23. März 2017
Da bereits zahlreiche theoretische „Raubangebote“ über mich eingerieselt sind, komme ich nicht umhin, mich zu fragen: Inwiefern existiert heutzutage tatsächlich der Brautraub in Kirgistan?
Am Abendessen zu Ehren des Frauentages in Kirgistan werde ich zum ersten Mal nach meinem Alter gefragt. 24 lautet die Antwort – doch schon so alt! Und wie sieht es mit Heirat und Kindern aus? Da sich mein Ringfinger ohne vergoldetes Metall schmückt, helfen Notlügen auch nicht weiter. Aber meine kirgisischen ArbeitskollegInnen wissen mir aus dieser „Not“ zu helfen: Anscheinend kennt jede Frau am Tisch einen männlichen Single, der überaus gerne heiraten möchte. Und der Brautraub lässt sich auch ganz einfach regeln. Moment – der was?! Auch nach dem Frauentag werden noch zahlreiche solche Andeutungen und „Späße“ gemacht, sodass ich mich frage, was an dieser Tradition eigentlich dran ist.
„Ala kachuu“ – die Entführung einer Frau
Der Brautraub ist ein Phänomen, das in Kirgistan seit dem Ende der Sowjetunion seine Renaissance genießt. In der UdSSR verboten, sind die Zahlen erzwungener Ehen seit der Unabhängigkeit 1991 gestiegen. Eine genaue Anzahl lässt sich aufgrund der Dunkelziffer nicht nennen; man vermutet allerdings, dass ein Viertel bis die Hälfte aller Ehen in Kirgistan durch einen Brautraub eingegangen wurden. Dabei handelt sich nicht um ein Randphänomen, sondern wird v.a. in den Städten praktiziert. Ausländer sind hier jedoch nicht betroffen – das Auswärtige Amt macht keine Angaben zur Gefahr von Einreisenden in diesem Kontext. Als unverheiratete Frau über 20 wird man hier jedoch definitiv mit dem Thema konfrontiert.
Die etwas andere Heirat
Was nach einem schlechten Scherz aus einem Sacha-Baron-Cohen-Film klingt, ist in Kirgistan Realität. Obwohl der Brautraub gesetzlich durch die Regierung verboten wurde, nehmen die wenigsten Frauen die Möglichkeit einer Anzeige wahr – aus Scham, die Nacht bereits in einem fremden Haus verbracht zu haben oder sogar, weil sie sich verpflichtet fühlen, endlich zu heiraten. Auch die Polizei ist in den meisten Fällen keine Hilfe.
Zwar werden Frauen am helllichten Tage entführt, aber häufig kennen sie die Räuber nicht. Im fremden Haus versuchen die unbekannten Familienmitglieder ihnen den Hochzeitsschleier aufzudrängen und ihre Zustimmung mit Drohungen oder Gewalt zu erhalten. Auch fürchten sich viele Frauen davor, ihre Ehre zu verlieren und willigen lieber in die Hochzeit ein. In manchen Fällen wird bereits in der Hochzeitsnacht ergo der Entführungsnacht sexueller Missbrauch verübt.
Bei den Gründen, wieso gerade heutzutage der Brautraub in Kirgistan aufblüht, scheiden sich die Geister. Oft werden wirtschaftliche Gründe angegeben: Da viele Männer aufgrund von Arbeit Kirgistan verließen, lassen Frauen sich lieber zwangsverheiraten, als zum Schluss ohne Versorger da zustehen. Auch mögliche „Verwünschungen“ stellen eine Gefahr für sie da. Eugenia Chung, die einen Film über diesen Sachverhalt produziert hat, gibt darüber hinaus soziale Gründe im Zusammenhang mit der auflebenden „Macho-Kultur“an: „Einige Forscher erwägen auch, dass es um die Bestätigung der nationalen Identität geht … und von Männlichkeit.“ Mit ihrem Film möchte die Amerikanerin zum Umdenken der Gesellschaft anregen: „(…) wir wollen die Männer zu der Erkenntnis bringen, dass es mutiger ist, eine Frau zu beschützen und zu bestärken, kurz, ein wahrer Mann zu sein.“
Als ich meine Gastmutter frage, wie bei ihr der Raub abgelaufen sei, schüttelt sie glücklich den Kopf. „Mein Hochzeitsantrag war sehr schlicht. Er fragte mich, ob ich ihn haben möchte. Und ich habe einfach Ja gesagt.“