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Irgendwas mit viel Hallelujah als Atheist im finnischen Ostergottesdienst


Am Ostersonntag alleine in einer fremden Stadt, da kommt man auf komische Ideen. Ich bin wohl einer der atheistischsten Menschen auf dieser Welt und war seit meiner Abiverabschiedung in keinem Gottesdienst mehr – bis heute. Leute, ich war in der Kirche. Ein Erfahrungsbericht.

Der Dom von Helsinki

Die Straßen sind erstaunlich leer und still, als ich um 9:40 Uhr vor die Tür trete und mich in Richtung Senaatintori aufmache. Dort steht die größte Kirche des Kirchenbezirks Helsinki, der evangelische Dom, Tuomiokirkko. Ein weißer Koloss, zu dem eine riesige Treppe hinaufführt, die sonst von asiatischen Touristen für Fotoshootings genutzt wird. Noch wirkt die Stadt verschlafen, die Busparkplätze rund um den Dom sind leer. In einem separaten Gebäude neben dem Dom läuten Glocken.

Ich betrete die Kirche durch den Seiteneingang. Ein freundlicher Mann im Anzug drückt mir ein Gesangbuch in die Hand. Jede Sitzreihe ist mit einer kleinen Tür ausgestattet. Ich suche mir eine leere Reihe, setze mich und schlage das erste Lied im Gesangbuch auf. Die Liednummern sind an einer Vorrichtung an der Kirchenwand vermerkt. Na bitte, da ist es. Ich warte.

Der Chor steht schon bereit. Es sind mehr Frauen als Männer. Alle tragen ihr schönstes Sonntagsgewand. Vereinzelt stimmt mal jemand ein C an, um seine Stimme aufzuwärmen. Vielleicht stimmen sie auch ein D an oder ein A. Was weiß ich.

Eine Tür im Hintergrund wird energisch geöffnet und eine Frau im weißen Blazer tritt vor den Chor und beginnt zu dirigieren. Die Orgel setzt ein und die Sänger schmettern einen Song mit viel Hallelujah.

Nach der Gesangseinlage tritt die Pfarrerin an ein Pult. Sie trägt ein unauffälliges weißes Gewand mit einer hellblauen Borte. Sie heißt uns in der Messe willkommen und sagt etwas von Ostern (pääsiäinen), Liebe (rakkaus) und Jesus Christus (Jeesus Kristus).

Die Orgel spielt, der Chor singt wieder.

Die Pfarrerin redet erneut. Diesmal sind keine mir bekannten Vokabeln vorhanden. Plötzlich stehen alle auf. Ich stehe auch auf. Es wird das erste Lied gesungen und ich bin voll dabei. Keine Ahnung was sich da singe, aber ich kann immerhin meine finnische Aussprache trainieren.

Eine andere Frau ohne kirchliches Gewand tritt an das Pult und liest aus einem Bibelbuch (kirja = Buch). Der Chor singt, erst ohne, dann mit Orgel.

Im Hintergrund erblicke ich plötzlich einen weiteren Pfarrer. Es gibt also zwei. So so.

Umbaupause. Alle stehen auf.

Der Pfarrer steht nun auf der Kanzel. Das ist der Moment, wo die Predigt kommt. Das weiß ich noch. Noch immer stehen alle. Es fällt oft der Name Maria, danach steige ich aus. Ich erkenne einzelne Vokabeln, der Gesamtzusammenhang erschließt sich mir leider nicht. Jetzt singt wieder der Chor und tritt dann ab. Wir setzen uns.

Der Pfarrer legt jetzt richtig los mit seiner Predigt. Vereinzelt beschwert sich ein Kleinkind. Da ich eh nichts verstehe, nutze ich die Zeit, mir den Dom genauer anzusehen. Für eine evangelische Kirche ist er erstaunlich imposant, für einen Dom erstaunlich nüchtern. Von der meterhohen Decke hängen vier riesige goldene Kronleuchter beängstigend tief in den Gang. Wände und Decken sind in Cremetönen gehalten und frei von gold oder aufwändigen Malereien. Nur ein paar Bögen und Säulen sind mit beigefarbenen Ornamenten verziert. Die Fenster sind klar, keine bunten Scheiben. Gold beschränkt sich auf die Kanzel und den Altar. Und natürlich die Kronleuchter. Bei der Inspektion des Altares fällt mir auf, dass daneben noch mehr Menschen sitzen, die wie Pfarrer aussehen. Ich bin gespannt auf ihren Auftritt.

Vereinzelt zieht man sich Jacken an. Meine Füße werden auch langsam kalt.

Der Pfarrer ist nicht mehr zu stoppen. Wenn ich nur wüsste, wovon er spricht?

Meine Sitznachbarin gähnt. Allgemein wird hier viel gegähnt. Soll ja ansteckend sein, das Gähnen.

Der Pfarrer macht eine dramatische Kunstpause – und redet dann langsam weiter. Ich glaube er möchte uns zum Nachdenken bringen. Ich weiß nur nicht worüber.

Eine weitere Sprechpause, diesmal hat er, glaube ich, nur kurz den Faden verloren. Ein Kleinkind nutzt die Stille, um auf sich aufmerksam zu machen. Die meisten tragen mittlerweile Mäntel. Schon etwas frisch hier.

Man steht auf. Auch das Kleinkind steht auf der Bank und betrachtet gespannt die betende Menge. Ist das ein Vater Unser? Wahrscheinlich.

Der Pfarrer macht eine Handbewegung und alle setzen sich. Der Chor läuft wieder ein und stimmt eine Uptempo-Ballade an. Dazu Orgel. Es wird wieder spannend.

Alle sitzen und schweigen, nur das Kleinkind steht auf der Bank und lacht. Es hüpft aufgeregt auf und ab und zeigt Richtung Orgel. Da sag nochmal einer die Jugend von heute würde sich für nichts begeistern!

Der Chor verstummt und tritt ab.

Die Pfarrerin vom Anfang verliest jetzt Namen. Vermutlich Taufen. Das Kleinkind erscheint wieder auf der Kirchenbank und gibt einen vergnügten Gluckser von sich. Es trägt einen blau-weiß gestreiften Pulli mit einem Marienkäfer darauf. Das Kind ist mein Highlight heute.

Die Orgel spielt und drei Frauen sammeln Spenden ein. Währenddessen bereitet die Pfarrerin das Abendmahl vor.

Sie beginnt mit dem in Kirchen beliebten “Ich singe, du singst”-Spiel, bei dem ich noch nie mithalten konnte. Auf finnisch schon gleich gar nicht. Ha, wieder eine Vokabel: Leipä (Brot).

Alle stehen auf. Jetzt treten die anderen Pfarrer und pfarrerartigen Personen hinter den Altar. Sie singen. Die Hälfte der Menschen setzt sich, die andere bleibt stehen. Ein paar Stehende blicken sich verwirrt um und setzen sich, ein paar Sitzende stehen wieder auf. Allgemeine Verwirrung.

Und dann passiert das, was ich in evangelischen Gottesdiensten immer wieder faszinierend finde: Alle – alle – versammeln sich im Kreis und jeder bekommt eine Hostie und einen Schluck Wein. Dafür gibt es hier eine extra halbkreisförmige Vorrichtung um den Altar, mit zwei Regalen. Oben stehen benutzte Minikelche und unten saubere Minikelche. Nacheinander versammelt sich immer ein Halbkreis um den Altar jeder bekommt Wein und Brot. Jetzt weiß ich auch wozu so viele Pfarrer. Logistisch wäre das sonst gar nicht möglich.

Zurück am Platz fällt mir eine weitere ungewöhnliche Sache am Dom auf: Nirgends hängt ein Kreuz! Nicht einmal über dem Altar. Dort hängt ein in Gold gerahmtes Gemälde, das den toten Jesus in den Armen seiner Jünger zeigt.

“Laula” – Ah, es wird wieder gesungen. Dazu steht man. Leider nur eine Strophe.

Der Mann, der mir am Anfang das Gesangbuch gegeben hat, bekommt einen Anruf und verlässt unauffällig die Kirche. Der Chor formiert sich. Auch in der Tasche meiner Sitznachbarin vibriert es. Der Chor legt noch einmal eine Schippe drauf und schmettert ein Stück, bei dem sich Frauen und Männer ständig abwechseln. In den vorderen Reihen turnen mehrere Kleinkinder auf den Bänken. Gut, dass der Gottesdienst jetzt auch vorbei ist. Der Pfarrer von der Predigt und die Pfarrerin vom Anfang geben an der Tür jedem die Hand und wünschen Frohe Ostern.

Ich trete hinaus in die Kälte. Der Platz vor dem Dom hat sich mit Menschen gefüllt. Die Busse parken schon in zweiter Reihe. Eine Asiatin posiert an einer Kirchentür. Ihr Freund macht Fotos mit seinem Smartphone. Ich fühle mich als wäre ich für 90 Minuten in einer Zeitkapsel gewesen. Fernab der Realität. 90 Minuten ohne Hektik, ohne fotografierende Touristen, ohne Alltagssorgen, ohne Ampeln, Autos und Trambahnen. Warum bin ich plötzlich so entspannt? Das muss der Alkohol sein.

Der leere Innenraum des Doms in Helsinki. Zwei große Kronleuchter hängen von der Decke, die Sitzreihen sind mit keinen Türen abgetrennt, ab Boden liegt ein roten Teppich. Die WÄnde sind weiß, nur einzelne Stellen sind in Gold gefasst.
So still und leer trifft man den Dom abends in der Nebensaison an. Sonst tummeln sich hier Touristen aus aller Welt. Schließlich handelt es sich um das Wahrzeichen Helsinkis.

Kommentare
  1. Thereza

    4. April 2018

    Danke. Mehr muss nicht gesagt werden.custom written essays

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