26. Juni 2023
Mein Auslandssemester in Estland war eine der aufregendsten Zeiten in meinem Leben. Ich habe ganz viel zum ersten Mal gemacht und dabei neues Selbstbewusstsein gewonnen. In diesem Beitrag ziehe ich ein Fazit und erzähle euch, wie es mir ergangen ist.
Das Auslandssemester war ein großer Schritt heraus aus meiner Komfortzone. Noch wenige Jahre zuvor wäre es für mich niemals in Frage gekommen, so eine lange Zeit im Ausland zu verbringen. Doch dann kam das Bedürfnis, auszubrechen aus meinem Alltag zu Hause, neue Erfahrungen machen, weit weg von allem, was ich bis dahin kannte. Ich habe mich bewusst dazu entschieden, an einen mir vollkommen fremden Ort zu gehen. Ein Stück weit wollte ich dadurch auch die Abenteuer nachholen, die ich während der Corona-Pandemie so vermisst habe.
Jetzt, am Ende meines Auslandssemesters, kann ich sagen: Das war genau richtig. Ich hatte eine unfassbar schöne Zeit. Nun nach fünf Monaten Abschied zu nehmen von meiner neuen, so liebgewonnenen Heimat, fällt mir extrem schwer. Die Zeit ist viel zu schnell vergangen. Sowohl der estnische Winter als auch der Sommer waren wunderschön. Die verschneiten Landschaften und zugefrorenen Seen, dann das langsame Erwachen der Natur und schließlich die endlosen Sommertage mit den weißen Nächten – das alles hat mich sehr beeindruckt. Warum ich Estland so gerne mag und was das Land alles zu bieten hat, habe ich bereits in einem anderen Beitrag aufgeschrieben, den findet ihr hier.
Die Herausforderung Fernbeziehung
Während meines Auslandssemesters habe ich gemerkt, wie nah Freude und Schmerz manchmal beieinander liegen. Da ist der Adrenalinrausch, all die neuen Eindrücke, dieses unbeschreibliche Gefühl, wenn man merkt: An diesen Moment werde ich mich für immer erinnern. Aber da ist auch das Vermissen, die Sehnsucht nach Orten, die man schon sein Leben lang kennt und nach Menschen, die sich nach zu Hause anfühlen.
Vor allem meinen Freund habe ich während meiner Zeit in Estland sehr vermisst. Die Fernbeziehung war für mich persönlich eine der schwierigsten Herausforderungen. Oft habe ich mir meinen Freund herbei gewünscht, um besondere Momente mit ihm zu teilen oder um mich einfach bei ihm anlehnen zu können. Ich bin sehr dankbar dafür, dass er mich drei Mal in Estland besucht hat. Denn in dieser Zeit habe ich immer wieder gespürt, wofür sich das ganze Vermissen und die Tränen lohnen: Für die Freude und die Leichtigkeit, die ich spüre, wenn wir zusammen sind, weil mit ihm alles so viel einfacher ist.
Jetzt freue ich mich umso mehr darauf und weiß es noch stärker zu schätzen, zu Hause meinen Alltag mit ihm teilen zu können und nicht mehr wochenlang darauf warten zu müssen, ihn in die Arme zu schließen.
Neues Selbstbewusstsein
Der Auslandsaufenthalt hat mich aber auch darin bestärkt, dass ich gut mit mir selbst auskomme und es schaffe, mich in kurzer Zeit an eine neue Umgebung zu gewöhnen. Schon nach wenigen Tagen habe ich mich sowohl in meiner WG als auch in der Stadt wohl gefühlt. Diese Erkenntnis gibt mir Sicherheit und Selbstbewusstsein für die Zukunft. Die Vorstellung, zum Beispiel aus beruflichen Gründen, einmal für eine Zeit ins Ausland oder einfach nur in eine fremde Stadt zu ziehen, stresst mich jetzt deutlich weniger.
Mein Freund, meine Familie und meine Freundinnen haben mich im Auslandssemester sehr unterstützt. Trotz der räumlichen Distanz waren sie immer erreichbar und für mich da. Das hat mir sehr viel Sicherheit und Halt gegeben und mir zugleich erlaubt, an mich selbst zu glauben. Ich konnte mich frei entfalten und wusste dennoch, dass ich nicht auf mich allein gestellt bin. Wenn ich mich doch mal einsam gefühlt habe, war ich froh, meine beste Freundin im Auslandssemester, Vicky, und meine Mitbewohnerin Amina zu haben. Es war genau richtig, dass ich mich in Tartu für eine WG entschieden habe, anstatt für eine eigene Wohnung, wie ursprünglich geplant.
Neues Selbstbewusstsein zu gewinnen, war eines meiner Ziele für das Auslandssemester. Das ist mir definitiv gelungen. Ich bin stolz auf mich, dass ich den Aufenthalt wie geplant durchgezogen habe. Alle Schwierigkeiten und Probleme, die im Laufe der Zeit aufkamen, konnte ich lösen und bin gestärkt aus den Situationen heraus gegangen. Immer wieder habe ich mich überwunden, um etwas zu tun, was ich noch nie vorher gemacht hatte.
Erste Male im Auslandssemester
- in einer WG leben
- eine neue Sprache auf der Basis von Englisch lernen
- Skilanglauf ausprobieren
- in eiskaltem Wasser schwimmen
- mehr als 20 Stunden am Stück Bus fahren
- auf einem zugefrorenen See laufen
- alleine ins Kino gehen
- auf einer Mole mehr als einen Kilometer weit ins Meer laufen
- an einem Fotoshooting für eine Marketing-Kampagne teilnehmen
- einen Husky-Schlitten lenken
- spontan eine mündliche Prüfung ablegen
- ein Valentinstags-Date über Videoanruf haben
- eine mehrstündige Kanu-Tour machen
- mit einem E-Bike fahren
- ein Picknick bei Minusgraden machen
- alleine ein Fliegengitter anbringen
- mit Schneeschuhen wandern
- meinen Geburtstag ohne meine Familie und meine Freundinnen feiern
Entspannter studieren als zu Hause
Mit meinem Studium an der Universität Tartu bin ich sehr zufrieden. Ich habe vier Kurse mit insgesamt 18 ECTS absolviert – und alle mit Bestnote abgeschlossen. Meine Sorge davor, bei den Kursen aufgrund der Sprachbarriere und möglicherweise neuer Lehrmethoden nicht mitzukommen, war unbegründet. Ganz im Gegenteil: In allen Kursen habe ich mich schnell wohlgefühlt und die Inhalte verstanden. Meine Dozentinnen waren sehr nett, aufgeschlossen, hilfsbereit und um eine angenehme Lernatmosphäre bemüht.
Um die Kurse mit Bestnote abzuschließen, wurde von mir vor allem aktive Mitarbeit während der Seminarstunden und regelmäßiges Einreichen von (Haus)Aufgaben erwartet. Anders als an meiner Heimat-Uni waren die Leistungen bei allen Kursen über das Semester verteilt. Am Ende der Vorlesungszeit gab es dann zwar noch eine abschließende Prüfung oder Abgabe, aber die machte nur einen Teil der Note aus und war nicht besonders groß. So hatte ich insgesamt das Gefühl, dass die Kurse an der Universität Tartu für mich entspannter zu absolvieren waren als ich es von zu Hause kannte.
Positiv überrascht hat mich auch, wie gut die Universität organisiert war. Alle Termine, Themen und Anforderungen der Kurse standen beim ersten Termin fest und wurden offen kommuniziert. Emails wurden schnell beantwortet und Fragen ausführlich geklärt.
Besser Englisch sprechen
Eines meiner Ziele für das Auslandssemester war es, meine Englischkenntnisse zu verbessern und sicherer in der Kommunikation zu werden. Das ist mir auf jeden Fall gelungen, da ich deutlich mehr Englisch gesprochen und in den Kursen auch gelesen habe als in meinem Alltag in Deutschland. Vor allem mein Wortschatz ist nach meinem Empfinden größer geworden. Dazu hat auch der Estnisch-Kurs beigetragen, in dem ich die neue Sprache auf der Basis von Englisch gelernt habe.
In der Alltagskommunikation bin ich ebenfalls sicherer geworden. Geübt habe ich diese vor allem in der WG mit meiner Mitbewohnerin, die aus Spanien kommt. Dabei habe ich auch gemerkt, dass es vollkommen normal und okay ist, morgens nach dem Aufstehen oder im Stress mal keinen geraden Satz zustande zu bringen. Schließlich ist Englisch nicht unsere Muttersprache. Man schafft es trotzdem immer irgendwie, sich zu verständigen und wird mit der Zeit automatisch sicherer.
Dennoch muss ich sagen, dass ich während meines Aufenthalts deutlich mehr Deutsch und weniger Englisch gesprochen habe als ich vorher dachte. Die meisten Freund:innen, die ich in Estland kennengelernt habe, kamen aus Deutschland, sodass ich mit ihnen natürlich Deutsch gesprochen habe, wenn wir zusammen unterwegs waren. Ich habe zwar auch Erasmus-Studierende aus anderen Ländern kennengelernt, mit ihnen aber insgesamt weniger Zeit verbracht. Irgendwie schade – aber so hat es sich ergeben.
Was ich mit nach Hause nehme
Aus meinem Auslandssemester gehe ich mit dem Gefühl großer Dankbarkeit nach Hause. Ich bin unheimlich dankbar für diese Erfahrung, für die Unterstützung aus meinem Umfeld, dafür dass alles so gut verlaufen ist – noch viel besser, als ich es mir hätte vorstellen können. Jetzt weiß ich das Erasmus-Programm wirklich zu schätzen. Es ermöglicht eine Art von Austausch und persönlicher Entwicklung, die unvergleichlich ist. Die Begegnungen, die ich in Estland hatte, hätte ich Zuhause so niemals erleben können.
Mein Auslandssemester in Estland fühlt sich im Rückblick wie ein langer Urlaub an, eine Zeit des Abenteuers und der Freiheit. Ich hoffe, dass ich mir dieses Gefühle auch zurück in Deutschland noch ein wenig erhalten kann. Ich war schon immer eine optimistische Person, aber diese Auslandserfahrung hat meinen Optimismus noch einmal verstärkt. Ich bin mir jetzt noch sicherer, dass ich, was auch immer ich mir in den Kopf setze, schaffen kann. Und selbst wenn mal etwas schief läuft: Ich kann mich auf mich selbst verlassen und Herausforderungen überwinden.
Zu guter Letzt bin ich sehr froh, dass ich als Correspondent für studieren-weltweit über meine Zeit in Estland berichten durfte. Blogbeiträge und Social-Media-Content zu erstellen hat mir nicht nur viel Freude bereitet, sondern mir auch dabei geholfen, meine Erfahrungen zu reflektieren. So gehe ich jetzt nicht nur mit einem Koffer voller Postkarten und Souvenirs nach Hause, sondern auch mit einem digitalen Tagebuch, mit dessen Hilfe ich mich immer an diese besondere Zeit in meinem Leben erinnern können werde.
Head aega, Eesti! Auf Wiedersehen, Estland! Thank you for the memories <3