13. November 2020
In drei Artikeln möchte ich drei Tage beschreiben, die die anderen 61 meines bisherigen Aufenthalts gut zusammenfassen. Der Protagonist: ein Erasmusstudent, der nach Sevilla kam, um zu lernen, um Leute kennenzulernen und um eine gute Zeit zu verbringen. Der Antagonist: ein Virus.
Ich habe mich im Oktober 2019 für ein Auslandssemester an einer spanischen Uni beworben und gleich kamen die ersten Sorgen. Komme ich mit der Sprache klar? Finde ich schnell Anschluss? Sollte ich vielleicht ein Kopfkissen einpacken? In Spanien sind die meistens doch recht platt und länglich, wie plüschgewordene Burritos, und ich schlafe doch so schon so schlecht …
… ja … Wochen und Monate später zeichnete sich ab, dass sich mir ein schwerwiegenderes Problem in den Weg stellen würde. Es heißt coronavirus disease 2019 und ist ein richtiger Spielverderber. An manchen Tagen weniger – wie an Tagen wie diesem:
Ein Sonntag
Ich hätte mir mehr solcher Tage gewünscht und 2019 auch sicherlich mehr solcher Tage gehabt. Am Vormittag gehen meine beiden Mitbewohner und ich in ein Café. Nicht, weil wir keinen Kaffee im Haus hätten, sondern weil man in Spanien sehr preiswert auswärtig frühstückt und weil es ein Stück weit auch zur spanischen Kultur und Lebensqualität dazugehört.
Wir sitzen draußen auf diesen Plastikstühlen, die typisch sind für spanische Cafés. Optisch machen sie nicht viel her, aber mehrere Landsleute haben mir schon versichert: „Je schäbiger die Gaststätte aussieht, desto besser ist sie meistens.“
Und diese ist gut. Bei netter Gesellschaft, Sonnenschein, leichter Brise und Kaffee – einmal entkoffeiniert, zweimal klassisch – dreimal mit Milch.
Spanischer Kaffee ist eine Wissenschaft für sich. Ein paar Vokabeln ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
- Café solo – Kaffee ohne Schnickschnack, in einer kleinen Tasse und für deutsche Gaumen sehr stark. Kennen wir eher unter dem Namen „Espresso“.
- Café con leche – Kaffee mit Milch.
- Café cortado – Viel Kaffee, ein Schuss Milch.
- Café manchado – Viel Milch, ein Schuss Kaffee.
- Café americano – Kaffee gestreckt mit Wasser. Den bestelle ich meistens, weil er so schmeckt wie der Kaffee, den ich auch in Deutschland trinke. Benannt ist er übrigens nach den US-amerikanischen Soldaten, die während des Zweiten Weltkriegs auf Sizilien landeten und mit dem dortigen Espresso nicht viel anfangen konnten.
- Café con hielo (seltener: Café del tiempo) – schwarzer Kaffee auf Eis. Klingt verrückt, ist im Sommer aber ganz nett!
Mein Mitbewohner Pepe schielt aufs Handy. Yolanda und Lucía – Freundinnen von ihm und irgendwie auch Freundinnen von mir – seien mit ihren Fahrrädern unterwegs zur Isla de la Cartuja. Mit einer Slackline und ein paar Flaschen Eistee im Gepäck. Der Anlass: Es gibt keinen; es ist einfach nur ein sorgloser Sonntag.
Wir treffen uns dort mit ihnen. Genauer: am Andalusischen Zentrum für zeitgenössische Kunst (CAAC).
Wir spannen die Slackline zwischen zwei Bäume. Als ich zum siebten Mal runterfalle, bleibe ich einfach an Ort und Stelle auf der Wiese liegen und lasse die Sonne ihren Job machen.
Morgen geht es wieder in die Uni, aber heute liege ich einfach nur auf der Wiese, mache die Augen zu und höre die Vögel und das Lachen meiner netten Gesellschaft und in der Ferne die Ruderer auf dem Guadalquivir.
Der Guadalquivir (arabisch: „Großer Fluss“) ist der fünftlängste Fluss Spaniens und der längste in Andalusien. Seine Ufer sind ein beliebter Anlaufpunkt für Jogger, Spaziergänger und Angler.
Jetzt aber wieder die Maske auf! Wir gehen etwas essen! Und zur Feier des Tages essen wir nicht vor dem Fernseher, sondern in einer Tapasbar. Was feiern wir noch gleich? Den Sonntag!
Das Foto ist vor dem 10. November entstanden. Seit dem gilt in Andalusien auch eine Maskenpflicht am Tisch im Restaurant. Man darf sie – logischerweise – abnehmen, wenn man gerade isst oder trinkt. Sicherlich ist die Regelung schwierig durchzusetzen – und ehrlich gesagt halten sich auch nur wenige daran. Seit besagtem 10. November schließen gastronomische Betriebe auch schon um 18 Uhr (statt 22 Uhr).
Wir gehen nach Hause. Dort fällt mir ein, dass ich noch die Wäsche aufhängen muss. Aber gerade scheint das mein einziges Problem zu sein – an diesem sorglosen Sonntag, an dem Corona (fast) keine Rolle spielt.