In der internationalen PISA-Studie von 2018 schnitt Kanada durchweg besser als Deutschland ab: Kanada erreichte höhere Kompetenzniveaus in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften und erreichte deutlich höhere Werte bei der Chancengleichheit im Hinblick auf den sozialen Hintergrund, aber auch den Migrationshintergrund. Aber woran kann das liegen?

Einheitsschule vs. gegliedertes Schulsystem

Als ich meiner Dozentin in meinem Kurs „Teacher Wellness“ vom deutschen Schulsystem erzählte, bekam ich fragende Blicke und viele Rückfragen: „Schüler:innen werden bereits nach der vierten Klassen (im Bundesland Berlin nach der sechsten Klasse) basierend auf ihren Noten in separate Schulformen gesteckt?!“. Elfjährige anhand ihrer Noten in verschiedene Leistungsgruppen zu unterteilen klingt nicht nur absurd, sondern sorgt auch für Bildungsungerechtigkeit. Denn: Der Übergang auf die weiterführende Schule und damit auch der Bildungserfolg von Schüler:innen wird stark durch deren sozialen und ökonomischen Hintergrund beeinflusst. Bildungschancen hängen in Deutschland eben nach wie vor in großem Maße vom Elternhaus ab!

In Kanada hingegen ist das Schulsystem linear aufgebaut: Kindergarden, Elementary, Junior High werden gefolgt von Senior High.

Alles eine Frage der Inklusion?!

In Kanada lernen (zum Großteil) alle gemeinsam: Schüler:innen mit besonderen Bedürfnissen oder Beeinträchtigungen werden – oftmals mit zusätzlicher Förderung – im Regelunterricht beschult. Einheitsschule ist das Programm und Ziel: Inklusion statt Segregation, um von- und miteinander lernen zu können. Das zeigt sich auch in der kanadischen Lehrer:innenausbildung, denn an der Mount Royal University gibt es nur einen Lehramts-Studiengang. Dieser berücksichtigt die verschiedenen Bedürfnisse aller Lernenden und bereitet angehende Lehrkräfte auf das bevorstehende diverse Klassenzimmer vor – etwas, dass ich in meinem deutschen Studium schwer vermisse. Anstatt der fachlichen Dimension (die natürlich auch wichtig ist) wird der Fokus hier auf Fähigkeiten wie Klassenzimmer-Management, Beziehungsarbeit und den Umgang mit Schüler:innenproblemen gelegt. Die Lehrer:innenausbildung wirkt hier somit deutlich praxisnaher, unter anderem auch dank einer Vielzahl an Praktika. Davon brauchen wir in Deutschland unbedingt auch mehr!

Die Schattenseiten

Doch auch das kanadische Schulsystem ist trotz der vielen wichtigen Ansätze bei Weitem nicht perfekt: Ein wichtiges Problem ist laut meiner Dozentin die Finanzierung im Bildungssektor: Klassengrößen werden größer und Lehrer:innen zunehmend überfordert, was in einer erhöhten Burnout-Rate unter Lehrer:innen resultiert. Auch haben Indigene einen erschwerten Zugang und Erfolg im kanadischen Bildungssystem: Lediglich knapp 65 Prozent der First Nations-, Métis- und Inuit-Schüler:innen in Alberta absolvieren die High School, was deutlich unter dem üblichen Durchschnitt liegt.

Das kanadische Schulsystem kann im Hinblick auf Inklusion und Bildungsgerechtigkeit als ein Vorreiter für Deutschland gesehen werden. Es wird anerkannt, dass alle Schüler:innen in gewisser Weise über zu überwindbare Barrieren verfügen. Studien zeigen, dass dieser einheitliche Ansatz zu besseren Leistungsniveaus und einer erhöhten Bildungsgerechtigkeit führt. Diesen Ansatz möchte ich jedenfalls unbedingt mit nach Deutschland nehmen und als ausgebildete Lehrkraft später mitdenken. Dennoch hat auch das kanadische Schulsystem noch Luft nach oben!

Hast du noch Fragen? Dann schreib mir gerne!

Bis bald, Tim 😊