23. Dezember 2022
Wie wird der Dialekt der Menschen in Barranquilla wirklich sein? Werde ich die Menschen vor Ort verstehen? Wie gut ist mein Spanisch überhaupt? Ausreichend, um mich im Alltag zu verständigen? Wie wird es mir sprachlich ergehen? Tatsächlich waren das die mitunter wichtigsten und zentralen Fragen, die ich mir vor meinem Auslandsaufenthalt gestellt habe. Nach einigen Monaten an der Nordküste Kolumbiens kenne ich endlich die Antworten und teile sie mit dir.
Doch erst noch einmal einen Schritt zurück. Warum habe ich mir überhaupt so viele sprachbezogene Fragen gestellt? Und weshalb war das Thema Sprache im Vorhinein mit so viel Unsicherheit und Zweifel verbunden? Zum einen war das meinem eigenen Spanisch-Niveau geschuldet. Zwar konnte ich mich bereits vor meinem Sprachkurs in Salamanca in Gesprächen mit Freund:innen auf Spanisch gut unterhalten. Mir fehlte jedoch bislang die tatsächliche Sprachpraxis im Alltag und in neuen Situation, die abseits der Wohnzimmergespräche stattfanden. Dadurch konnte ich nur schwer einschätzen, wie ich mich sprachlich in Kolumbien zurechtfinden würde. Der zweite Grund für meine anfängliche Unsicherheit waren die häufigen Warnungen meiner südamerikanischen Freund:innen bezüglich des wohl schwersten kolumbianischen Dialekts, des sogenannten Costeño. Diese Mundart wird in der nördlichen Küstenregion (die Küste = (esp.) la costa) von den gleichnamigen Einheimischen gesprochen. Bis zu meiner Ankunft habe ich versucht, die „Warnungen“ zu ignorieren. Denn ich hatte mich zuvor ja unter anderem auch für Kolumbien entschieden, weil es im Vergleich zum argentinischen, chilenischen oder kubanischen, das verständlichste Spanisch sein soll.
Wie ist es denn jetzt, das Costeño-Spanisch?
Eine Herausforderung! Costeño ist einer von circa elf kolumbianischen Spanisch-Dialekten. Darüber hinaus gibt es in Kolumbien neben dem Spanischen jedoch noch knapp 70 weitere Sprachen – vor allem eine Vielzahl indigener Stammessprachen und einige Kreolsprachen. Der Großteil der Kolumbianer:innen (99,5%) spricht jedoch Spanisch, da die Indigenen nur einen kleinen Teil der Gesamtbevölkerung ausmachen. Und nun die Frage: Hat es viel mit dem Spanischen zu tun, was die Costeños in „meiner“ Küstenregion sprechen? Eindeutige Antwort: Ja! So schwierig, wie es meine Bekannten angedeutet hatten, ist der Dialekt gar nicht. Er ist zwar deutlich schneller als alle anderen Dialekte. Und ja, die Costeños verschlucken eine Vielzahl an Konsonanten, Vokalen und teilweise ganze Wörter. Jedoch gewöhnt man sich schnell daran. Ich habe am warmen und melodischen Klang des Costeño mittlerweile sogar teilweise Gefallen gefunden. Zusätzlich hat das Ganze einen entscheidenden Vorteil: Immer wenn ich in anderen Regionen des Landes bin, verstehe ich die Menschen dort umso besser. Denn wie sagt man hier so schön? „Wer Costeño versteht, versteht Spanisch überall“.
Costeño für Anfänger
Costeño zu verstehen ist eine Sache. Mit dem Sprechen gestaltet sich das Ganze jedoch völlig anders. Der Dialekt unterschiedet sich nicht nur in Geschwindigkeit und Klangfarbe vom Hochspanischen, sondern vor allem auch durch ganz neue Wörter, die sogar Kolumbianer:innen aus anderen Teilen des Landes nicht verstehen und erst erlernen müssen. Auch wenn es auf keinen Fall nötig ist, Costeño zu sprechen, wenn man sich wie ich in Barranquilla aufhält, versuche ich trotzdem die Sprache der Menschen vor Ort ein bisschen zu lernen. Dabei hilft mir zum Beispiel Javier. Er arbeitet in der Mensa der Schule und bringt mir jeden Tag beim Mittagessen ein neues Wort oder einen Satz auf Costeño bei. Im Gegenzug lernt er von mir täglich ein Wort Deutsch, wodurch er mittlerweile die deutschen Schüler:innen und Lehrer:innen in ihrer eigenen Sprache überraschen kann.
Ähnlich überrascht, wie meine deutschen Kolleg:innen von Javier, sind im Gegenzug die Kolumbianer:innen von meinem Costeño-Spanisch, das ich situationsabhängig „auspacken“ kann. Generell kann ich dir den Tipp geben, in deinem Auslandsaufenthalt ein paar typische, regionale Wörter oder Ausdrücke zu erlernen. Damit kannst du in vielen Situationen das Eis brechen, die Stimmung auflockern und zeigst gleichzeitig Interesse an deinem Gegenüber. Passend dazu habe ich mal ein paar typische Ausdrücke auf Costeño mit der dazugehörigen deutschen und spanischen Übersetzung zusammengestellt:
¡Todo bien vale mía! = Wie geht’s, Kumpel? = (esp.) ¿Como vas?
Tengo filo. = Ich habe Hunger. = (esp.) Tengo hambre.
el menudo = das Kleingeld = (esp.) el dinero suelto
¡Aguanta el burro! = Einen Moment, bitte! (wörtl.: Halt den Esel zurück!) = (esp.) ¡Espera un momento!
¡Nos pillamos / Nospi! = Wir sehen uns! = (esp.) ¡Nos vemos!
Praxischeck: Wie (gut) ist mein Spanisch?
Schon seit der ersten Woche in Kolumbien war ich erleichtert. Mein Sprachniveau ist gut genug, um im Alltag zurecht zu kommen und Gespräche fließend zu führen. Dem europäischen Referenzrahmen entsprechend, würde ich mein Spanisch mündlich in etwa dem Niveau B2 zuordnen. In der Schule wird weitestgehend Hochspanisch oder Deutsch gesprochen und falls ich etwas mal nicht direkt verstehe, wiederholt mein Gegenüber das Gesagte eigentlich immer noch einmal – falls nötig auch etwas langsamer. Und spätestens seit dem Tag meiner ersten freien Rede, würde ich den Praxischeck als bestanden ansehen. Damals wurde ich kurzfristig gebeten, im Rahmen einer Abendveranstaltung an einer Gesprächsrunde spontan auf die Fragen des Moderators zu meiner Zeit in Kolumbien einzugehen – auf Spanisch.
Mir ist es mittlerweile sogar schon ein paar Mal passiert, dass ich gefragt wurde, ob ich aufgrund meines Dialektes Spanier sei. ¡Qué chévere (kolumbianisches Spanisch) – Wie schön! Das ist natürlich ein großes Kompliment und zeigt mir, dass ich gut verstanden werde. Vor allem wenn es um häufige Themen wie Beruf, Herkunft oder Landeskunde geht. Doch wie kommt es möglicherweise dazu, dass mich manche Personen dem Land Spanien zuordnen?
So habe ich (Spanisch) gelernt!
Es ist natürlich nur eine Vermutung, aber vielleicht hat mein Sommersprachkurs in Salamanca (Spanien) dazu geführt, dass ich mir viele spanische Sprechgewohnheiten angeeignet habe. Das könnte auch daran liegen, dass ich zuvor nie Spanischunterricht hatte und der Sprachkurs mir eine wichtige Orientierung geliefert hat.
Doch bereits vor meinem kurzen Aufenthalt in Spanien konnte ich mich auf Spanisch unterhalten. Wie kam es dazu? Zum einen hatte ich während meiner Schulzeit sechs Jahre Italienisch (B2), was mir beim Spanisch lernen eine große Stütze ist. Und zum anderen habe ich es neben ein paar Selbstlern-Büchern vor allem einer App zu verdanken, dass ich fast beiläufig und dennoch sehr schnell meine dritte Fremdsprache erlernen konnte: Tandem. Ich erwähne diese kostenlose Plattform an dieser Stelle vor allem, weil du damit jede Sprache lernen kannst – mit und durch Muttersprachler. Der Algorithmus der App vernetzt dich mit Menschen, die deine Zielsprache sprechen und gleichzeitig deine Muttersprache lernen wollen. So entstehen Sprach-Tandems und du kannst entscheiden, mit wem du (mit Korrigier-Funktion) schreiben, Sprachnachrichten austauschen oder auch direkt (Video-)telefonieren und sprechen möchtest. Es gibt natürlich auch andere Sprachlern-Apps; der unmittelbare Austausch und das gemeinsame Üben mit realen und gleichgesinnten Personen hat mich jedoch täglich viel mehr motiviert als das Lernen allein.
Die Sprache: Ein Mittelpunkt (m)eines Auslandsaufenthaltes
Sprache ist in meinem Fall der Dreh- und Angelpunkt meines Auslandsaufenthaltes. Zum einen bereits aus dem Grund, da ich unter anderem selbst Sprachunterricht (Deutsch) an einer Schule in Kolumbien gebe. Und zum anderen weil ich selbst täglich die spanische Sprache lerne. Hin und wieder lese ich oder schaue Filme und Serien auf Spanisch oder mit den entsprechenden Untertiteln. Am meisten lerne ich jedoch beiläufig im Alltag, ohne es zu merken: sowohl den täglichen Sprachgebrauch der Costeños als auch wichtige Ausdrücke und Wörter des Hochspanischen.
Abschließend möchte ich betonen: Es ist meines Erachtens nicht zwingend notwendig, die Landessprache deines Aufenthaltsortes zu erlernen, um eine schöne Zeit im Ausland zu haben. Je nach Kontext, kann es zum Beispiel so sein, dass alle deine Kurse im Auslandssemester auf einer anderen Sprache als der Landessprache sind. So ist es zum Beispiel bei meiner Korrespondenten-Kollegin Nora. Sie verbringt ein Semester in Norwegen und dort ist keiner ihrer Kurse auf Norwegisch. Es ist alles auf Englisch. Hinzu kommt, dass die englische Sprache in der Bevölkerung weit verbreitet ist und sie sich so mit nahezu jedem unterhalten kann. Hier in Barranquilla ist das etwas anders. Ein Großteil der Bevölkerung spricht kaum bis kein Englisch (oder Deutsch) und so bin ich hier mehr auf mein Spanisch angewiesen. Daher mein Tipp: Falls du vorhast, einen Teil deines Studiums in Kolumbien zu verbringen, würde ich dir raten, im Vorhinein die wichtigsten Basics auf Spanisch zu erlernen. Und schon mit einem stabilen A1-Sprachniveau bist du für deinen Auslandsaufenthalt bestens gewappnet – denn alles andere kommt dann von ganz allein.
Ist vielleicht noch eine Frage offen geblieben? Oder hast du ein Anliegen zu deinem möglichen Auslandsaufenthalt? Dann schreib mir jederzeit gern! Entweder direkt hier oder auf Instagram.
Tim