18. Februar 2022
Fünf Monate meines bisherigen 22-jährigen Lebens ist zwar nur ein kleiner Bruchteil, aber trotzdem war mein Auslandssemester in Estland eine der bisher prägendsten Zeiten für mich. Ich habe mich nicht nur fachlich, sondern auch persönlich weiterentwickeln. Ich habe das ein oder andere Abenteuer erlebt, wurde aus meiner Komfortzone gedrängt und bin jetzt wieder zurück in Deutschland. Hast du Lust, mit mir in einen kurzen Rückblick zu springen?
Estland gehört zwar zur Europäischen Union und ist geografisch auch nicht so weit von Deutschland entfernt, trotzdem hat es mich mit einigen Unterschieden überrascht, die meinen Horizont erweitert haben. Kostenloser Personennahverkehr für Einheimische in Tallinn, E-Estonia mit digitalem Ausweis für die Nutzung bestimmter Online-Services der estnischen Regierung, die unendlichen Weiten der Natur mit Nationalparks und dem Meer und noch so vieles mehr. Ich habe so viele neue Eindrücke gesammelt und selbst Kleinigkeiten hinterfragt, mich getraut, neue Dinge auszuprobieren und mich auf andere Kulturen einzulassen. Das möchte ich auf jeden Fall in Deutschland beibehalten: Offener an Neues herangehen.
Was auch ganz und gar nicht mit Deutschland zu vergleichen war: mein Lebensstil in Verbindung mit der Universität. Im Vergleich zu Deutschland hatte ich wöchentliche Abgaben und viele Gruppenprojekte, motivierende Dozent:innen und natürlich internationale Kommilitonen. Das Studium dort hat mir sehr viel Spaß bereitet, da ich gelernt habe, auf eine andere Weise an neue Sachverhalte heranzugehen. Gleichzeitig konnte ich internationale Arbeitsweisen kennenlernen und quasi während des Studierens neue Freunde:innen kennenlernen.
Und trotz der guten Leistungen am Ende und der Motivation, etwas Neues zu lernen, muss ich zugeben, dass ich insgesamt weniger für die Universität gemacht habe als in Deutschland. Das lag vor allem an dem Lebensstil, den ich vor Ort geführt habe. Ich war eigentlich immer unterwegs und habe jede Minute meines Erasmus-Lebens ausgenutzt. Da gab es größere Abenteuer wie die Ausflüge in Nationalparks oder Trips nach Riga, Finnland und Stockholm, aber auch kleinere alltägliche Dinge wie gemeinsames Kochen oder das Entdecken von Tallinns Museen oder dem Weihnachtsmarkt. Während ich am Anfang noch an vielen ESN (Erasmus Student Network) Veranstaltungen teilgenommen habe, habe ich auch bald begonnen, selbst Ausflüge mit meinen Freund:innen zu organisieren. Ein richtiger „Alltag“ ist nie eingekehrt, weil fünf Monate zu kurz sind, um alles in und rund um Estland zu erkunden.
Aufgrund dessen habe ich mich auch nicht so eingehend mit meiner Mission „Kleines Land – großer Fortschritt“ beschäftigt, wie eigentlich geplant. Allerdings habe ich auch in meinem Alltag viel vom digital fortschrittlichen Estland mitbekommen und teilweise auch selbst erleben dürfen. Wie bereits schon oben im Text angesprochen, ist mir als Erstes die elektronische Staatsbürgerschaft aufgefallen. Gleichzeitig wurden uns zu Beginn an der TalTech die modern ausgestatteten Labore der Bereiche Produktion, Virtual Reality und Robotik vorgestellt. Weiter ging es bei einem Ausflug nach Tartu, die zweitgrößte Stadt Estlands. Dort konnte ich kostenlos mit einem selbstfahrenden Bus mitfahren. Dieser wird aktuell auf einer kurzen Strecke zur Probe eingesetzt. Dazu kommen alltägliche Dinge wie Selbstbezahler-Kassen in jedem Supermarkt oder kleine selbstfahrende Transportsysteme, die dir deine Online-Bestellung bis vor die Haustür liefern. Estland wird seinem Ruf als digitales Vorbild der Europäischen Union meiner Meinung nach mehr als gerecht.
Zusammenfassend kann ich nur sagen, dass mein Auslandssemester eine sehr lehrreiche Zeit war, die ich auf keinen Fall missen möchte. Ich durfte so viele tolle Menschen kennenlernen und auch mich selbst noch einmal von einer anderen Seite. Ich habe viel über meine Ziele gelernt und wofür ich im Leben stehen möchte. Das heißt, dass ich mich und mein Verhalten reflektiert habe und mir nun besser darüber bewusst bin, was ich wirklich in meinem Leben – oder zumindest in nächster Zukunft – möchte. Dazu gehört zum Beispiel mein Master und ein gesünderes Verhältnis zu mir selbst und meinem Körper. Ich habe aber auch gelernt, mit Abschieden und Überforderung umzugehen. Es war nicht immer alles gut, aber im Nachhinein war auf jeden Fall weitaus mehr gut als schlecht und die Erfahrungen es auf jeden Fall wert! Ich werde dich vermissen, Tallinn.