23. Oktober 2019
Liebe gibt es überall, keine Frage. Allerdings kann sich die Art, wie Liebe gelebt und gesellschaftlich akzeptiert wird, ganz schön unterscheiden. In diesem Beitrag teile ich meine bisherigen Eindrücke von der nepalesischen Kultur rund um Liebe, Ehe, und Beziehungen.
Schon nach ein paar Runden Wahrheit oder Pflicht und nächtlichen Gesprächen mit den Einheimischen war mir klar, dass Dates und Beziehungen hier in Nepal ganz anderen Mustern folgen als in Deutschland. Während es bei uns immer weniger Regeln gibt und jeder sein Liebesleben frei gestalten kann, scheint es in Teilen der nepalesischen Gesellschaft noch genaue Vorstellungen davon zu geben, wie romantische Beziehungen auszusehen haben. Der wohl größte Unterschied zur deutschen Liebeskultur liegt darin, dass arrangierte Ehen in Nepal noch verbreitet sind.
Arrangierte Ehe – was bedeutet das überhaupt?
Bei arrangierten Ehen treffen nicht Braut und Bräutigam die Entscheidung über ihre Heirat, sondern die Familien der zukünftigen Eheleute. Die Eltern suchen ihren Kinder einen geeigneten Partner. Einige meiner Nepali Freunde haben mir erklärt, dass viele Ehen inzwischen auf Wunsch der Betroffenen arrangiert werden. In diesem Fall lieben sich Braut und Bräutigam und holen sich von ihren Eltern bloß die Erlaubnis zur Hochzeit. Das ist ein moderneres Modell und kommt der Liebesheirat, wie ich sie kenne, schon deutlich näher. Was aber, wenn die Eltern mit der Partnerwahl ihres Kindes nicht einverstanden sind?
Das passiert häufig, wenn der gewählte Partner einer anderen Kaste angehört. Offiziell ist das Kastensystem in Nepal seit 1962 wegen Diskriminierung abgeschafft, inoffiziell gliedert es aber noch immer die Bevölkerung. Wenn mir jemand von einer anderen Person erzählt und sie beschreiben möchte, wird ihre Kaste genauso selbstverständlich genannt wie das Alter oder der Beruf. In Nepal gibt es vier Hauptkasten: die höchste Klasse der Bahun oder Brahmanen (Priesterkaste), die Chetris oder Kshatriyas (Kriegerkaste), die Vaishyas (Händler) und die Sudras (Unberührbare). Auf das Kastensystem werde ich in einem späteren Beitrag noch einmal genauer eingehen. Wer neugierig geworden ist, findet hier ein paar Basics.
Eine Entscheidung, die niemand treffen möchte
Im Bezug auf Liebe und Ehe kann die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Kasten eine Barriere sein, erklärten mir meine Nepali Freunde. Aus diesem Grund werden Beziehungen zwischen Mitgliedern verschiedener Kasten häufig vor den Eltern verborgen. Ich habe mich mit einem Nepali Mädchen unterhalten, die sich in so einer Situation befindet und damit zu kämpfen hat. Ihre Eltern wissen nichts von ihrem Freund, obwohl die beiden schon zwei Jahre zusammen sind. Auf ihrem Handy gibt es einen mit mehreren Passwörtern geschützten Bereich, in dem sie gemeinsame Fotos aufbewahrt. Sie weiß, dass sie sich irgendwann zwischen ihrer Beziehung und ihrer Familie entscheiden muss. Vielleicht wollen die beiden nach Europa oder Amerika auswandern, um dort heiraten und gemeinsam leben zu können. Mich hat die ganze Geschichte ziemlich berührt und nach dem Gespräch war ich sehr froh um die Freiheiten in meinem Heimatland. Meine Familie wird mich nicht wegen meiner Partnerwahl verstoßen, da bin ich mir ziemlich sicher. Das ist auch in Nepal natürlich nicht in allen Familien so: Teile der Gesellschaft distanzieren sich vom Kastensystem und sehen die Kastenzugehörigkeit bei der Partnerwahl nicht als relevantes Kriterium.
Die Hochzeit
Auch über nepalesische Hochzeiten habe ich in meiner kurzen Zeit hier schon einiges gelernt und sogar selbst eine besucht. Die Hochzeitsfeier ist in der nepalesischen Kultur etwas besonderes und erstreckt sich über circa zwei Wochen. Gefeiert wird im Haus des Ehemanns, in Tempeln und im Haus der Frau mit verschiedenen religiösen Zeremonien. Traditionellerweise kommt die Familie der Braut für die Kosten der Hochzeit auf – und die sind durch den Umfang der Feierlichkeiten alles andere als gering. Teilweise fangen Familien, schon bei der Geburt eines Mädchens an zu sparen, um ihr später eine angemessene Hochzeit zu ermöglichen. Von mehreren Nepali weiß ich aber, dass sich die Regeln rund um die Hochzeitsfeier nach und nach lockern. Mein Mentor zum Beispiel erklärt, dass die Kosten in seiner Familie geteilt werden: Die Feierlichkeiten im Hause des Ehemannes bezahlt seine Familie; die Kosten für die Zeremonien bei der Braut daheim trägt ihre.
Während der Zeremonie hat man mir erklärt, dass die Braut mit der Hochzeit aus der Verantwortung ihrer Familie in die ihres Ehemannes übergeben werde. Das hörte sich für mich zunächst gar nicht gut an. Sollte nicht jeder für sich selbst verantwortlich sein? Ich habe meine Bedenken meinen Nepali Freundinnen gegenüber angesprochen. Sie erklärten, dass das inzwischen mehr symbolisch als wörtlich zu verstehen sei. Während nepalesische Ehefrauen lange Zeit komplett von ihrem Mann abhängig waren und kein eigenes Einkommen haben durften, sehe das heute schon anders aus. Es sei für Nepali Frauen nicht mehr ungewöhnlich, auch außerhalb des Hauses zu arbeiten und ihr eigenes Geld zu verdienen.
Geheiratet wird in Nepal oft deutlich früher als bei uns in Deutschland: Die meisten Mädchen heiraten in den frühen Zwanzigern und wer mit über 25 noch nicht unter der Haube ist, wird in Teilen der Gesellschaft schon mal schief angeguckt. Aber auch hier sind Veränderungen zu beobachten. Eine meiner Nepali Freundinnen ist 28 Jahre alt und trägt keinen Ehering. Sie erzählt, dass sie sich manchmal dafür rechtfertigen muss, ihre Entscheidung von ihren Freunden und ihrer Familie jedoch akzeptiert wird.
Wozu daten, wenn die Eltern sich um den Partner kümmern?
Man könnte denken, dass sich das Daten in einer von arrangierten Ehen dominierten Kultur erübrigt. So einfach ist es aber nicht. Viele junge Nepali lehnen die traditionellen Vorstellungen ihrer Eltern ab und möchten lieber selbst einen Partner finden. Allerdings ist das gar nicht so einfach: Da Nepali üblicherweise bis zu ihrer Hochzeit mit ihrer Familie zusammenleben und deren Regeln folgen, haben sie kaum Gelegenheiten zum Daten. Viele meiner Nepali Freundinnen müssen gegen 20 Uhr abends zu Hause sein und ihre Eltern um Erlaubnis fragen, bevor sie sich mit Freunden treffen. Abends in einem Club feiern zu gehen oder mit Gleichaltrigen in der Bar zu sitzen ist hier kein Teil des Soziallebens. Selbstverständlich kann man in Kathmandu feiern gehen (das habe ich auch schon getestet), aber fast alle Clubs befinden sich im Touristenviertel der Stadt und werden überwiegend von Reisenden genutzt. Zudem gibt es im Nachtleben Kathmandus deutlich mehr Männer als Frauen.
Ich habe den Männerüberschuss deutlich zu spüren bekommen. Noch nie wurde ich so häufig angesprochen oder angetanzt wie hier – und noch nie so aufdringlich und unangemessen. Das liegt meinem Mentor zufolge wahrscheinlich daran, dass ich mit meinen blonden Haaren unschwer als Ausländerin zu erkennen bin. Die meisten Nepali wissen, dass andere Kulturen in Sachen Dating und Flirten oft offener sind als ihre eigene. Einige schließen daraus, dass sie sich mehr herausnehmen dürfen.
Trotz geringer gesellschaftlicher Akzeptanz für Dates und uneheliche Beziehungen haben viele Nepali einen Partner oder nutzen Dating-Apps. Egal ob Dates, Beziehungen oder der Tinder-Account: Meine Nepali Freunde sagen, das sie solche Dinge vor ihren Eltern geheim halten, um Konflikte zu vermeiden und die Familie nicht zu beschämen.
Insgesamt scheint sich die nepalesische Beziehungs- und Datingkultur im Umbruch zu befinden. Während einige Nepali komplett nach den traditionellen Regeln leben, versuchen sich andere von diesen zu emanzipieren – trotz möglicher Strafe ihrer Familie und der Gesellschaft. Glücklicherweise gibt es auch Familien, die mit diesen Themen modern umgehen und ihren Kindern viele Freiheiten lassen. Ich bin gespannt wie sich das Ganze entwickelt und bin mir sicher, dass die Vorstellungen von romantischen Beziehungen und Ehen in der nächsten Generation bereits weniger strikt sein werden als sie es heute sind.