15. Oktober 2022
Correspondent für die Kampagne „studieren weltweit – ERLEBE ES“ zu sein bedeutet noch viel mehr, als „nur“ Fotos vom Auslandsaufenthalt zu teilen. Wie ich zu diesem Blog gekommen bin, habe ich euch am Anfang meiner Reise schon erzählt. In diesem Beitrag berichte ich euch, warum ich mich als Kulturbotschafterin sehe und wie ich mein Heimatland auch 10.000 km entfernt ganz neu entdecke.
„Hey, du bist doch die Deutsche, oder?“ Diese Situation kennt vermutlich jede:r Austauschstudent:in: man setzt den ersten Fuß in den Kursraum und wird von allen neugierig angesehen. Es hat auch bei mir nicht lange gedauert, bis der Großteil der Sprachen-Fakultät mich kannte. Lehrkräfte und Kommiliton:innen kamen mit allerlei Fragen auf mich zu und zeigten großes Interesse an mir und meinem Leben in Deutschland. Ich konnte mich kaum retten vor Einladungen zu Kennenlern-Picknicks, deutschsprachigen Filmabenden oder Strandausflügen. Dadurch habe ich schnell ein Netzwerk an Kommiliton:innen aus den verschiedensten Studiengängen aufgebaut.
Unterwegs auf Correspondent-Mission
Durch diesen Blog lasse ich nicht nur Freunde und Familie an meinem brasilianischen Leben teilhaben, sondern wurde auch zur Ansprechpartnerin für Interessierte an einem Auslandssemester in Brasilien oder in Deutschland. Ich konnte ich endlich all meine Kenntnisse zum bürokratischen Dschungel und verwirrender Uni-Organisation weitergeben. Außerdem habe ich letztens die Möglichkeit bekommen, an einer weiterführenden Schule im Inland vom Staat Santa Catarina einen Vortrag zu halten. Ich habe den Schülern die Kampagne und meinen Blog vorgestellt, mit meiner Begeisterung für Auslandserfahrung angesteckt und jede Frage mit Freude beantwortet. Auch wenn es am Tag dieses Schulbesuches in Strömen geregnet hat – ich hätte nicht glücklicher sein können. Ich habe gemerkt, dass ich genau da bin, wo ich sein soll.
Plötzlich Lehrerin
Mein Besuch an dieser Schule war auch nicht das erste Mal, dass ich vor einer Klasse stehe. Monatelang habe ich lachend abgewinkt, wenn mir jemand vorschlug, dass ich doch als Deutschlehrerin arbeiten könnte. Eigentlich wollte ich, solange ich denken kann, Lehrerin werden. Im Laufe der Jahre haben Versagensängste und das anspruchsvolle Lehramtsstudium meinen Kindheitstraum zerplatzen lassen. Als mich aber mein Italienisch-Dozent der UFSC auf den extracurricularen Deutschkurs aufmerksam gemacht hat, habe ich ohne viel nachzudenken eine E-Mail an die Verantwortliche geschrieben. Ohne eine formelle Bewerbung und nur einen kurzen Zoom-Call später erhielt ich die Zusage, dass ich den Deutschkurs für Fortgeschrittene leiten durfte.
Nervös und etwas verunsichert stand ich dann in meiner ersten Unterrichtsstunde. Meine Sorgen waren aber alle unbegründet! Die Teilnehmenden sind wirklich motiviert, ihr Deutsch zu verbessern und lassen mich jedes Mal mit einem Lächeln aus dem Klassenraum gehen.
Deutschland neu kennenlernen
Meine jahrelange Erfahrung als Schülerin in verschiedenen Sprachenkursen kommt mir hier wirklich zugute, denn ich habe alle möglichen Aufgabenformate und Unterrichtsmethoden schon selbst erlebt. Mir ist es wichtig, meinen Unterricht so authentisch und praxisorientiert wie möglich zu gestalten. Jede Woche bringe ich ein neues kulturelles Thema mit – von Feiertagen und Traditionen bis zu Wintersport und Alltagsleben. Dazu gehört dann auch die Recherche nach passendem didaktischem Material (abgesehen von persönlichen Anekdoten und eigenen Fotos). Erst da ist mir bewusst geworden, wie viel ich selbst gar nicht über Deutschland weiß! Eigentlich dachte ich, dass ich durch vorherige Auslandsaufenthalte schon gut über mein Geburtsland informiert bin, aber ich wurde eines besseren belehrt ;P
Kennt ihr zum Beispiel die genauen Hintergründe zur Freinacht, dem Maibaum und der Schultüte? Oder habt ihr euch schon einmal Gedanken gemacht, wie man genau den Unterschied zwischen der Polizei und dem Ordnungsamt erklärt?
Nicht nur kulturell, sondern auch sprachlich lerne ich viel. Durch mein Englisch- und Italienisch-Studium kann ich mit sprachwissenschaftlichen Terminologien zwar umgehen, aber genau dabei liegt auch der Haken: Anglistik und Romanistik sind eben nicht Germanistik. Die deutsche Lexik und Grammatik sind nicht einfach. Noch schwerer ist es allerdings, aus einer muttersprachlichen Sicht feine Sprachunterschiede zu erklären!
Der Aufwand zahlt sich aus
Ich erinnere mich noch gut an meine ersten Wochen hier in Brasilien. Frisch angekommen in einem fremden Land kannte ich noch niemanden und wusste gar nicht, wie ich meine ganze freie Zeit füllen sollte. Im Hier und Jetzt, ein halbes Jahr später, sind meine Werktage gut gefüllt und ich freue mich aufs Ausschlafen am Wochenende. Ich streite es nicht ab, ich habe an einigen Stellen mehr Verantwortungen angenommen als ich müsste. Immerhin habe ich streng genommen vier Jobs: eingeschriebene Studentin, Marketing-Werkstudentin, Correspondent und Lehrerin. Auch wenn ich an fünf von sieben Wochentagen unfassbar müde an den Laptop oder zur Uni schlurfe, lohnt es sich. Denn meine bisherigen Erfahrungen, die ich durch all diese Projekte machen durfte, würde ich um nichts in der Welt tauschen wollen.
Alles Liebe,
Anna