – erstmal.
Wer weiß schon, was die Zukunft bringt
Das heißt aber keinesfalls, dass ich mein Erasmus-Semester in Wien abbrechen möchte. Da wir E-Learning nutzen, spielt es vorerst schließlich keine Rolle, wo ich bin. Sobald sich die Lage verbessert hat und die Grenzen und die Uni Wien wieder geöffnet sind, möchte ich auf jeden Fall nach Wien zurückkehren. Wann das der Fall sein wird, weiß momentan wohl leider niemand. Ich hoffe einfach, in nicht allzu ferner Zukunft noch ein paar Sommertage in Wien genießen zu können. Aber wer weiß, wo das alles hinführt. Jetzt genieße ich erst mal die Zeit mit Kai. Denn schließlich hat alles etwas Gutes und diese Zeit, die wir jetzt gemeinsam haben, ist ein Geschenk.
Und was war jetzt mit dem Berolina?
Berolina ist im Neulatein der Name für Berlin, die Personifikation der Stadt und der Name des Zuges, der mich von Wien direkt nach Berlin gebracht hat. Sehr passend oder?