31. Oktober 2017
Finsternis. Dichter Rauch umgibt mich, ich kann die Hand vor meinen Augen nicht sehen. Mein Mund ist knochentrocken, meine Kehle vor Unbehagen zugeschnürt. Alle Sinne sind geschärft, jeder Muskel angespannt. Ich lausche – angestrengt. Und höre… nichts. Doch ich bin keineswegs allein in der Lost Souls Alley, einer Mischung aus Escape-Room und Horror-Haus.
In irgendeiner hässlichen Ecke lauert eine grauenvolle Gestalt, fixiert mich, seine Beute… „Denk an was Schönes“, flüstere ich mir zu, „denk an was Schönes“. Erfolglos. Mein Herz pocht, hämmert, trommelt, in rasender Geschwindigkeit, panikgetrieben, als wolle es davonrennen. Doch es ist in meiner Brust gefangen, wie eine Maus im Käfig. Das lautstarke Pochen verrät nur meinen Standort in der Dunkelheit. Schon höre ich ein grausam-grelles, gehässiges Kichern. Es hallt durch den Raum, wird lauter, rückt näher, jagt mir einen Schauer über den Rücken. Ich reiße all meinen Mut zusammen, drehe mich in die Richtung, aus der das Unheil naht und knipse meine Taschenlampe an. Entsetzen! Unmittelbar vor mir steht eine große, schlaksige Gestalt in Latzhose. Meine Augen wandern ängstlich seinen Oberkörper hinauf, bis zum Gesicht des Hünen. Ich blicke in ein eingefrorenes Clownsfeixen, das sich in sadistisches Gelächter verwandelt.
Was tun an Halloween in Krakau?
Bereits vor Tagen hatten wir uns darauf geeinigt: In der Nacht zu Halloween wollten meine Freunde Max und Dave mit mir das Gruseln lernen – mitten in der belebten Altstadt, genauer gesagt in der Lost Souls Alley, einer Mischung aus Escape-Spiel und Horror-Haus. Die Rezensionen auf TripAdvisor waren ausgezeichnet. Nicht selten stößt man hier auf Aussagen wie: „Das gruseligste, was ich je gemacht habe.“ So liefen wir also heute Abend in die ul. Floriańska 6. Eine schmale Treppe führte hinauf ins Verderben, in ein trostloses, renovierungsbedürftiges Gebäude. Als plötzlich markerschütternde Schreie ertönten, gerieten wir auf den Stufen ins Stocken – und der Dritte im Bunde kehrte direkt um. Angsthase, dachte ich, und konnte mir einen blöden Spruch einfach nicht verkneifen, zugegeben: Ich amüsierte mich auf seine Kosten. Dave versprach, vor der Tür zu warten und so betraten Max und ich das Gruselhaus eben zu zweit.
Uns wurde eine einzige, schwach flackernde Taschenlampe ausgehändigt. Dann teilte man uns noch mit, dass wir das Spiel jederzeit beenden könnten – und schon konnte es losgehen. Zunächst führte der Weg durch einen schmalen Korridor, aus dessen Wänden sich unzählige Plastikarme reckten – so, dass Sie einen im Vorbeigehen streifen mussten. „Wenn’s weiter nichts ist“, lachte ich und schritt mutig voran, hinein in den zweiten Raum. Auch hier erwartete uns eine zunächst wenig beeindruckende Szenerie: Vier übergroße Puppen saßen um einen Tisch versammelt. Darauf wiederum lag ein Schlüssel, der uns die nächste Tür öffnen sollte. „Kinderspiel“, sagte ich und ging selbstsicher zu dem Tisch.
Hochmut kommt vor dem Fall
Um Max meinen unbändigen Mut zu beweisen, streichelte ich jeder der Figuren zunächst über das strohige Haar, ehe ich zum Schlüssel griff. Kaum hatte ich den Puppen jedoch den Rücken gekehrt, fiel eine von ihnen scheppernd und schallend zu Boden – wie von Geisterhand!
Plötzlich hatte ich es doch eiliger. Mit leicht zittrigen Fingern versuchte ich die Tür aufzuschließen. Da zupfte mir Max plötzlich am Ärmel. Ich drehte mich erneut um – und erschauderte. Eine der Puppen war aufgestanden, bewegte sich in Stakkatoschritten auf uns zu. Ihr marmornes Gesicht wirkte zornerbost, unter ihren murmelartigen Augen lagen tiefe Furchen, die spröden Lippen hatte sie zu einem dünnen Strich zusammengepresst. Sie sah mörderisch aus! Beinahe hatte sie uns schon erreicht. Panisch fingerte ich wieder am Türschloss und verschaffte uns gerade noch rechtzeitig Zugang zum nächsten Zimmer.
Vom Regen in die Traufe: Wir sahen sie prompt, eine gekrümmte Gestalt im Rollstuhl, nur wenige Meter entfernt – eine alte, finstere Frau. Sie keuchte, ihr Atem rasselte, dann schnellte ihr Kopf nach oben. Mit trüben Augen nahm sie uns ins Visier, fuhr einen halben Meter vorwärts. Dann verharrte sie lauernd auf ihrem Platz. Mir wurde klar: Wir mussten an ihr vorbei, um zur nächsten Tür zu gelangen. „Bloß nicht aufgeben“, dachte ich, „sie ist nur eine Schauspielerin!!“. Ich nahm all meinen Mut zusammen und wollte mit Max besprechen, wie wir am besten vorgehen sollten. Schließlich könnte sie ja nicht uns beide gleichzeitig angreifen. Doch vergebens: Max rührte sich nicht von der Stelle. Angsterfüllt blickte er mich an: „Ich pack das nicht“, sagte er und entschied, dass das Spiel für ihn gelaufen sei. Irgendwie beneidete ich ihn, als er abgeholt und aus dem Raum geschleust wurde. Doch ich hatte mich vor Dave und Max als so unerschütterlich mutig profiliert, dass ich jetzt einfach keinen Rückzieher machen wollte – ich würde das durchziehen!
Das gruseligste, was ich je gemacht habe
So lief ich schnellen Schrittes an der Frau vorbei. Hinter mir fiel ein Regal zu Boden, vor mir lagen lauter Bretter, echte Stolperfallen. Im Vorbeigehen bekam mich die alte Rollstuhlhexe am Pulli zu greifen. Doch ich riss mich los und flüchtete durch die – Gott sei Dank – unverschlossene Tür in den nächsten Raum. Und hier stehe ich nun, panisch, mit klappernden Zähnen, bibbernd, ganz auf mich gestellt. Der beißende Brandgeruch erschwert das Atmen, ich fühle mich, wie in einen Alptraum hineinkatapultiert. Die Taschenlampe habe ich beim Anblick des feixenden Clowns sofort weggeschwenkt. Um in den nächsten Raum zu gelangen, muss ich ein Rätsel lösen – doch ich bin wie gelähmt, angsterstarrt. Ich harre einfach der ungeheuren Ungeheuerlichkeiten, die mich noch erwarten mögen! Ist der Clown schon wieder verschwunden? Oder setzt er gerade irgendwo zum Sprung an?
Plötzlich höre ich ein metallisches Rasseln und Knattern, dröhnend, ächzend, einschneidend – im wahrsten Sinne des Wortes: Denn es handelt sich offensichtlich um das Geräusch einer Kettensäge. Da ist er wieder, der unheilvoll Kichernde, der Clown mit der ungewöhnlichen Vorstellung von Spaß. Tatsächlich: Er hält ein ratterndes Mordinstrument im Arm. ES kann einpacken, bei diesem Kettensägen-Harlekin in Lehre gehen. „Ich will hier raus“, flüstere ich. Dann schreie ich es aus voller Kehle! Und schneller, als ich erleichtert aufatmen kann, werde ich auch schon wieder ans Tageslicht befördert, noch immer zitternd und kreidebleich – direkt zu meinen beiden Kameraden.
Traut euch! Klickt auf das Bild.
Ich hatte Glück, dem mörderischen Clown bin ich entronnen. Ob das allen bisherigen Besuchern vergönnt war, ist nicht überliefert. Die Lost Souls Alley ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Ob eingefleischter Horrorfan oder Angsthase, jede Menge Spaß und Grusel sind garantiert. Seid ihr ausgesprochen mutig, dann wagt euch zu zweit ins Verderben. Fühlt ihr euch in der Gruppe sicherer, könnt ihr bis zu fünf Freunde mitnehmen. Den Horrortrip könnt ihr ganz einfach über die Website der Lost Souls Alley buchen.