20. Mai 2022
Woran denkt ihr beim Wort Roadtrip? Mir kommen zuerst Autofahrten mit lauter Musik, Off-Road-Strecken und Freiheitsgefühlen in den Sinn. Woran ich nicht gedacht hatte: Dass so ein Trip Höhen und Tiefen mit sich bringt und trotzdem genau so schön und einzigartig sein kann.
Am Wochenende wollte ich gemeinsam mit zwei Freundinnen in den Valdivianischen Regenwald in Chile fahren. Er befindet sich im Süden Chiles und ist nur etwa zwei Fahrtstunden von meinem Wohnort Osorno entfernt. Der Nationalpark ist deshalb so bekannt, da sich dort die größte Lärche weltweit befindet und die Natur sehr eindrucksvoll ist. Dass die Natur in Chile traumhaft ist, habe ich aber schon früh gemerkt. Mehr dazu erfahrt ihr in einem anderen Blogbeitrag, in dem ich vom Nationalpark Torres del Paine erzähle.
Abfahrt um neun Uhr!
Wir mieteten uns ein Auto und fuhren am Sonntagmorgen los, um möglichst früh am Eingang des Valdivianischen Regenwalds zu sein. Immerhin wollten wir viel Zeit zum Wandern haben. Vom Eingang des Parks bis zur Lärche dauerte der Wanderweg etwa vier Stunden. Sprich für Hin- und Rückweg mussten wir mit mindestens acht Stunden rechnen. Kein Problem, dachten wir. Mit Proviant, Ausrüstung und Motivation im Gepäck, machten wir uns auf den Weg. Doch wussten wir nicht, dass wir unser Gepäck gar nicht brauchen würden.
Ein ungewohnt abgelegener Eingang für einen Nationalpark
Laut Google Maps sollten wir in etwa zwei Stunden am Eingang des Parks sein. Total unkompliziert eigentlich, oder? Naja, leider nicht ganz.
Irgendwann auf der Strecke ging die Straße von einem gut befahrbaren, geteerten und zumutbaren Weg über in einen Kies- und Schotterweg. Anfangs waren wir uns sicher, dass das bestimmt nur ein kurzer Übergangsweg sei, doch als wir uns dann immer mehr in Schlaglöcher, Geröll und Kieswege hineinritten, verging uns allmählich der Spaß. Kaum Menschen weit und breit und nur noch abgelegene, scheinbar verlassene Häuser – Nationalparkgefühle kamen da nicht auf.
Wo war nochmal die nächste Tankstelle?!
Unbeirrt fuhren wir weiter, bergauf und mit durchdrehenden Rädern im Geröll. Bis eine meiner Freundinnen mit Blick auf die Tankanzeige bemerkte, dass wir so langsam mal tanken gehen sollten. Nur: Hier waren doch kaum Häuser oder Menschen.
Zum Glück kamen wir kurz vor dem Eingang des Parks an einem Haus vorbei. Als wir aus dem Auto stiegen, liefen zig Hunde und Katzen auf mich zu, geholt von einem Mann, der fragte, wie er uns helfen könnte. Als wir antworteten, dass wir Benzin bräuchten, fragte er: „ist das ein Witz oder meint ihr das Ernst?“. Er erklärte uns, dass er kein Benzin habe und dass wir auf jeden Fall nochmal den ganzen Weg aus dem Park raus müssten, um zu tanken. Ob wir es noch so weit schaffen würden? Wir bezweifelten es.
Gutmütigkeit neu definieren geht so:
Ich glaube als dem Mann bewusst wurde, in welcher Lage wir uns befanden, hatte er Mitleid und holte einen Kanister aus dem Haus. „Ich habe hier noch etwas Benzin, aber das ist mein Notfallbenzin, sonst habe ich nichts. Ich kann euch das geben, wenn ihr mir versprecht, es nochmal zurückzubringen“, sagte er zu uns.
Berührt und begeistert von seiner Gutmütigkeit nahmen wir sein Benzin an. Er füllte es sogar für uns um. Anschließend bat er uns Haselnüsse und Früchte an, zeigte uns einen Garten und führte uns auf seinem Grundstück herum. Dabei erzählte er uns viel über sein Leben: wie er lediglich Regenwasser trinkt, das er selbst filtert, seine eigene Marmelade herstellt und seinen Strom mit zwei Solarpanelen selbst erzeugt. Sein Holzhaus hat er selbst gebaut – und die Küchenutensilien selbst geschnitzt.
Zum Abschied bat er uns an, das Benzin irgendwann zurückzubringen, wenn wir Zeit hätten. Wir sollten uns erst mal eine schöne Zeit im Park machen. „Oder vielleicht kommt ihr auch nicht zurück und ich bekomme mein Benzin nicht mehr. Dann ist das eben so. Das ist das Leben“, sagte er und lachte dabei ein wenig. Wir jedoch wollten ihm schnellstmöglich das Benzin zurückgeben. Also beschlossen wir, wieder aus dem Park rauszufahren, seinen Kanister aufzufüllen, unseren Tank voll zu tanken und dann einen zweiten Anlauf zu wagen.
Jetzt steht der Wanderung nix mehr im Weg – nur ein Puma
Wir hielten also ein zweites Mal am Haus des Mannes, gaben ihm den Kanister und er bekamen im Gegenzug zwei Macheten. „Falls im Park ein Puma auf euch zukommt, dann benutzt ihr die nur, um euch zu wehren“, sagte er. Ich lachte, denn ich hielt das für einen schlechten Scherz. Doch als er nicht lachte und meine Freundin fragte, ob sie mir nicht erzählt habe, was letztes Jahr in diesem Park vorgefallen sei, bekam ich ersthaft Angst. „Letztes Jahr ging eine Frau mit ihrem Hund im Park spazieren, da wurde sie von einem Puma angegriffen. Sowohl sie als auch ihr Hund starben, hast du davon nicht gehört?“, fragte er mich erschrocken.
Offensichtlich nicht, denn dann hätte ich mich erst gar nicht in den Park getraut und einen anderen Park vorgeschlagen! Trotzdem steckten wir die Macheten ein und fuhren weiter zum Park. Als wir dann endlich loswanderten, gestand ich ein, dass ich doch ein wenig Angst bekommen hatte. Immerhin dämmerte es schon ein wenig und ich war mir sicher, dass die Pumas gerade auf Essenssuche seien. Warum also nicht gleich drei Mädels fressen? In diesem Moment willigte auch eine andere Freundin, Nicole, ein, dass sie Angst bekommen hatte. Lediglich Ina, die dritte im Bunde, scherzte rum und sagte „Ach quatsch, wir haben doch die beiden Macheten, da kann doch nichts passieren“. Doch wie sagt man so schön? Zwei gegen eins.
Hin. Zurück. Weiter!
Nach etwa 20 Metern Wanderung kehrten wir wieder um, machten noch ein paar Bilder zur Erinnerung an diese schrecklich schöne Wanderung und beschlossen, zurückzufahren. Ein zweites Mal. Ohne Wanderung. Und ohne Regenwald. Aber mit Benzin.
Wir fuhren nach Valdivia, die nächstgelegene Stadt, um uns dort den Sonnenuntergang am Meer anzuschauen. Wir kamen gerade richtig, denn der Sonnenuntergang spiegelte sich im Wasser, die Seehunde schwammen vor unserer Nase herum und Pelikane flogen am Himmel vorbei. Wirklich sexy. Und auch irgendwie ein schöner Abschluss zu dem unerwarteten Ausflug am Wochenende, den sich alle Beteiligten wahrscheinlich ganz anders vorgestellt hatten.
Doch allein schon von der Gutmütigkeit des Mannes (taufen wir ihn José) nahe des Parks bin ich so berührt, dass ich den Roadtrip, so wie er war, auf gar keinen Fall hätte missen wollen. Seine Barmherzig- und Großzügigkeit war so unglaublich ehrlich, dass ich mich gefragt habe, womit wir das verdient hatten. Doch manchmal lächelt man das Leben an und es lächelt zurück. So war das auf jeden Fall auf dieser Reise.