11. Juli 2016
Bevor ich nach Budapest geflogen bin, habe ich mir unfassbar viele Sorgen gemacht: finde ich Anschluss, bekomme ich das organisatorisch alles mit der Uni hin, verstehe ich die Sprache, mögen mich meine Mitbewohner und so weiter und so weiter. Im Rückblick kann ich sagen – alles völlig unbegründet!
Finde ich wirklich Freunde?
Bevor es in Budapest losging, habe ich tausende Male den Spruch gehört: „Mach dir nicht so viele Gedanken, ihr seid doch alle in der gleichen Situation. Ihr sucht doch alle Freunde.“ Und jedes mal dachte ich: „Verdammt, vielleicht bin ich aber die Einzige, die blöderweise keinen Anschluss findet, weil ich die richtigen Leute verpasse, übersehe oder einfach zu spät dran bin um noch in Clique xy zu kommen.“ Und natürlich hat sich gezeigt: ist alles Quatsch.
Meine Uni in Budapest hat alles gemacht, um möglichst schnell möglichst viele Erasmus-Menschen zusammenzubringen. Ihr bekommt schon vor Semesterbeginn einen Mentor, einen ungarischen Studenten, der sich in der Stadt und an der Uni auskennt, der euch bei Sachen wie Handyvertrag, Arztbesuch oder Unichaos weiterhilft. Außerdem organisiert jede Fakultät eine Orientierungswoche, bei der wir in kleinen Gruppen Uniführungen hatten, uns zum Sprach-Schnupperkurs getroffen haben, bei Partys zusammen Bier getrunken haben und uns beim „Speed Dating“ ein bisschen besser kennenlernen konnten. Klar – solche Chancen solltet ihr natürlich wahr nehmen und euch in den ersten zwei Wochen am Besten nicht zuhause verstecken. Ihr lernt so viele Leute kennen und meist merkt man nach zwei bis drei Minuten ja recht schnell ob man zusammenpasst oder nicht. Wenn ja – dranbleiben, Facebook-Kontaktdaten austauschen. Wenn nein – keine Zeit verschwenden und zum nächsten Grüppchen dazu stoßen. Ich habe in meinen fünf Monaten Budapest wirklich niemanden getroffen, der keinen Anschluss gefunden hat. Also diese Sorge kann guten Gewissens aus dem Kopf gestrichen werden.
Wo soll ich wohnen?
Wohnungen für Erasmusstudenten gibt es in Budapest viele. Im Wohnheim zahlt ihr ungefähr 150 Euro monatlich, wenn ihr lieber in einer WG wohnen wollt, dann müsst ihr mit etwa 200-300 Euro monatlich rechnen. Dafür findet ihr eine zentrale Wohnung in der Nähe der Innenstadt.
Ich habe am Kálvin Tér gewohnt, fünf Minuten zu Fuß von meiner Uni entfernt und etwa 15 Minuten zu Fuß zur großen Shoppingstraße. Für uns Erasmusstudenten war – anders als für die Einheimischen – das Zentrum der Stadt der Deák Ferenc Tér. Hier startet das jüdische Viertel (7.Bezirk) inklusive der meisten Clubs und Bars, hier ist die Vaci Utca (Shoppingstraße), hier trifft man sich abends im Park, geht auf ein Bier in die Kneipe oder in eins der günstigen Restaurants auf der Király Utca etwas essen. Alles ungefähr 20 Minuten fußläufig vom Deák ist eine super Lage zum Wohnen!
Wohnungen findet ihr übrigens über wg-gesucht.de oder über verschiedene Facebook-Gruppen.
Klappt das mit der Sprache?
Um es kurz zu machen: Ich habe einen Sprachkurs besucht, ich habe gelernt, ich habe es versucht und ich bin gescheitert. Bevor ich nach Budapest gekommen bin, konnte ich kein Wort ungarisch und auch heute sieht es nicht viel besser aus – leider. Die Ungarn sagen, die Sprache gehöre zu einer der schwersten der Welt und ich kann es nur bestätigen. Der nächste Sprachverwandte von ungarisch ist finnisch – man sagt: die beiden Sprachen sind sich ungefähr so ähnlich wie deutsch und persisch.
Wenn ihr wirklich versuchen wollt ungarisch zu lernen, dann solltet ihr zuhause schon Vokabeln lernen und eventuell einem Vorkurs besuchen. Aber keiner wird es euch übel nehmen, wenn ihr euch nach einem Semester immer noch nur minimal verständigen könnt. Die Ungarn wissen, wie schwer es für andere ist und ich habe mich auch so immer recht gut durchgeschlagen. Mal mit deutsch, mal mit englisch, mit ein paar Fetzen ungarisch und Pantomime.
Gibt es die richtigen Unikurse für mich?
Ich habe in Budapest nur drei Kurse belegt, einer davor war sogar ein Sprachkurs. Klingt nicht viel, ist nicht viel. Das Ganze hat zwei Gründe. Einerseits habe ich mich schon vor meinem Erasmus-Semester entschieden, im Semester vor Budapest einige Extra-Kurse zu nehmen um mich in Budapest zu entlasten. Dadurch hatte ich ein unwahrscheinlich stressiges Semester vor Erasmus, während des Auslands konnte ich mich aber entspannen, reisen, Freunde treffen. Ein weiterer Grund war allerdings auch, dass meine Uni nur zwei Kurse angeboten hat, die ich mir hätte anrechnen lassen können. So gesehen habe ich Glück gehabt, dass ich im Vorfeld in Dortmund so viel vorgezogen habe. An der TU Dortmund studiere ich Journalistik, an meiner Uni in Budapest heißt die Fakultät Media & Cinema. Während meines Semesters hatte ich das Pech, dass die wenigen Kurse die es auf Englisch gab, fast alle in den Bereich Cinema gefallen sind – und somit für mich „wertlos“ waren.
Die zwei Kurse, die ich besucht habe, waren allerdings umso interessanter. Es ging um Medien- und Pressefreiheit in Ungarn und Osteuropa – ein Thema, was es so an meiner Uni in Deutschland niemals gegeben hätte. Die Seminare in Ungarn sind im Vergleich zu Deutschland sehr klein, in einem Kurs waren wir zu acht, im anderen Kurs war ich alleine mit dem Professor. Das war eine sehr spannende Erfahrung.
Was bringt mir das eigentlich alles?
Zugegeben, vor Erasmus dachte ich: Ist doch eh alles nur feiern, ausschlafen und ein bisschen Uni. Und natürlich, viel davon stimmt. Wenig Uni, viel ausgehen, viel reisen, eine Auszeit von der Realität sozusagen. In Dortmund hatte ich nie ein „richtiges, klassisches“ Studentenleben, da ich neben der Uni schon immer im Journalismus gearbeitet habe. Daher habe ich es umso mehr genossen.
Aber es hat auch meine Sicht auf viele Dinge verändert. Es hat mich entspannter gemacht, ich habe Freunde aus aller Welt gefunden, ich kenne finnische Comedians, habe das politische System in Singapur verstanden und habe lang und breit diskutiert, warum es doch schon ganz höflich ist, wenn man pünktlich zu einem Treffen erscheint. Ich habe ungarische Freunde gefunden und verstanden, dass es neben „meinem“ Europa noch ein ganz anderes Europa gibt.
Ungarn ist Europa. Geographisch zumindest. Vor meinem Erasmussemester war Europa für mich hauptsächlich Westeuropa – westliche Werte, Kontostände und Lebensbedingungen. In Ungarn verdienen die Menschen im Schnitt 500 Euro im Monat, es gibt viele Obdachlose, ein korruptes politisches System und in der ganzen Stadt kaum Barrierefreiheit in U-Bahnen für Rollstuhlfahrer und Kinderwägen.
Budapest hat mir gezeigt, wie groß die Differenzen zwischen zwei Ländern sind, auch innerhalb Europas. Wenn mein ungarischer Sitznachbar in der Uni zwei Euro die Stunde an der Rezeption im Hostel verdient, dann denkt man über Fairness und Chancengleichheit nach. Mein Semester hat mir gezeigt, dass Europa nicht an der Grenze zum Osten aufhört. Und dass noch viel getan werden muss, um diese Unterschiede zu überbrücken.
Falls ihr noch nicht überzeugt seid, klickt hier.
Nadja
9. Januar 2018
Hey hey bin auf deinen Artigel gestossen und fand ihn mega interessant, was ich fragen wollte, hast du das alles schon in Deutschland in die wege geleitet oder bist du hierher gekommen und dann ging es erst los? Und der Schnupperkurs von dem du gesprochen hast ist erst wenn man bereits angemeldet ist oder? Ich wuerde so gerne aber weiss gaar nichts darueber.
Und hast du nebenher auch gearbeitet in Budapest? Dank dir im Vorraus >)