10. März 2021
Mein Erasmus ist vorbei und meine Zeit als Correspondent für „studieren weltweit“ nun bald auch. Da wird es doch noch mal Zeit für einen letzten Blogbeitrag. Ein Fazit zu meinem Auslandssemester.
Zugegeben, diesen Blogbeitrag habe ich ein wenig aufgeschoben. Habe lieber noch einen über meine abenteuerliche Heimreise aus Tschechien und das Post-Erasmus-Syndrom, was mich gepackt hat, geschrieben. Aus dem einfachen Grund, dass mit dem Ende meiner Zeit als Correspondent, mit meinem letzten Blogbeitrag, auch mein Erasmus in Brünn endgültig vorbei ist. Das wollte ich irgendwie noch nicht so richtig wahrhaben. Wollte noch ein bisschen länger an meinem Erasmus festhalten. Aber es ist Zeit. Es ist Zeit für meinen (vorerst, wer weiß was in der Zukunft noch so passiert) letzten Blogbeitrag. Ein Fazit zu meinem Auslandssemester. Eine Reflexion über das, was ich gelernt habe. Denn eigentlich ist mein Erasmus ja nicht vorbei, nur weil ich meinen letzten Blogbeitrag schreibe. All das, was ich gelernt habe, die Leute, die ich kennengelernt habe, bleiben weiterhin da und halten die Erinnerungen an mein Erasmus am Leben. (Zusätzlich zu den 1.788 Fotos und Videos aus meinem Auslandssemester, die sich auf meinem Handy in der Zeit angesammelt haben.)
Meine Mission
Meine Mission für mein Auslandssemester war: Warum denn eigentlich nicht? Ich wollte mein Auslandssemester dazu nutzen, um das zu machen, worauf ich Lust habe. Einfach so, ohne mich rechtfertigen zu müssen. Aber mit Corona kann man nicht einfach mal machen. Kann nicht mal so eben irgendwohin reisen, nur weil man da gerade Lust drauf hat. Ich dachte, bevor es für mich nach Tschechien ging, dass ich das einfach sagen würde, wenn ich mal nach Wien, mal nach Bratislava reisen würde. Kurztrip – Warum denn eigentlich nicht? Na ja, Corona – deswegen nicht!
Das hieß also für mich, meine Mission, die ich mir vor meinem Auslandssemester überlegt habe, als ich (naiverweise!) noch dachte, dass Corona mein Erasmus nicht so doll einschränken würde, neu zu interpretieren. Also, was bedeutet „Warum denn eigentlich nicht?“ jetzt für mich?
Ich glaube, was genau es jetzt für mich bedeutet, wird mir erst jetzt durch das Schreiben dieses Blogbeitrages bewusst. Obwohl ich mir dieses „Warum denn eigentlich nicht?“ auch während meines Auslandssemesters immer mal wieder vor Augen geführt habe. Aber erst jetzt wird mir bewusst, dass ich es auf alles, was ich gelernt habe, anwenden kann. Das ich es ist nicht nur für einen Kurztrip nutzen kann, sondern auch für kleinere Dinge. Für Dinge, die ich über mich selbst gelernt, aber auch für Dinge, die ich für mich selbst getan habe. Denn davon war mein Auslandssemester am meisten geprägt: Lernen.
Was habe ich (für mich) gelernt?
Doch was habe ich jetzt alles durch mein etwas „anderes“ Corona-Auslandssemester gelernt?
Mich für mich selber einzusetzen
Im Oktober letzten Jahres kam überraschend die Nachricht, dass ich aus meinem Wohnheim ausziehen muss. Nach nur knapp einem Monat, den ich dort gelebt hatte. Nachdem ich mich schon richtig eingelebt hatte. Natürlich aus gutem Grund, denn mein Wohnheim sollte zu einer Quarantäne-Station umfunktioniert werden. Trotzdem war es irgendwie ein Schock für mich. Vor allem als dann noch klar wurde, dass ich als einzige in das Wohnheim nebenan ziehen sollte, während meine Freunde alle in ein anderes Wohnheim, in einer komplett anderen Ecke der Stadt ziehen sollten. Mitten während des Lockdowns und Ausgangssperre, was es schwer gemacht hat, sich zu treffen. Auf meine E-Mails, ob man dies nicht doch noch irgendwie ändern könnte, erhielt ich keine Antwort.
Doch ich ließ nicht locker, schrieb weiter E-Mails an alle, die für die Wohnheime meiner Uni zuständig waren. Bis mir meine Erasmus-Koordinatorin irgendwann schrieb, dass jetzt doch noch ein Zimmer in dem Wohnheim, in dem meine Freunde wohnen, frei geworden wäre. Das ich jetzt doch dorthin ziehen könnte.
Auch wenn es mir ein wenig unangenehm war, so viele Menschen mit meinen E-Mails zu „nerven“, bin ich froh, dass ich sie geschrieben habe. Denn nur dadurch konnte ich schlussendlich das Wohnheim wechseln. Bin doch noch ins gleiche Wohnheim wie meine Freunde gezogen. Dies hat mir gezeigt, dass ich öfters für mich einstehen sollte. Dass ich auch wichtig bin und mich nicht immer mit allem abfinden sollte. Und dass dies etwas ist, was ich auch nach meinem Auslandssemester machen sollte.
Mich an kleinen Dingen erfreuen
Mein Auslandssemester hat mich gelehrt, die kleinen Dinge wertzuschätzen. Allgemein war mein Auslandssemester sehr von kleinen Dingen geprägt. Anstatt großer Reisen habe ich viele Spaziergänge gemacht. An der frischen Luft mit meinen Freunden und tollen Konversationen. Dadurch habe ich die Stadt, in der ich gelebt habe, viel besser kennenlernen und wahrnehmen können. Natürlich hätte ich mich gefreut, wären größere Reisen, Partys und was man sonst noch übers Erasmus hört, möglich gewesen. Doch dadurch, dass das eben nicht ging, ich mich von vornherein auf kleinere Dinge beschränken musste, habe ich alles, was möglich war, so viel mehr wert geschätzt. Und dies hat mir gezeigt, dass es nicht immer die größten Dinge sind, die am meisten zählen.
Mir auch mal etwas Gutes tun
In Tschechien habe ich mir öfter mal etwas Gutes getan. Habe mir mal einen Cappuccino hier, mal ein Kuchenstück da gekauft. Ab und zu mal etwas zu Essen bestellt, wenn ich keine Lust hatte zu kochen. Habe mir nicht so viel Gedanken darüber gemacht, sondern es einfach getan. Einfach, weil ich in dem Moment darauf Lust hatte.
Diese Leichtigkeit – einfach mal zu machen, mir etwas zu gönnen, aus dem Moment heraus, ist etwas, das ich gerne beibehalten möchte. Oder in anderen Worten: Mir was Gutes tun? – Warum denn eigentlich nicht?
Keine Angst haben, dass mich jemand nicht mag
Ich weiß nicht, aber ich bin so ein Mensch, der immer von allen gemocht werden möchte. Ein Mensch, der nicht gut damit umgehen kann, wenn eine*r mich nicht mag. Deswegen versuche ich es auch immer allen recht zu machen. Auch wenn ich dabei vielleicht öfter mal zurückstecke und vielleicht auch des Öfteren nicht sage, was ich wirklich denke. Gebe nicht sofort alles von mir preis. Aus dem Grund, dass ich die andere Person nicht verärgern möchte. Aus Angst, dass mich diese Personen dann nicht mehr mögen könnten.
Das ist aber eigentlich totaler Quatsch. Denn wer kann schon von allen gemocht werden? Man wird immer jemanden treffen, der oder die einen nicht mag. Genauso, wie man selber immer mal jemanden trifft, den oder die man nicht mag. Das ist aber einfacher gesagt als getan – auf jeden Fall für mich. Es ist gar nicht so einfach, diese Einstellung von allen gemocht zu werden, abzuschütteln. Trotzdem habe ich versucht, mir dies immer wieder vor Augen zu führen. Habe versucht ich selbst zu sein. Habe versucht, mir nicht allzu viele Gedanken darüber zu machen, was andere von mir denken könnten.
Und dies ist mir in Tschechien irgendwie einfacher gefallen. Dort kannte mich keiner. Ich konnte mich selbstbewusst geben. Vielleicht auch selbstbewusster, als ich es eigentlich bin. Weil eben niemand mich kannte. Konnte dadurch mehr ich selbst sein, weil ich diesmal nicht versucht habe, von allen gemocht zu werden. Habe auch mal meine Meinung gesagt. Natürlich war ich manchmal noch vorsichtig. Habe mir natürlich trotzdem Gedanken gemacht, ob mich die Menschen, die ich kennengelernt habe, auch mögen. Aber ich habe angefangen, mir das nicht mehr so zu Herzen zu nehmen. Wenn mich jemand nicht mag, dann ist das halt so.
Aber dadurch, dass ich mich getraut habe, mehr ich selbst zu sein, mehr von mir zu zeigen und auch mal öfter meine Meinung zu Dingen zu sagen, konnte ich anderen erlauben, mich besser kennenzulernen. Konnte tiefere Beziehungen eingehen. Einfach, weil ich mir nicht so viele Sorgen gemacht habe. Und dies will ich auch versuchen, zu Hause beizubehalten.
Mich selbst nicht zu ernst nehmen
Während meines Erasmus habe ich des Öfteren einfach mal das Tanzbein geschwungen – wohl eher einfach nur rumgezappelt. Das habe ich dann auch öfter mal gefilmt und bei Instagram hochgeladen. Das war irgendwie mein Ausgleich zu der ganzen Situation. Ich konnte dadurch meine schlechten Gefühle gegenüber Corona einfach aus mir ausschütteln. Habe immer gute Laune bekommen. Und das wollte ich irgendwie teilen.
Doch hätte mir jemand vor fünf Jahren erzählt, dass ich mal stumpfe Tanzvideos im Internet hochladen würde, hätte ich wahrscheinlich sehr doll gelacht und gefragt: Wer? Ich? Niemals! Einfach, weil ich dazu nicht selbstbewusst genug gewesen wäre. Aber mittlerweile bin ich älter, habe mich persönlich weiterentwickelt und bin selbstbewusster geworden. Auch durch meinen Auslandsaufenthalt in Tschechien.
Ich habe gelernt, dass ich mich selbst nicht zu ernst nehmen sollte. Das ich auch mal so etwas Stumpfes wie Tanzvideos im Internet teilen kann. Dass ich machen sollte, worauf ich Lust habe. Und außerdem finde ich diese Videos selbst schon viel zu witzig, wie ich mir immer einen abzappele. Wenn ich damit dann anderen Leuten noch gute Laune bereiten kann, umso besser.
„Osteuropa“
Meine Mission war auch, Osteuropa und das Leben in Osteuropa kennenzulernen. Doch während meines Erasmus habe ich gelernt, dass diese Mission wohl eher aus einer sehr west-europäischen Sichtweise entstanden ist. Denn was für mich Osteuropa bedeutet, heißt nicht gleich, dass es für andere auch Osteuropa ist. So würde Tschechien sich nämlich eher zu Zentraleuropa zählen. Und nur weil wir in Deutschland Themen so und so behandeln, heißt das nicht, dass es in Tschechien genau so sein muss.
Ich bin also dankbar, dass mir durch meinen Auslandsaufenthalt in Tschechien eine neue Perspektive aufgezeigt wurde. Es hat mir noch mal mehr bewusst gemacht, dass wir offen sein sollten und Dinge vielleicht auch öfter mal aus einem anderen Blickwinkel betrachten sollten.
Meine Zukunft
Ich stehe jetzt kurz vor meinem Bachelor. Wenn alles gut geht, bin ich im Sommer fertig. Vor meinem Auslandssemester war ich mir noch nicht so wirklich sicher, was ich denn danach machen möchte. Master? Praktikum? Direkt irgendwo anfangen zu arbeiten? War mir nicht mal wirklich sicher, in welche Richtung es gehen soll.
Doch durch meine Kurse in Brünn, aber auch durch die Arbeit als Correspondent bin ich mir sicher geworden, dass mich doch „irgendwas mit Medien“ interessieren würde. Mein Auslandssemester hat mir geholfen, herauszufinden, wo es und wie es für mich weitergehen könnte. Auch weil ich noch mal neue Einblicke, eine neue Sichtweise auf mein Studium bekommen habe. Durch Kurse, die ich mir nach meinen Interessen ausgewählt habe, durch eine andere Lern- und Lehrweise und durch unterschiedliche Perspektiven. Die meines Gastlandes, meiner Kommilitonen, aber durch meine neu gefundenen Freunde.
Aus meinem Alltag zu Hause und an meiner Uni zu entfliehen, etwas Neues auszuprobieren, wie zum Beispiel diesen Blog zu schreiben, hat mir neue Möglichkeiten gegeben, herauszufinden, was mich wirklich interessiert. Was genau ich jetzt nach meinem Bachelor machen werde, kann ich noch nicht sagen. Erst mal muss ich ja auch meine Thesis schreiben (das wird auch noch mal ein Akt), danach sehe ich weiter. Ich freue mich aber, dass ich mittlerweile schon eine ungefähre Richtung habe und nicht mehr ganz so planlos bin wie noch vor meinem Auslandssemester.
Na shledano (Auf Wiedersehen)!
Und obwohl ich kein normales Erasmus hatte, bin ich mehr als nur froh, diese Reise angetreten zu sein. Es hat mir die Möglichkeit gegeben, viel über mich selbst, aber auch viel über wie ich Dinge wahrnehme, zu lernen. Ich bin noch mal selbstbewusster geworden. Bin für mich eingestanden. Habe ein weiteres Zuhause in der Welt in Brünn gefunden. Habe mich selbst nicht zu ernst genommen. Habe mein Auslandssemester für mich selbst und meine persönliche Entwicklung genutzt. Ja, warum denn eigentlich (auch) nicht?