14. Januar 2022
Nun neigt sich das Wintersemester dem Ende zu und die „Final Exams“ stehen ins Haus. Wie es so schön heißt. Zeit, einmal genauer zu schauen, worin sich meine Gast- von meiner Heimatuni unterscheidet und ein Fazit zu ziehen, an welcher von beiden ich lieber studiere. Ich möchte jedoch auch in den Blick nehmen, an welcher Uni mir ein Studium mit Blick auf meine berufliche Zukunft sinnvoller erscheint und vermitteln, was mir die Zeit an der Marmara Üniversitesi insgesamt gebracht hat.
Vorweg: In Gießen bin ich für ein Doppelstudium eingeschrieben. 2018 habe ich mit Förderschullehramt begonnen und mein Unterrichtsfach Sport bereits 2021 mit der sogenannten Wahlfachprüfung erfolgreich abgeschlossen. Seit 2019 studiere ich auch Ethik auf Haupt- und Realschullehramt. 2021 habe ich aufgrund alter Studienleistungen, die mir angerechnet wurden, mit dem Drittfach Deutsch begonnen. Als ich Ende September 2021 in Istanbul angekommen bin, war meinem Learning Agreement von diesen Studienfächern nichts anzumerken, denn ich war so gut wie scheinfrei als mein Auslandssemester begann. Mein Rückblick auf die Sinnhaftigkeit eines Semesters an der Marmara Üniversitesi ist deshalb für diejenigen unter euch, die im Ausland Kurse belegen wollen, die später angerechnet werden sollen, eventuell nicht per se von Interesse. Wie an anderer Stelle bereits beschrieben, durfte ich während meines Auslandssemesters nämlich diverse Kurse aus unterschiedlichen Fakultäten wählen, die mit Lehramt auf den ersten Blick nichts zu tun haben. Doch dazu im abschließenden Fazit mehr.
Meiner Meinung nach setzt sich das Erlebnis Studium aus vielen wichtigen Einzelaspekten zusammen, die ich im Folgenden genauer betrachten möchte. Dazu gehören: andere Studierende, die allgemeine Ausstattung der Universität (Mensa, Bibliothek, Campus), der Umgang mit online/offline-Angeboten, die Arbeit und das Engagement der Dozierenden, das Niveau der Veranstaltungen, die Unterrichtssprache, die Vielfalt bezüglich des Kursangebots, der Informationsfluss zwischen der Universität und ihren Studierenden, der Umfang und das Niveau der angeforderten Prüfungsleistungen, die Gestaltung des Stundenplans sowie der Ablauf der Kurswahl. Wenn euch noch andere wichtige Aspekte einfallen, freue ich mich jederzeit über konstruktives Feedback zu meinem Beitrag.
Die anderen Studierenden: Wem schließe ich mich an?
Wer von euch bereits ein Auslandssemester gemacht hat oder einmal auf einem Schüler*innenaustausch war, weiß wovon ich spreche. Es stellt sich doch immer wieder die Frage: Gehe ich den vermeintlich schweren Weg und versuche trotz sprachlicher Hürden, Kontakt zu Einheimischen aufzunehmen oder finde ich es anstrengend genug, meinesgleichen kennenzulernen? Hänge ich also primär auf Erasmuspartys ab und bin ich am Ende sogar diejenige, die die eigene WhatsApp-Gruppe für die deutschen Austauschstudierenden erstellt? Ich habe mich nach dem ersten Erasmus Welcome Abend von diesem Kosmos distanziert. Mag am Alter liegen und an meinem Interesse, die Türkei möglichst authentisch kennenzulernen. Hier liegt also der erste Unterschied zwischen meinem Studium in Gießen und Istanbul: An der Justus-Liebig-Universität (JLU) habe ich mich am Sportinstitut sofort wohlgefühlt, weil eben alle Kommiliton*innen sportaffin waren. Es schien auch weniger ein Problem zu sein, dass ich fünfzehn Jahre älter als die meisten von ihnen war, denn es ging allein darum, dass ich schnell genug schwimmen und ausdrucksstark tanzen konnte. Dass ich die Regeln von Ballspielen selten verstehe, wurde schnell bemerkt und war dann eben mein besonderes Markenzeichen. Hier in Istanbul habe ich deutlich gemerkt, dass ich eher nach älteren Studierenden Ausschau hielt. Da waren zum Beispiel zwei Austauschstudentinnen aus Litauen und Polen (beide 26), mit denen ich mich bei einem Ausflug auf eine Kunstmesse gut unterhalten habe. Schließlich sind wir sogar zusammen für ein paar Tage ans Meer gereist. Für eine Weile hatte ich mit einem türkischen PhD-Studenten zu tun, der mich in der Caféteria angesprochen hatte und regelmäßig mit mir in die Bibliothek gegangen ist. Mit meinem Musikprofessor verbinde ich die Liebe zur italienischen Oper, weshalb wir fast wöchentlich zusammen singen. Insgesamt gibt es hier in der Türkei jedoch deutlich weniger Austausch zwischen mir und anderen Studierenden. Das liegt in erster Linie daran, dass ich mit nur geringfügigen Sprachkenntnissen in Istanbul gelandet bin und tatsächlich wenige Studierende getroffen habe, die gut Englisch sprechen. Und Corona gibt es ja auch noch. Die meisten meiner Veranstaltungen haben online stattgefunden.
Die allgemeine Ausstattung der Universität (Mensa, Bibliothek, Campus)
An der Marmara Üniversitesi schätze ich, dass sich für mich alles auf einem Campus abspielt. Sowohl der Kurs „Cinema and Society“ der Soziologischen Fakultät als auch meine Chorproben und privaten Gesangstunden, der Kurs „Filmmüsik“ (alle zwei Wochen allerdings online) und das Arbeiten im Tonstudio finden auf dem Göztepe Campus statt, nur zehn Busminuten von meiner Wohnung entfernt. In Gießen bedeutete das Sportstudium regelmäßige Fahrradtouren rauf auf den Kugelberg, oberhalb des Stadtzentrums. Besonders weit sind die Wege zwischen den einzelnen Campus in Gießen aber auch nicht. In Istanbul hätte ich in Anbetracht des starken Verkehrs jedoch keine Lust, mit dem Fahrrad zwischen zwei oder mehr Standorten zu wechseln. Ich genieße es also sehr, dass sich hier für mich aktuell alles innerhalb eines relativ kleinen Radius abspielt. Auch das International Office, einige Cafés und eine Sporthalle sind dort zu finden. Die Bibliothek erscheint mir deutlich kleiner als in Gießen, ich finde sie allerdings sehr gemütlich und saß in den ersten Wochen regelmäßig dort, um noch zwei Hausarbeiten für Gießen zu schreiben. Die Mensa allerdings hat mir einmal als Begleitung des erwähnten PhD-Studenten gereicht: diese erinnerte stark an meine Assoziationen einer Gefängniskantine und gefällt mir in Gießen wesentlich besser. Auch gibt es an meiner Heimatuni deutlich mehr Auswahl und das Angebot weist eine höhere Qualität auf. Die Unterrichtsräume sind qualitativ mit Gießen vergleichbar. Am Institut für Musik liebe ich, dass einige Flügel zur Verfügung stehen, um individuell üben zu können. Der Knaller ist aber das Tonstudio, in dem ich gelegentlich mit einem meiner Professoren Songs einspiele.
Der Umgang mit On-/Offline Angeboten
Wenn ich an das Sommersemester 2020 in Gießen zurückdenke, hat sich inzwischen zwar ein bißchen was getan. Ich mache allerdings die Erfahrung, dass es stark von der Kursleitung abhängt, wie aktiv der Austausch in Zeiten der Pandemie zwischen Dozierenden und Studierenden ist. So ähnlich ist es auch in der Türkei. Meine beiden Fotoseminare beispielsweise finden ausschließlich online über Zoom statt. Den Großteil der Sitzung erzählt unser Dozent Oktay zu einem bestimmten Thema der Reportagefotografie (zum Beispiel „Schatten“ oder „Kommunikation“) und zeigt dazu eigene Fotos. Dann sind wir Studierenden gefragt, unsere Bilder zu zeigen, die wir im Laufe einer Woche zu einem festgelegten Thema gemacht haben. Oktay ist deutlich ein persönliches Interesse an uns Studierenden anzumerken. Er nimmt sich Zeit, Feedback zu unseren Bildern zu geben und da wir unter der Woche draußen unterwegs sind, um diese zu machen, fühlt sich das Seminar trotz des Labels „online“ sehr ertragreich und interaktiv an. Bei anderen Dozierenden weiß ich meist erst kurz vor Kursbeginn, ob der Kurs (über die unieigene Plattform UES) überhaupt stattfindet. Das ist mir in Gießen so ehrlich gesagt noch nicht begegnet. Hier bekomme ich zu Beginn des Semesters einen Plan, in welcher Woche über welches Thema gesprochen wird, welche Sitzung asynchron stattfinden wird, welchen Teilnahmenachweis ich dafür erbringen muss und über welches Medium die synchronen Onlinesitzungen abgehalten werden. Wegen der aktuell steigenden Infektionszahlen in Istanbul wurde mein Präsenzkurs „Cinema and Society“ inzwischen auf „online“ umgestellt. Er ist aber nun auch schon zweimal ausgefallen und der Dozent hat uns immer noch nicht gesagt, ob er ein Video bei UES hochladen wird oder wir uns mittwochs über Zoom treffen. Geschweige denn wann die Abschlussprüfung stattfinden wird und in welcher Form. Ergo: Ich fand es schön, in Istanbul einzelne Präsenzveranstaltungen zu haben. Die Organisation läuft in Gießen allerdings insgesamt deutlich besser ab.
Die Arbeit und das Engagement der Dozierenden
Ich glaube, dass ich hier kein allgemein gültiges Urteil fällen sollte. Es macht mir schon den Anschein, dass der Kontakt zwischen Dozierenden und Studierenden hier in Istanbul etwas persönlicher gestaltet wird als in Gießen. Allerdings ist mir durchaus bewusst, dass ich als Erasmus-Studierende gewisse Privilegien genieße, die den Einheimischen vorenthalten bleiben. Die anderen bekommen beispielsweise keinen privaten Gesangsunterricht. Und dürfen sich auch nicht im Tonstudio austoben, um dann auf YouTube zu landen. Ich kann nicht genau erklären wie ich zu diesem Bonus gekommen bin. Alles begann mit einem Gespräch zwischen mir und meinem Musikdozenten Bülent in der Caféteria und nahm dann schrittweise Gestalt an. Ein Kommilitone gestand mir allerdings kürzlich, dass die Dozierenden für die „anderen Studierenden“ einen solchen Aufwand nicht betrieben. Praktisch finde ich, dass es Whatsapp-Gruppen für jeden einzelnen Kurs gibt. Allerdings könnten die Dozierenden auch einfach rechtzeitig per Email mitteilen, wenn ein Termin ausfällt oder verschoben werden muss. Ein Dozent hat offen gesagt, dass es ihm egal sei, ob ich sein Seminar besuche. Ich müsse nur die Prüfungen mitschreiben, um die nötigen ECTS-Punkte zu erhalten. Wer Lehramt studiert weiß, dass es in Deutschland generell eine Anwesenheitspflicht gibt. In Gießen durfte ich in den meisten Seminaren nur zweimal pro Semester fehlen. Bei den Midterm Exams im November war ich mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob meine Filmanalyse überhaupt gelesen wurde. Ich hatte sehr schnell 100 (von 100) Punkte in der Marmara-App stehen. Es ist natürlich schön, rasch sehr gute Noten eingetragen zu bekommen, aber in Istanbul weht doch schon deutlicher als in Gießen ein gewisser „I don´ t care“-Wind durch die Uni. Und auf Dauer gefällt mir das nicht sonderlich gut.
Das Niveau der Veranstaltungen steht und fällt eben auch mit dem beschriebenen Engagement
Weil ich bereits ein Diplom in Theater-, Film- und Medienwissenschaften abgeschlossen habe, konnte mir im Kurs „Cinema and Society“ nicht viel Neues beigebracht werden. Das ist natürlich nicht schlimm, sondern mit Blick auf meine Mindestanzahl an ECTS-Punkten auch angenehm. Aber wenn der Dozent sagt, es sei ihm egal, ob ich mittwochs da bin oder nicht und ich bloß drei Seiten Filmanalyse schreiben muss, um den Kurs zu bestehen, nehme ich nicht sonderlich viel aus dem Semester mit. Dazu möchte ich sagen, dass in meinem Learning Agreement ursprünglich andere Kurse gestanden haben. Allerdings musste ich nach meiner Ankunft in Istanbul feststellen, dass die meisten davon auf Türkisch unterrichtet werden und meine Sprachkenntnisse für diese einfach nicht ausreichend sind. So habe ich versucht, aus dem englischsprachigen Angebot das Beste für mich auszuwählen.
Ich habe ja schon ein ganzes Akademisches Jahr in Mailand verbracht. Dort hatte ich das Gefühl, dass das Universitätssystem sehr stark verschult ist und die Studierenden wenige Inhalte selbst erarbeiten müssen. Das scheint hier in Istanbul ähnlich zu sein. Die Materialien wurden zumindest für den Cinema- Kurs alle bereitgestellt und das Niveau der Zwischenprüfung habe ich für sehr niedrigschwellig erachtet. Im Chorseminar haben wir uns anlässlich des Midterm Exams für zwei Stunden getroffen, um gemeinsam zu singen und sollten anschließend noch zwei Seiten über unseren Atem schreiben. In den Fotoseminaren war es zur Zwischenprüfung wie in den Wochen zuvor auch: ich habe zehn Fotos gezeigt und 99 beziehungsweise 100 Punkte eingetragen bekommen. Hier ist das Gute, dass Oktay eine individuelle Bezugsnorm als Bewertungsgrundlage heranzieht. Er vergleicht mich nicht mit den offiziellen Fotografiestudierenden, sondern schaut wie sehr ich mich bemühe und ob sich meine Bilder im Laufe des Semesters verbessern. Das finde ich sehr angenehm. Im Kurs „Sociology of Religion“ fiel es mir ehrlich gesagt schwer, inhaltlich überhaupt zu folgen, weil der Dozent einen starken türkischen Akzent hat, wenn er Englisch spricht. Nach zwei Stunden war mir selten klar, welche Sprache ich gehört hatte. Die Ergebnisse der Zwischenprüfung habe ich noch nicht eingetragen bekommen. Doch auch hier musste ich lediglich vier Seiten zu einem vorgegebenen Thema schreiben. Insgesamt kommt mir das Niveau in Gießen höher vor als an der Marmara Üniversitesi. Besonders im Fach Deutsch komme ich an meine Grenzen, weil ich viele grammatische Begriffe in der Schule nicht gelernt habe und nun erst neu kennenlerne. Auch für Klausuren in Bewegungswissenschaften oder Sportmedizin musste ich an der JLU deutlich mehr machen als für die Prüfungsleistungen in Istanbul.
Die Unterrichtssprache in der Türkei ist selbstredend meist Türkisch
Im Chor verstehe ich immer noch sehr wenig und bin froh, wenn wir einfach singen. Dabei ist es mir dann tatsächlich egal, ob das entsprechende Lied ein türkisches oder englisches ist. Hauptsache die Harmonien gefallen mir. In einem Fotoseminar wechselt Oktay zwischen Englisch und Türkisch. Das ist praktisch, um einzelne Wörter im Türkischen aufzuschnappen. Das zweite Fotoseminar wird auf Englisch gehalten. „Filmmüsik“ ist leider komplett auf Türkisch. Ich werde also inhaltlich fast nichts daraus mitnehmen können, weil mir der Dozent bis heute die versprochenen englischen Materialien nicht geschickt hat. Was mir bleibt ist lediglich der Genuss diverser Filmsoundtracks. In Gießen habe ich ehrlich gesagt noch nie mit Erasmus-Studierenden zu tun gehabt. Ich weiß nicht wie sie bei uns zurechtkommen, wenn alle Veranstaltungen auf Deutsch stattfinden. In Mailand hatte ich bereits gute Sprachkenntnisse als ich in Italien ankam, weshalb es auch schrittweise mit dem Verfolgen der Vorlesungen ganz gut lief. Ich bin froh, dass ich nach längerer Suche an der Marmara doch einige Kurse auf Englisch finden konnte, sonst wäre mein Semester tatsächlich wenig ertragreich geworden. Ich hätte viel früher damit beginnen sollen, die Sprache von mir aus zu lernen.
Die Vielfalt bezüglich des Kursangebots
Da ich vor Ort nichts belege, was direkt mit meinem Lehramtsstudium zu tun hat, kann ich an dieser Stelle keine Auskünfte darüber geben, wie umfang- und abwechslungsreich das Programm für Lehramtsstudierende in Istanbul ist oder welche Module verpflichtend gewählt werden müssen. In Gießen reichen mir die Wahlmöglichkeiten vollkommen aus und da ich hier aus verschiedenen Fakultäten auswählen durfte, ist mein Stundenplan für mich persönlich grundsätzlich interessant geworden.
Der Informationsfluss zwischen der Universität und ihren Studierenden stockt
Wie oben erwähnt, läuft in Gießen alles strukturierter und langfristig geplant ab. Ich wusste im November, wann im Februar Klausuren liegen und dass es im April Nachschreibtermine geben wird. Hier in Istanbul weiß ich acht Tage vor Beginn der Prüfungsphase noch nicht, in welchem Kurs ich überhaupt noch eine Prüfungsleistung erbringen muss, geschweige denn bis zu welchem Datum und in welcher Form. Weil mir die Midterm Exams sehr leicht fielen, muss ich mich davon nicht stressen lassen. Für meine Arbeitsmoral wäre es allerdings hilfreich, etwas mehr planen zu können. Ich weiß, dass ich am 1. Februar zehn Fotos zum Thema „colors“ werde zeigen müssen, aber im zweiten Fotoseminar, so Oktay, könne es auch sein, dass wir erst später den letzten Termin veranstalten. Der Dozent des „Filmmusik“-Kurses ändert jede Woche seine Veranstaltungszeiten oder sagt kurzfristig komplett ab. Dort habe ich also keinen blassen Schimmer, was wann von mir erwartet werden wird. In Gießen beschäftigt mich hingegen nur die Frage, ob irgendeine schlimme Deutschklausur wohl hoffentlich als „Take Home-Exam“ abgehalten wird.
Der Umfang und das Niveau der angeforderten Prüfungsleistungen wurden nun bereits erwähnt. Die Gestaltung des Stundenplans sowie den Ablauf der Kurswahl habe ich in meinem fünften Blog ausführlich beschrieben.
Abschließend kann ich sagen, dass ich bislang längst nicht so gut Türkisch gelernt habe, wie ich das noch im September fantasiert hatte. Ich habe zwar viele Einheimische kennengelernt. Diese genießen es allerdings sehr, mit mir Englisch zu üben oder lassen sich von mir Italienisch beibringen. Akademische Benefits kann ich an dieser Stelle ganz offen gesprochen auch nicht deutlich nachweisen. Für meine Arbeit an einer Schule hat es mir mit Blick auf das „Fremdsein“ in der Türkei sicher etwas gebracht, Zeit im Ausland zu verbringen. Und natürlich ist es immer interessant, das Unisystem einer anderen Kultur live mitzuerleben und eine weitere Fremdsprache kennenzulernen. Ich bin sehr dankbar für die musikalischen Erlebnisse an der Marmara Üniversitesi und die spannenden Fotoseminare. Mein gesamtes Studium würde ich allerdings nicht an meiner Gastuniversität verbringen wollen. Dazu müsste ich wesentlich besser Türkisch sprechen können. Und insgeheim glaube ich auch (und das sagen auch manche Dozenten), dass der Anspruch und die Qualität des deutschen Bildungssystems höher sind als hier.
Das Auslandssemester hat mir als solches sehr gut gefallen. Ich denke aber, dass ich ohne den „Erasmus-Bonus“ nicht so viele Freiheiten erfahren hätte wie dies allgemein der Fall war. Auch fühlt es sich für mich in Istanbul nicht so „ernsthaft nach Studium an“, sondern mehr nach „ich habe viel Zeit für mich und lebe am Meer“. Dazu muss ich erklärend sagen, dass es nach sechs arbeitsintensiven Semestern in Gießen jedoch auch ein wenig mein Bedürfnis war, für ein paar Monate etwas „entspannter“ mit dem Thema Uni umzugehen. Ich hatte hier mehr als erhofft Gelegenheit dazu, meinen großen Leidenschaften singen und fotografieren nachzugehen. Das möchte ich nicht missen. Für meinen Lehramts- Abschluss ist es dennoch wichtig, bald wieder in Gießen aufzuschlagen. Sonst ginge vielleicht meine allgemeine Motivation zum zweiten Mal zu studieren schrittweise verloren und ich würde nur mehr am Bosporus chillen, fotografieren und singen. Auch sehr schön, aber eben nicht das, was ich nach dem ersten Staatsexamen zu tun gedachte.