16. November 2015
Ein grauer Plattenbau aus sozialistischen Zeiten an dem Nächsten. Die riesigen Werbeplakate, die den Balkonen dahinter jedes Licht rauben müssen, können viele der Gebäude nicht unbedingt verschönern. Ist man zu Fuß unterwegs muss man sich durch ein Labyrinth von geparkten Autos schlängeln. Als die enormen Plattenbauten gebaut wurden, hat wohl niemand daran geglaubt, dass all diese Menschen mal ein Auto besitzen würden.
Die Straßen und Fußwege sind nun zugeparkt. Unter der Woche fühlt man sich in Bukarest wie eine Ameise in einem riesigen Ameisenhaufen, das Gewusel ist groß. Alle huschen mit leerem Blick von A nach B. Das man in der U-Bahn ein Lächeln von jemanden bekommt, ist selten. Hupende Autos überall, Geruch von Abgasen. Wenn man eine freundliche Servicekraft in einem Café erwischt, kann man sich freuen. Als Serviceoase kann man Bukarest nicht bezeichnen.
Liebe auf den ersten Blick ist es nicht
Bukarest ist subtiler, man muss die Augen offen halten, den Blick schärfen, um die liebenswerten Seiten zu erkennen. Man muss die Gastfreundschaft in einer der gemütlichen Wohnungen in den nur von außen unschönen Plattenbauten gespürt haben (dazu ist das Fahren mit den sozialistischen Fahrstühlen auf jeden Fall sehr aufregend!). Man muss in die Hintergärten geschaut haben, wo es Cafés unter Dächern von Weintraubenranken gibt. Man muss abseits der enormen Boulevards spaziert sein, wo die alten Villen stehen. Dann versteht man, warum Bukarest einst Little Paris genannt wurde.
Die Kontraste in dieser Stadt sind enorm
Hinter einem frisch renovierten fünf Sterne Hotel türmt ein etwas kläglich dreinblickender Wohnblock. Im Erdgeschoss reihen sich die Designerläden aneinander, ab der zweiten Etage blickt man auf das architektonische Vermächtnis des Sozialismus. Hat man einmal den Geruch des Gemüses auf dem Markt Obor eingesogen, dann weiß man, wie richtiges Gemüse zu riechen hat. Jeden Abend findet man eine andere interessante Veranstaltung – vom feministischen Filmfestival bis zum Jazzkonzert, vom Hipster-Electroclub bis zur Oper. Bukarest ist ein bisschen wie Amy Winehouse nur ohne die ganzen Drogen, kantig wie Johnny Depps Ex Vanessa Paradis oder wie Lady Gaga nur ohne das ganze Glitzerzeug: keine klassische Schönheit aber trotzdem irgendwie extrem anziehend. Man kann sich auf den zweiten, dritten oder vierten Blick in Bukarest verlieben, vielleicht bleibt es manchmal eine Hassliebe, aber eins ist es auf keinen Fall: langweilig.
Earl Offa
12. April 2019
Exzellenter Kommentar!