23. November 2015
Dienstagmorgen, kurz nach 8. Ein Haufen Leute versucht sich durch eine winzige Bustür zu quetschen, jeder fährt seine Ellbogen aus, um auch ja einen der heißbergehrten Plätze in dem Bus der Linie U1 zu bekommen, die von Leamington Spa zur University of Warwick fährt. Aus allen Richtungen kommen weitere Menschen angerannt und versuchen sich an den anderen vorbei nach vorne zu drängen. Denn falls man keinen Platz mehr bekommt, wird man höchstwahrscheinlich zu spät in seiner Vorlesung oder noch schlimmer, da dort Anwesenheitspflicht herrscht, in seinem Seminar ankommen.
Zu Rush-Hour Zeiten mutiert selbst der ansonsten höflichste Engländer, der ansonsten brav in der Schlange steht, um einzusteigen, und der einem als Gentleman auch gerne mal den Vortritt lässt zu einem wahren Kämpfer. Das Ziel dieses Kampfes ist nicht wirklich lohnenswert: eine Dreiviertelstunde in einem überfüllten Bus voller schwitzender, im Winter hustender Menschen. Und wenn man nicht zu den glücklichsten gehört, die einen Sitzplatz ergattern konnte, muss man auch noch gequetscht zwischen ebendiesen Leuten stehen.
Dies ist der Preis dafür in Leamington Spa zu wohnen, der schönsten Stadt in der nächsten Umgebung zur Uni, den aber viele Studenten der University of Warwick bereit sind zu zahlen.
Auch wenn gerade keine Rush-Hour Zeiten sind, war das Busfahren in England während der ersten Wochen ein ganz schönes Abenteuer für mich. Es begann mit dem Linksverkehr, der dazu führte, dass ich einmal auf der falschen Seite in den Bus stieg und einen riesen Umweg fahren musste, um ans Ziel zu kommen.
Busse in England haben zudem grundsätzlich nur eine Tür vorne, durch die alle Leute ein- und aussteigen müssen. Zu normalen Zeiten ist das kein Problem, da die Einsteigenden brav aneinandergereiht anstehen und warten, bis alle ausgestiegen sind. Morgens vor der Uni sieht sich jemand, der zufällig einmal in Leamington aussteigen möchte, mit einer gierigen Meute konfrontiert, die alles tun würde, um in den Bus zukommen. Ich frage mich auch schon seit dem ersten mal, als ich mit einem solchen Bus gefahren bin, was passieren würde, wenn es zu einem Unfall käme und man den Bus wirklich schnell verlassen müsste, und einem nur diese eine Tür zur Verfügung steht. Es gibt zwar Nothämmer, aber sich damit einen Fluchtweg zu schlagen, würde sicherlich ungleich mehr Zeit beanspruchen, als einfach den Bus durch eine andere Tür zu verlassen.
Eine weitere Besonderheit am Busfahren in England ist, dass es nicht selbstverständlich ist, dass Busse anhalten, nur weil jemand an der Haltestelle steht. Wenn man alleine oder zu zweit ist, muss man den Busfahrer durch Heranwinken auf sich aufmerksam machen, sonst hat man schon fast verloren.
Beim Aussteigen verabschiedet sich jeder vom Busfahrer und bedankt sich dafür, dass man mitfahren durfte. Eine wirklich nette Geste, da Busfahrer in Deutschland ja meist ignoriert werden und nur selten mal ein “Hallo” oder ein Lächeln von den Fahrgästen erhalten.
Das Busfahren hier ist also insgesamt unterschiedlich, zu dem was man von Deutschland gewohnt ist. Dank dem gratis WLAN kann man hier sogar die lange Fahrtzeit sinnvoll nutzen, um Mails zu checken, Nachrichten zu beantworten oder sogar zu arbeiten.
Ich mache mich jetzt auch wieder auf den Weg zur Bushaltestelle – zum Glück ist keine Rush-Hour – und freue mich nach diesem Bericht schon fast auf die Fahrt und auf meinen Stammplatz auf dem Oberdeck links in der ersten Reihe!