28. April 2020
Meine Glücksstudie geht in die zweite Runde! Mich als Lehramtsstudentin interessiert natürlich brennend die Frage, ob dasGlück der Finnen auch mit dem hiesigen Bildungssystem zusammenhängt? Tief soziologisch kann ich das hier leider nicht beantworten, aber es zeigen sich schon eindeutige Indizien, die darauf hindeuten.
Lehrbücher, Mittagessen und Busse – alles kostenlos
Die Chancengleichheit im Sinne von materiellen Gütern ist im finnischen Bildungssystem ziemlich vorbildlich: Hier werden den Schülern und Schülerinnen alle Materialien und Lehrbücher kostenlos zur Verfügung gestellt (bis zur 9. Klasse). Das heißt für die Lehrkräfte keine unnötigen Elternbriefe mit der zehnten Erinnerung, dass sie doch endlich mal ein Deutschheft für ihr Kind kaufen sollen. Aber nicht nur das: für Kinder, die weiter als fünf Kilometer von der Schule entfernt wohnen (was im dünn besiedelten Norden durchaus keine Seltenheit ist) wird eine kostenlose Beförderung bereit gestellt. Die Eltern werden sogar direkt übers Handy informiert, wenn das Taxi mal Verspätung hat (ich wüsste zwar nicht, wann es bei so wenig Autos mal richtigen Stau gibt, aber gut). Am besten gefällt mir aber, dass es in allen Schulen ein kostenloses Mittagessen für alle gibt. Da freut sich nicht nur mein Schwabenherz! Seitdem ich davon gehört habe, kann ich garnicht mehr verstehen warum so etwas in Deutschland nicht umgesetzt wird. So werden ja nicht nur Familien mit niedrigem Einkommen entlastet, sondern alle. Da könnte man fast meinen, dass die finnische Regierung einfach mehr Geld für Bildung locker macht, stimmt auch – aber Geld, das meiner Meinung nach sehr gut investiert ist.
Längeres gemeinsames Lernen
In Finnland werden die Kinder erst mit 7 Jahren eingeschult. Außerdem werden die Schüler und Schülerinnen nicht nach der vierten oder sechsten Klasse getrennt, sondern lernen ganze neun Jahre gemeinsam. Das heißt, hier wird nicht selektiert oder nach Leistung frühzeitig sortiert, wenn das Kind vielleicht einfach noch ein bisschen Zeit braucht, um sich zu entwickeln. Nach den neun Jahren gibt es natürlich verschiedene Wege, denn auch hier machen nicht alle Abitur. Was mir hierbei besonders gut gefällt ist, dass es für die Schüler und Schülerinnen individuelle Lernpläne gibt. Nicht nur, aber auch. Das heißt es kann – obwohl in der Klasse die Leistungsstände heterogen sind (was in Deutschland oft als Argument für die frühe Selektion genommen wird, aber eigentlich kein Argument ist, weil Leistungsstände in einer Klasse immer heterogen sind… ) – relativ einfach differenziert werden. Das macht es dann nicht nur für die Lehrkräfte leichter, sondern vor allem hat man die Möglichkeit, besser auf die Schüler und Schülerinnen einzugehen. Das ist im Zuge von Inklusion aus meiner Sicht fundamental. Apropos:
Inklusion
Dieses vielfach in Deutschland diskutierte Wort ist für die Finnen nichts Neues mehr. Schon seit über 30 Jahren wird hier nicht nur schulisch, sondern auch gesellschaftlich versucht, Inklusion zu leben. Für die Finnen bedeutet dabei schulische Inklusion nicht nur, dass Schüler und Schülerinnen mit Beeinträchtigungen an Gemeinschaftsschulen unterrichtet werden, sondern dass jeder Schüler und jede Schülerin einen individuellen Lernweg hat. Über 60 Prozent der Förderschulen wurden zwar schon geschlossen, aber trotzdem werden einige Kinder weiterhin dort beschult. Das betrifft vor allem Kinder mit geistiger und/oder schwer körperlicher Einschränkung. Aber auch an den Gemeinschaftsschulen werden nicht alle Schüler und Schülerinnen immer gemeinsam unterrichtet. Diejenigen, die besondere Förderung brauchen, werden teilweise auch in separaten kleineren Klassen unterrichtet.
Das heißt ganz inklusiv ist das Bildungssystem auch in Finnland nicht, aber es hat sich in den letzten Jahrzehnten in der finnischen Gesellschaft bewährt und findet größtenteils Zustimmung in der Bevölkerung. Das liegt unter anderem auch daran, dass Diagnostik bei allen Kindern eine große Rolle spielt. Alle Kinder werden schon vor Schuleintritt regelmäßig getestet, um Entwicklungsverzögerungen oder Störungen frühzeitig zu erkennen und entsprechend entgegenwirken bzw. fördern zu können. Bei diesem Programm mit dem schönen Namen „Neuvola“ geht es also nicht nur um die medizinische Entwicklung, sondern auch die psychologische. Warum kann man sowas nicht auch in Deutschland einführen, statt langwieriger Stigmatisierungen durch komplizierte Anträge in Form von Förderschwerpunkten?
Wie man sieht, können wir in Deutschland vom finnischen Umgang mit Bildungsgerechtigkeit einiges lernen. Das liegt meiner Meinung nach nicht zuletzt daran, dass sie in Bildungsfragen progressiver sind (oder auch sein können, weil Bildung hier nicht Ländersache ist) und schon vor Jahr(zehnt)en angefangen haben inklusive, aber auch digitale Strukturen an den Schulen zu schaffen.
Trotzdem macht die erst 32-jährige Bildungsministerin ziemlich viel richtig, nicht nur an einem Freitagabend. Zusammen mit der Ministerpräsidentin Sanna Marin hat sie letzte Woche zum Beispiel eine Pressekonferenz nur für Kinder gegeben, in der sie per Video-Chat Fragen zur Corona-Krise stellen durften. Da geht mir das Herz auf! Aber nicht nur da, auch die finnische Lehramtausbildung hat ziemlich viele positive Aspekte. Warum? Das gibt es bald hier zu lesen, aber bis dahin: Bleib gesund!
Sarah
28. April 2020
Hey Silvia 🙂
Ich finde deinen Beitrag super spannend!