22. Januar 2019
Im Ausland zu studieren heißt auch, mehrere Monate oder Jahre nicht zu Hause zu sein. Also kommt vielleicht das Zuhause einfach zu dir: Wenn dir deine Eltern einen hoheitlichen Besuch im Ausland bescheren, wirst du vielleicht einen ganz besonderen Rollenwechsel feststellen können.
Im Ausland zu studieren ist wohl eines der Projekte, das ein größtmögliches Maß an Selbständigkeit von den Eltern erfordert. Insbesondere in Ländern wie China, die mit ihrer komplett fremden Umgebung ein großes Mysterium für viele Studenten und auch Eltern darstellen. Aber egal, du nimmst die Herausforderung an und öffnest dich gegenüber der neuen Kultur. Insbesondere wenn du länger im Ausland bist, kommt für dich dann irgendwann wahrscheinlich der Moment, an dem dich deine Eltern besuchen wollen. Eine Möglichkeit für eine tolle beidseitige Erfahrung.
Als sich mein Vater für einen zweiwöchigen Besuch ankündigte, entstand eine gute Gelegenheit, meine Kompetenzen als Reiseführer unter Beweis zu stellen. Mein Vater besuchte mich bereits 2016 in Shanghai, aber Shanghai ist eben nur eine westliche Version Chinas. Damals war ich selbst auch noch neu im Land und hatte mich gerade erst eingelebt. Diesmal sollte es anders sein, es sollte mitten rein ins Land gehen. In die von Shanghai 2.300 Kilometer entfernte Provinz Yunnan.
Der Rollenwechsel in Yunnan
Obwohl mein Vater etliche Reiseführer über China gelesen hat und bereits in den 80er Jahren Hongkong besuchte, lässt sich eine gewisse Hilflosigkeit seinerseits in China nicht leugnen. Dies fängt schon bei so elementaren Dingen wie dem Bezahlen an. Natürlich werden in China Kreditkarten akzeptiert, es ist aber nun mal viel einfacher und alltäglicher alles mit dem Handy durch Apps wie AliPay oder WePay zu bezahlen. Selbst wenn mein Vater einfach Bargeld zum Bezahlen verwenden würde, ist da schon die nächste Hürde, die Sprache. Wird in Shanghai noch überdurchschnittlich viel Englisch gesprochen, bedarf es für Provinzen wie Yunnan gewisse Chinesisch-Grundlagen.
Ok, natürlich könnte man sich als Ausländer auch irgendwie ohne Chinesisch-Kenntnisse durchschlagen, aber eben nur mit einer ausgiebigen Alltagserfahrung. Eben diese Alltagserfahrung in China ist bei den meisten Eltern nicht vorhanden. Wir Auslandsstudenten hatte Monate Zeit, uns an die neue Umgebung zu gewöhnen. Die Eltern müssen dies oft innerhalb weniger Tage.
All diese Aspekte führen letztendlich zu einem Rollenwechsel. Der Wechsel findet auf zwei Ebenen statt: Zum Einen ist da das Alltägliche, wie das Buchen von Zugtickets oder das Bestellen im Restaurant. Man übernimmt Verantwortung für die Eltern, die einst für einen selbst die Verantwortung übernommen haben. Zum Anderen geht es auch um das Einordnen der fremden Umgebung. Warum sind Dinge so, wie sie sind? In der Heimat war dies früher die Aufgabe der Eltern, im Ausland ist dies genau anders herum. Gerade ein Land wie China funktioniert auf so vielen Ebenen anders als die Länder Europas. So gilt es Aspekte der Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur richtig einzuordnen und mit Hintergrundinformationen zu füllen. Dies ist auch eine tolle Möglichkeit, die eigenen Kenntnisse über das Land zu testen. Schnell ist man selbst überrascht, wie viel man bereits über ein Land gelernt hat.
Die Wichtigkeit des Frühstücks
Ein Aspekt, den ich im Rückblick ganz amüsant finde, ist das Thema Frühstück. So hatte ich die Wichtigkeit des Frühstücks für meinen Vater unterschätzt und buchte zuerst Hotels ohne Frühstück.
Hierbei war der Konfliktpunkt nicht das nicht verfügbare westliche Frühstück sondern das Konstrukt des Frühstücks selbst. In Ruhe den Tag hochzufahren, auch mit einem chinesischen Frühstück, ist für ihn von enormer Wichtigkeit. Ohne Frühstück den Tag zu starten und sich in das Getümmel chinesischer Städte zu stürzen war für meinen Vater ein, wie er es formuliert „Schlag in die Fresse“.