17. August 2016
In keiner anderen Stadt habe ich den israelisch-palästinensischen Konflikt so intensiv gespürt wie in Hebron. Besuch einer Geisterstadt.
“Ghost Town”, Geisterstadt, so nennen die palästinensischen Einwohner Hebrons das Zentrum der Altstadt. Wir sind eine Gruppe von zehn Studenten, die meisten aus Europa, ein paar Palästinenser. Unser Summer Work Camp der palästinensischen Birzeit Universität ist am Morgen zu Ende gegangen, jetzt sind wir auf eigene Faust in Hebron und wollen uns die Stadt ansehen. Ganz oben auf unserer Liste: Die Ibrahimi-Moschee, wo Abraham seine letzte Ruhestätte fand und wo 1994 der jüdische Extremist und Siedler Baruch Goldstein 29 Palästinenser erschoss. Auf dem Weg dorthin kommen wir an zahlreichen Verkaufsständen vorbei, doch je näher wir der Moschee kommen, desto leerer sind die Straßen. Wir treffen Islam, einen palästinensischen Einwohner Hebrons, der seit vielen Jahren Stadtführungen anbietet – mit Fokus auf der Geisterstadt. Ich weiß, dass Hebron die einzige Stadt in der Westbank ist, in der jüdische Israelis direkt im Stadtzentrum siedeln. Der Begriff “Geisterstadt” ist mir jedoch neu. Islam will uns zeigen, was er bedeutet.
In den Gassen, die zum Eingang der Moschee führen, haben einige Palästinenser ihre Geschäfte – in den Obergeschossen der Gebäude leben Siedler. Die Straßen sind mit Netzen überspannt, aus Schutz vor Müll und Steinen, die die Siedler aus ihren Fenstern kippen – auf die Köpfe der Palästinenser. Manchmal, so erzählt uns ein Händler, würden die Siedler Schmutzwasser oder Urin ausschütten. Davor schützen die Netze nicht.
Wir erreichen das Sicherheitstor, das uns von der Moschee trennt. Unsere palästinensischen Freunde dürfen nicht durch – jungen palästinensischen Männern zwischen 15 und 30 Jahren ist der Zutritt nicht gestattet, aus Sicherheitsgründen.
Fremdenführer Islam darf mit uns kommen, weil er hinter der Absperrung lebt. Generell halten sich im Gebiet um die Moschee nur wenige Palästinenser auf. Die Straßen sind leer, die Stimmung angespannt – daher der Name: Geisterstadt. Wir laufen weiter, an der Moschee vorbei. Da ist im Moment Gebetszeit, wir müssen warten, bis sie vorbei ist, bevor wir rein dürfen.
Bald kommen wir an einen weiteren Checkpoint, ab hier haben Palästinenser allgemein keinen Zutritt, Islam muss auf uns warten. Wir werden anstandslos durchgelassen, der Soldat winkt ab, als ich meinen Pass zücken möchte – meine blonden Haare und blauen Augen scheinen Beweis genug zu sein, dass ich keine böse Absicht hege. Das stimmt mich nachdenklich. In der jüdischen Siedlung sind die Straßen wie leergefegt. Ein junger Mann mit Kippa überholt uns schnellen Schrittes, er hält so viel Abstand wie nur möglich, den Blick stur nach unten gerichtet.
Nach wenigen Minuten laufen wir zurück. Ich halte beim Checkpoint an und spreche die beiden Soldaten an. Sie sind Anfang 20, jünger als ich, und leisten gerade ihren Militärdienst. Ich frage sie, wie es für sie ist, als Wachposten in der “Geisterstadt” stationiert zu sein – und ob sie die Frage überhaupt beantworten dürfen. Da sie in ihrer offiziellen Position hier sind, dürfen sie das nicht so direkt. Es sei nicht einfach, antwortet der eine vage. Als ich Hebron am Abend verlasse – nicht ohne die Moschee besichtigt zu haben – habe ich gemischte Gefühle. Ich bin froh, die Stadt gesehen zu haben – an keinem anderen Ort in der Westbank ist der Konflikt so greifbar. Und nie ist mir so bewusst gewesen, wie aussichtslos die Situation zurzeit ist.