29. März 2020
Die Tage in Portugal, über die ich hier schreiben will, kommen mir jetzt, zurück auf meiner Couch in Deutschland, surreal vor. Wie aus einem anderen Leben an einem verlorenen Ort. Ein Leben, in das ich mir versprochen habe, zurückzukehren, irgendwann.
Einfach sein
Ich habe mal wieder keine Ahnung, wo es genau hingeht. Ich lasse mich hier oft treiben und fange an, das Gefühl sehr zu mögen. Gepackt habe ich jedenfalls genug für ein paar Tage Camping, Highlining und Natur. Ich bin pünktlich in Sete Rios in Lissabon, von wo aus wir mit dem Auto starten wollen und natürlich ist außer mir noch niemand da. Nach und nach trudeln alle ein und schließlich sitzen wir zu fünft im Auto und die Reise geht los, Richtung Süden. Wir fahren nicht weit, vielleicht etwas mehr als eine Stunde, dann stoppt das Auto und wir sind im Nirgendwo. Weit und breit nur eine Schotterstraße und ein kleines Café, das jedoch die leckersten Kekse verkauft, die ich seit Langem gegessen habe. Das Auto bleibt erst mal dort und wir laufen einen Weg Richtung Meer, durch ein kleines Dorf, das aussieht, als wäre es in der Zeit stecken geblieben. Kleine Häuser mit teils verwilderten Gärten, wehender Wäsche vor den Fenstern und bellenden Hunden. Hinter dem Dorf ist nichts außer dem Weg, grünen Büschen und Sträuchern und ab und zu kleinen Pinienwäldern. Bis man das Meer sieht, ist es ein ganzes Stück.
Irgendwann ist es in der Ferne erahnbar, und davor Klippen, die steil abfallen. Als der Weg immer steiler abfällt, kann man schon das Salz in der Luft riechen. Dann geht es um eine Felswand und ich bin dort, an einer einsamen verlassenen Bucht. Weißer Sand, große Wellen, die sich schäumend brechen. Auf der anderen Seite hohe Felswände. Ich kann es kaum erwarten, meine Füße im Sand zu spüren und den weißen Schaum der Wellen. Ich suche mir an dem Strand einen Platz auf einem kleinen Felsen links von der Bucht, der über das Meer blickt, und sitze dort – wie lange genau weiß ich nicht. Ich starre in die Wellen, in die immer neuen Muster aus weiß und blau, schreibe ein bisschen und versuche alles in mich aufzusaugen und einfach zu sein. Nach einiger Zeit – waren es Minuten oder Stunden? – machen wir uns auf den Weg.
Wir klettern die Klippe rauf und gehen auf einem schmalen Weg, von dem aus der Strand und die Wellen auf einmal ganz klein erscheinen. Der Weg führt weg vom Meer und rein in einen Wald voller Pinien und weichem Gras, in das die Sonne scheint. Wir essen und ich lege mich ins Gras. Es ist einer der friedlichsten Orte, an dem ich seit Langem bin. Man hört nur die Vögel. Im Gras unter den Pinienbäumen tauche ich wie in einen anderen Mikrokosmos ein. Sehe auf einmal feine Spinnweben zwischen den Gräsern und kleine Spinnen, die auf dem Klee herumkrabbeln. Nehme neue Dinge wahr und lasse meine Gedanken still werden. Für die nächsten Tage brauche ich sie nicht. Hier wird nichts von mir erwartet, außer einfach zu sein.
Sternenanbeterin
Das Gefühl, abends im Dunkeln anzukommen unter dem Sternenhimmel und das Meer in der Ferne nur zu erahnen. Gemeinsam zu kochen und stundenlang in die Sternen zu gucken. Aufzuwachen, die Sonne im Gesicht zu spüren und in die blauen Weiten des Meers zu blinzeln. Ich habe dieses Gefühl gespeichert, irgendwo an einem sicheren Ort in meinen Erinnerungen. Spät abends sind wir an diesen geheimen Ort gefahren, sind durch Gestrüpp gelaufen und standen in der Dunkelheit, aber es war warm und der Himmel voller Sterne. Morgens ist der Himmel klar und das Meer, das ich nachts nur erahnen konnte, erstreckt sich nun wie eine blaue glatte Fläche tief unter uns. Es ist von dort aus nicht weit bis zu einem kleinen Supermarkt im nahe gelegenen Dorf. Ein kleiner Weg vorbei an kleinen Häusern mit großen Gemüsegärten und ich denke, dass ich so leben könnte, irgendwann. Auch der Supermarkt ist süß und klein aber hat alles, was wir brauchen.
Dann geht es mit dem Auto weiter, an die Stelle, an der eine Highline aufgebaut werden soll, die sich 100 Meter über einen Abgrund erstreckt. Es ist ein wunderschöner Platz, aber unglaublich windig. Auch hier hat man eine weite Sicht über den Ozean und sieht den Wind darüber hinwegfegen und das Wasser an manchen Stellen zusammenwirbeln und auseinanderziehen. Es ist kein einfacher Platz, um die Highline zu spannen, man muss sich ein Stück am Fels abseilen. Zum Glück haben wir einige gute Kletterer in unserer Gruppe. Nach ein paar Stunden ist es dann so weit, die Highline hängt, gelb vorm blauen Meer und weht im Wind. Als die Sonne schon fast hinter dem Fels verschwindet, bin ich an der Reihe. Ich bin aufgeregt, aber drauf will ich unbedingt. Es ist die höchste Highline, auf der ich jemals war, aber sie fühlt sich gut an, weich und der Ausblick ist atemberaubend. Es ist, als wenn man über das Meer laufen würde, ein unglaublich weiter Blick ins Blau. Ich mache mehr Schritte als erwartet, höre einfach nicht auf zu laufen, will nicht runter von dieser Line, will den Moment nicht verlieren, in dem ich so glücklich bin und mich immer wieder selbst überwinde. Aber irgendwann muss ich zurück auf festen Boden, die Sonne geht unter und auf dem Weg zurück zum Auto ist der Wind so stark, dass es sich ein bisschen wie ein Sturm anfühlt.
Der zweite Abend ist kälter, aber ich kuschle mich in meinen Schlafsack und wir kochen Pasta auf dem kleinen Gaskocher und hören Musik. An diesem, mein letzter Abend an diesem wundervollen Ort, bin ich noch lange wach und gucke in die Sterne. Irgendwann nehme ich meine Matte und Schlafsack und lege mich unter den freien Himmel. Ich will unter den Sternen einschlafen und die Sonne über dem Meer aufgehen sehen. Ich wache kurz auf, als die Sonne alles in ein warmes stilles Licht taucht. Als ich das zweite Mal aufwache, ist es bewölkt und windig, aber der Ausblick nicht minder schön, mit grau-weißen Wolkengebilden, die über dem Meer entlangziehen. Ein Blick, an den ich mich gewöhnen könnte, aber der für mich erst mal nicht zur Gewohnheit werden soll. Denn an diesem Morgen bleibt für mich nur noch: ein letztes Frühstück, ein Abschied von diesem Ort, diesen Momenten und ein Versprechen, an diesen Ort zurückzukehren.