26. April 2021
Aufgrund von Erfahrungsberichten aus meinem Freundeskreis erwartete ich im Auslandssemester vor allem folgendes: Kennenlernen fremder Kulturen, neue Bekanntschaften und außergewöhnliche Erlebnisse. Dass das tatsächliche Studieren meine Zeit und Energie erheblich beanspruchen würde, hatte ich irgendwie verdrängt. Zwei Wochen vor Semesterende erzähle ich euch von meinen Studienerfahrungen am amerikanischen College.
Das US-amerikanische Bildungssystem ist gänzlich anders aufgebaut als das deutsche. Für uns Austauschstudierende ist hier besonders wichtig, dass sich die angebotenen Kurse zu den Auswahlmöglichkeiten an der Heimatuni teilweise drastisch unterscheiden. Für amerikanische Student*innen gibt es beispielsweise Tanzkurse, die, unabhängig vom Hauptfach, zu deren Abschluss angerechnet werden. Deshalb solltet ihr vorab mit Verantwortlichen eurer Universität klären, ob ihr die im Ausland belegten Kurse für euer Studium verwenden könnt.
Als Studentin der Politikwissenschaft war ich in Deutschland andere Anforderungen und Aufwand für meine Semesterleistungen gewohnt. Meist habe ich gegen Ende jedes Semesters arbeitsaufwendige Hausarbeiten zu schreiben und während der Vorlesungszeit wenig Abgaben. Anwesenheitspflicht gibt es in meinem Studiengang (in Leipzig) nicht. In den USA ist College hingegen wie Schule konstruiert. Das heißt im Klaren: Anwesenheits- und Partizipationspflicht, wöchentliche Hausaufgaben, Präsentationen und kleinere Essays sowie eine große Klausur in der Mitte des Semesters („Midterms“) und eine am Ende („Finals“). Für mich bedeutete dies also eine große Umstellung und anfangs auch große Überforderung. Andere Fächer haben es hier vielleicht leichter, sich anzupassen: Zwei deutsche Kommilitoninnen – eine Finance- und eine Biochemie-Studentin, die gleichzeitig mit mir einen Austausch an den HWS Colleges absolvieren, waren ähnliche Abläufe aus Deutschland gewohnt und beklagten sich dementsprechend weniger.
Das liegt unter anderem an folgendem Klischee, das sich für mich im Laufe der Monate zumindest für meinen Studiengang an meiner Universität bewahrheitete: US-amerikanische Universitäten sind zwar zeitaufwendiger, aber im Vergleich zu Deutschland inhaltlich weniger anspruchsvoll. Das bedeutet keineswegs, dass gute Noten hier unverhältnismäßig einfach zu erreichen sind. Der Studienalltag in Amerika hat mir diverse schlaflose Nächte beschert. Doch haben wir alle sehr gute Ergebnisse erzielt, trotz Sprachbarriere und hohem Arbeitspensum. Das schulähnliche System hat mir tatsächlich auch geholfen. Nach den ersten Wochen habe ich mich an die Struktur gewöhnt und aufgrund der Anwesenheitspflicht und den kleineren Klassengrößen zum Teil mehr aus Vorlesungen mitnehmen können als in Deutschland.
Was ich damit sagen will: Ein Auslandssemester besteht nicht nur aus spaßigen Ereignissen und aufregenden Erfahrungen, ein bisschen Studium gehört auch dazu. Das soll aber gar nicht negativ klingen, denn die Module, die an anderen Universitäten angeboten werden, können für den persönlichen oder beruflichen Weg interessant und nützlich sein. Ich habe hier zum Beispiel einen Kurs in amerikanischer Außenpolitik belegt. In Deutschland würde ich diese Inhalte von einer ganz anderen (der deutschen) Perspektive vermittelt bekommen. Mir half das Modul zudem für meine Bachelorarbeit, die ich während des Semesters geschrieben habe, in der die Politik der USA eine zentrale Rolle spielte. Der Lernaspekt eines Auslandssemesters ist also keineswegs nur lästig, sondern kann sich positiv auswirken. Deshalb rate ich euch, euch vorab über die Angebote eurer neuen Uni zu informieren, um das Beste von dem Aufenthalt mitnehmen zu können.