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Drei Tage in Sevilla (3/3): Ein Donnerstag


Die sorglosen Sonntage sind – traurigerweise – selten. Die stressigen Mittwoche sind – glücklicherweise – selten. Die meisten Tage meines Auslandsaufenthalts sind recht bequem. Das kann schön sein oder auch nicht.

Dass ich noch nicht so wirklich in Sevilla angekommen bin, merke ich vor allem im Bett. Ich habe schon häufiger längere Urlaube in Spanien gemacht. Und etwa ab der zweiten Wochen im (Heimat?-)Land geschieht dann jedes Mal etwas Kurioses: Ich träume auf Spanisch. Und in diesen Träumen spreche ich ganz und gar akzentfrei, wovon sich der wache Adrian gerne eine Scheibe abschneiden darf. Jetzt bin ich schon seit zwei Monaten zum Auslandssemester in Sevilla und träume nach wie vor in deutscher Sprache. Woran liegt es? Vermutlich an Tagen wie diesen:

Ein Donnerstag

Donnerstags habe ich nur alle drei Wochen eine Lehrveranstaltung. Ein schöner Tag für dies und jenes, für all das, was auf der Erleben-Seite und nicht auf der Studieren-Seite des Auslandssemesters steht.

Aber leider kenne ich wenige Menschen in Sevilla, mit denen ich das teilen könnte. Mir ist bisher kein einziger Austauschstudent begegnet. Einerseits liegt das daran, dass es keine Einführung oder dergleichen für ausländische Studierende gab und dass solche in den Geisteswissenschaften ohnehin rar gesät sind, andererseits ist das, aber auch meine eigene Schuld.

Das hätte ich besser machen können

Mein Cousin Pablo hat versucht, mich für Viverasmus zu begeistern. Das ist eine Unterkunft für ausländische Studierende in Sevilla und er kenne da einen der Verantwortlichen.

„Die Partys von denen sind der Wahnsinn“, sagte Pablo in einer Sprachnachricht, „… gut, in diesem Jahr fällt das alles wahrscheinlich etwas kleiner aus! Aber für dein Geld bekommst du da nicht nur das Zimmer, sondern das ganze ‚Erlebnis‘! Es gibt eine Dachterrasse mit Pool und du kommst preiswerter in Restaurants, es ist einfach das Erasmus-‚Erlebnis‘ …“

Und in der zwei-minütigen Sprachnachricht wiederholte Pablo noch fünfmal das Wort „Erlebnis“, da war mir klar, dass es nicht das ist, wonach ich suche.

Ich reise nicht nach Sevilla, um einen Pauschalurlaub unter Palmen zu verbringen. Ich möchte das echte spanische Leben führen. Für das „Erlebnis“ sorge ich dann schon selbst – aber lieber mit Spaniern als mit internationalen Studierenden. Außerdem kosten die Zimmer (samt „Erlebnis“) bei Viverasmus um die 400 bis 500 Euro, was ich für sevillanische Verhältnisse etwas happig finde.

Eine andere Möglichkeit, Leute kennenzulernen, wäre sicherlich die Facebook-Gruppe von ESN Sevilla. Dort werden regelmäßig Veranstaltungen angeboten und in pandemiefreien Zeiten sind die sicherlich auch toll, aber eine Online-Netflix-Party oder eine Online-vor-der-Laptopkamera-stehen-und-tanzen-Veranstaltung klingen für mich in etwa so verlockend wie ein Online-Frisörbesuch mit anschließender Online-Ganzkörpermassage.

Meine spanischen Mitbewohner sind nett, aber …

Rückblickend wäre es für mich sicherlich nicht verkehrt gewesen, zumindest zeitweise der Erasmus-Bubble anzugehören. Aber jetzt habe ich einen Mietvertrag bis Juli 2021 und kaum habe ich den unterschrieben, kehrt für meine spanischen Mitbewohner der Alltag ein.

Für Pepe bedeutet das zeitweise bis zu zwei (mäßig bezahlte) Nebenjobs, denen er täglich nachgeht – einmal am Vormittag, einmal spätabends. Jesús mag es hingegen bequem. Ich finde ihn meistens auf dem Sofa vor, mit einem Auge schaut er auf den Fernseher, mit dem zweiten auf den Laptop und mit einem dritten Auge schaut er aufs Smartphone.

Wenn ich ihn – oder auch Pepe – versuche zu überreden, etwas zu unternehmen, beiße ich meistens auf Granit. Schon klar, dass es gerade nicht der richtige Zeitpunkt für ausschweifende Corona-Partys ist, aber ein Spaziergang an der frischen Luft würde uns dreien sicherlich ganz guttun.

Ausschnitt eines Gemäldes. Barbusige Frau versucht einen Mann festzuhalten, der abwährt.
Symbolbild meiner Überredungskünste. Antonio Maria Esquivel: José y la mujer de Putifar (1854).

Mir bleibt daher häufig nicht viel anderes übrig, als alleine loszuziehen. An diesem Donnerstag gehe ich ins Museo de Bellas Artes (Museum der Schönen Künste).

Außenfassade des Museums.

Eine Handvoll Leute stehen vor dem Eingang – Männer in weißem Hemd, Frauen in weißer Bluse. Es sind offenbar Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Zigarettenpause. Ich drängle mich ein wenig unsicher an ihnen vorbei.

„Wollen Sie rein?“, fragt mich die Frau am Einlass.

„Darf ich denn?“, frage ich unsicher zurück.

„Wo kommt Ihre Gruppe denn her?“

„Ich bin allein. Und ich komme aus Deutschland.“

Sie lächelt, gibt mir ein Ticket und winkt mich durch. Ich hätte mir gerne eingeredet, dass es an meinem Charme liegt, aber später lese ich auf der Homepage des Museums, dass der Eintritt für EU-Bürger und Studierende tatsächlich gratis ist.

Rote Wände mit vier Gemälden und einer Figur eines Mannes.

Das Quietschen meiner Schuhe hallt durch die Ausstellungsräume. Sonst scheinen keine anderen Besucher hier zu sein. Merkwürdig. Ich mache mich bemerkbar, grüße alle Sicherheitsleute mit leiser Stimme, warte nur darauf, dass einer sagt: „Was machst du denn hier?! Wir haben Mittagspause!“

Aber es passiert nicht. Ich habe Zurbarán, Murillo und Valdés Leal offenbar ganz für mich allein.

Weiße Wände, drei große Gemälde, Sitzbank in der Mitte, verzierte Decke.

Ich streife durch die beiden Etagen. Die meisten Künstler, die hier hängen, sind entweder in Sevilla geboren oder haben hier gewirkt. Viele Gemälde lassen sich dem „sevillanische Barock“ (17./ 18. Jahrhundert) zuordnen und ich könnte den ganzen Tag ein einziges dieser Werke anschauen und hätte auch so erst ein Bruchteil davon gesehen.

Gemälde Frauengestalt von Engeln getragen im schwarz-golden-verzierten Rahmen.
Juan de Valdés Leal: Asunción de la Virgen („Mariä Himmelfahrt“) (um 1672).
Gemälde. Ein Mann liegt im Bett, ein Geistlicher steht daneben. Ihm gegenüber tummeln sich viele Männer in goldenen Torrerouniformen.
José Villegas Cordero: La muerte del maestro („Der Tod des Lehrers“) (um 1913).

Aber irgendwann tut mir der Rücken weh. Ich gehe nach Hause. Jesús liegt noch dort, wo ich ihn liegen gelassen habe. Pepe sitzt daneben im Sessel. Beide schauen aufs Handy, der Fernseher läuft noch immer. Sie fragen, wie mein Tag war.

„Gut“, sage ich und spare mir die Gegenfrage, denn ich weiß, was sie antworten würden.

Tranquilo“ – ruhig – wie die meisten Donnerstage. Ist das dieses „echte spanische Leben“, auf das ich so scharf war?

Meine Mitbewohner sind herzensliebe Menschen, aber unsere Vorstellungen von einem schönen freien Tag gehen weit auseinander. Meistens. Ich habe an anderen Donnerstagen kein Problem damit, vier mittelmäßige Spielfilme zu schauen – auch so verbessere ich mein Spanisch. Aber heute nicht.

Ich nehme eine Dose Eistee aus dem Kühlschrank und gehe damit in mein Zimmer. Ich rufe eine Freundin in Deutschland an und frage, ob sie schon mal was vom sevillanischen Barock gehört hat. Ich führe mit ihr mein erstes richtiges Gespräch des Tages – und ich schätze, deswegen träume ich im Moment auch noch auf Deutsch.

Kommentare
  1. Jasmin

    15. November 2020

    Hallo Adrian, ich verfolge schon länger deine spannenden Blogeinträge, props an dich. Danke, dass du mit uns auch die “ etwas unspektakulär Seiten“ und realistischen Seiten eines Auslandssemester teilst. Ich habe selber eines in Malaysia absolviert und kann mich mit den letzten drei Blogeinträgen gut identifizieren.

    Liebe Grüße
    Jasmin 🙂

    1. Adrián

      16. November 2020

      Vielen Dank für deine Worte, Jasmin!
      Sicher! Urlaub ist Urlaub und Alltag ist Alltag … aber in einem Auslandssemester bekommt man irgendwie beides, und das macht etwas ganz Spannendes mit einem. Was du in Malaysia erlebt und gelernt hast – das hat dich bestimmt ein Stück weit geprägt … auch die „etwas unspektakulären Seiten“.

      Props zurück,
      Adrian

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