13. November 2016
Morgens an der Corniche joggen gehen, einen Kaffee bei Starbucks trinken oder den Shoppingtag mit einer Pizza beim Italiener nebenan ausklingen lassen. Alles easy hier. Alles? Nein, lange nicht alles.
Mittelmeer unter der Dusche – Das Leitungswasser
Da ich in Deutschland meistens zu bequem bin, um literweise Wasser vom Supermarkt nach Hause zu schleppen, trinke ich seit Jahren nur noch Leitungswasser. Nach meiner ersten Dusche in Beirut wusste ich: Das muss ich mir hier abgewöhnen. Denn erstens ist das Wasser nicht besonders sauber, zweitens schmeckt es erstaunlich intensiv nach Mittelmeer. Deshalb hielt sich mein Bedürfnis, mir dieses Wasser anschließend auch noch trinkend zuzuführen, bisher in Grenzen. Die Lösung? Ein Wasserspender, der von einigen Studenten meines Wohnheims organisiert wird. Für 10.000LL im Monat hat man unbegrenzten Zugang zu sauberem Wasser in kalter und heißer Variante. Dazu kommt: Da der Sommer im Libanon keinen Regen bringt, herrscht spätestens im Oktober ernsthafte Wasserknappheit und das staatlich zur Verfügung gestellte Wasser ist auf einige Stunden am Tag begrenzt. Mein Studentenwohnheim hat das Geld, von privaten Anbietern zusätzlich Wasser dazu zu kaufen. Wie die Wassersituation in Haushalten aussieht, die sich das nicht leisten können, erfordert wenig Fantasie.
Täglich um 3 Uhr – Die Stromversorgung
14:59 – Auf dem Weg zum Arabisch-Kurs. Da sich die Sprachschule im vierten Stock befindet, nehmen wir, ganz sportliche Mitt-20er, den Aufzug. Irgendwo im Nirgendwo zwischen Erdgeschoss und viertem Stock ruckelt der Aufzug kurz, das Licht flackert und Stille tritt ein. Wir schauen auf die Uhr und uns schwant Böses. 15:00. Das zweite Thema, das von einem etwas undurchsichtigen Umgang der Regierung im Bereich der Dienstleistungen zeugt, ist nämlich die Stromversorgung. Sogar in Hamra, ein eher nobles Beiruter Viertel, ist die staatliche Stromversorgung nur einige Stunden am Tag gegeben. Es gilt also: Wer auch außerhalb dieser Zeit Licht im Zimmer haben möchte, steigt zunächst auf das illegale Stromnetz und anschließend auf den Generator um. Das passiert mehrmals am Tag, auch um, meist genau, 15 Uhr. Nach 10-20 Sekunden wird die Stromversorgung von einem der anderen Netze übernommen und das Licht geht wieder an. So startete auch unser Aufzug nach kurzer Zeit neu und brachte uns doch noch sicher ans Ziel.
#Youstink – Beirut und das Müllproblem
Die Müllkrise im Sommer vergangenen Jahres brachte viele LibanesInnen zur Verzweiflung und die Regierung dazu, Beirut Downtown bis heute für jene abzuriegeln. Warum? Recycling, Mülltrennung oder ein durchdachtes System zur Müllentsorgung sind im Libanon nicht gegeben. So wurde der Moment, als sich eine in den 90er Jahren eingerichtete Mülldeponie nach mehr als fünfzehn Jahren anhaltender ‚Vorläufigkeit‘ weigerte, den Abfall der Hauptstadt weiterhin anzunehmen, zur Staatskrise.
Sukleen, die Firma die sich in Beirut um die Versorgung des Abfalls kümmert, entschied sich daraufhin, den Müll stattdessen gar nicht mehr abzutransportieren. So stapelten sich wochenlang Berge davon in den Straßen Beiruts und viele, vor allem junge, EinwohnerInnen machten mit Demonstrationen ihrem Ärger Luft. „Nieder mit dem garbage-government“, skandierten sie und unter dem Hashtag #youstink wurde die Krise auch in den sozialen Netzwerken international bekannt. Das politische Establishment, aufgerüttelt von der plötzlichen Aufmerksamkeit, reagierte maßgeblich mit rigorosen Mitteln: Die neu renovierte Innenstadt in Downtown Beirut, wo die Proteste stattfanden, wurde hermetisch abgeriegelt und auch jetzt, ein Jahr später, ist LibanesInnen der Zutritt aus Angst vor neuen Demonstrationen verboten. Was sich sonst noch geändert hat? Nicht viel. Meist wird der Müll mittlerweile aus der Innenstadt abtransportiert, nur weiß keiner so genau wohin. Eine neue Mülldeponie oder ein politischer Plan, um mit Mülltrennung und Recycling dem Abfall Herr zu werden, ist nicht gefunden. Und so gibt es bis heute immer wieder Tage, an denen sich auch in Hamra der Müll auf den Straßen stapelt.
Aoun gegen Frangieh – Zwei Jahre Machtkampf um das Präsidentenamt
Trotzdem steigt nach der Wahl Michel Aouns zum Präsidenten vor einer Woche die Hoffnung auf ein sukzessives Ende des politischen Stillstandes, auch im Bereich der staatlichen Dienstleistungen. Der Maronit Michel Aoun (Free Patriotic Movement) hat sich nach zweieinhalb Jahren Machtkampf gegen seinen Rivalen Suleiman Frangieh, ebenfalls Maronit, jedoch Vorsitzender des Marada Movement, durchgesetzt. Aoun und seine Partei arbeiten klassischerweise mit der schiitischen Hisbollah zusammen, den Durchbruch hin zur erfolgreichen Wahl verschafften ihm jedoch die zusätzlichen Stimmen sunnitischer Delegierter. Nachdem Saad Hariri (sunnitische Zukunftspartei) Aoun seine Unterstützung zugesagt hatte, wurde er kurz nach dessen Wahl mit der Ernennung zum Premierminister durch Aoun belohnt.
Ob die Präsidentenwahl durch ein legitimes oder illegitimes Parlament durchgeführt wurde, darüber streitet sich das kleine Land. Der Verfassung nach hätte sich dieses schon nach Ablauf einer Periode, die auch hier vier Jahre umfasst, wieder zur Wahl stellen müssen. Die Parlamentsdelegierten entschieden sich jedoch eigenständig und zunächst ohne Wahl ihr Mandat zu verlängern und die nächsten Parlamentswahlen sind erst für das Frühjahr 2017 angesetzt.
Politisch bleibt es also spannend, im Zedernstaat!