21. Oktober 2019
166 Kilometer Strecke, über 9611 Höhenmeter, mindestens 24 Stunden pausenloses Rennen: Der Grand Raid auf La Réunion ist einer der schwierigsten Ultramarathons der Welt. Dieses Jahr habe ich als Ehrenamtliche hinter die Kulissen des Berglaufs geblickt und dabei die Menschen kennenlernen dürfen, die so etwas freiwillig laufen.
Der Grand Raid ist bei Ultramarathonläufern weltweit bekannt, die Gewinner sind fast immer erfahrene Bergläuferinnen und Bergläufer mit mehr Muskeln in den Beinen, als ich am ganzen Körper hab! Die Startgebühr kostet 170€, wer zu langsam ist, wird disqualifiziert und nicht selten tragen verunfallte Läufer lebenslange Verletzungen davon.
Der Grand Raid setzt sich aus vier Läufen zusammen:
- „La Mascareignes“ (66 km, 3509 Höhenmeter)
- „Trail de Bourbon“ (112 km, 6468 Höhenmeter)
- „Diagonale des Fous“ (166 km, 9611 Höhenmeter)
- „Zembrocal Trail“, der als Staffellauf in Teams aus drei Leuten bewältigt wird (182 km, 11167 Höhenmeter).
Mehr Infos gibt es auf der offiziellen Website des Grand Raid (und das sogar auf Deutsch – sehr, sehr ungewöhnlich für Frankreich).
Und was hab ich damit zu tun?
Die Läufer des Grand Raid hatten sich vorab mit einigen Dingen auszurüsten, wie etwa einer Stirnlampe, einer Pfeife, einer Rettungsdecke, Wasser und elastischen, selbstklebenden Bandagen. Letzteres ist zu einem ganz wunden Punkt für mich geworden. Denn erstaunlich oft wurde versucht, mit zu wenigen, zu kleinen oder nicht klebenden Bandagen etwas mehr Platz und etwas weniger Gewicht in den winzigen Rucksack zu tricksen.
Aber damit mussten die Läufer erst mal an mir vorbei! Denn das war meine Aufgabe: die Taschenkontrolle vor dem Startschuss. Das Schönste an der Aufgabe: der kurze persönliche Kontakt zu den Läufern. Ein kurzes Gespräch in wenigen Minuten, ein „Woher kommen Sie? Ist das Ihr erster Marathon? Fühlen Sie sich bereit?“.
Diese kurzen Minuten waren unglaublich intensiv, ich konnte die Aufregung der Läufer spüren, viele haben hastig die gewünschten Sachen aus den Rucksäcken gesucht und wieder reingestopft, dabei irgendetwas fallen lassen oder runter geworfen. Viele haben mir auch kaum auf meine Fragen geantwortet, so sehr wollten sie endlich an den Start und loslaufen.
Internationale Läufer, internationale Helfer
Wir Erasmus-Studenten wurden gezielt angesprochen und um Hilfe beim Grand Raid gebeten. Wir sollten in unserer Muttersprache oder auf Englisch mit den internationalen Läufern reden und für sie übersetzen. Damit sollte sichergestellt sein, dass die Läufer sich an jemanden wenden können, wenn sie ein Problem haben – und das ohne Sprachbarriere.
Ich habe zwar keinen Läufer aus Deutschland getroffen, zu mir wurden aber viele aus Japan und China geschickt. Die konnten mehr oder weniger gut Englisch, mit einem habe ich mich über den Google Translator unterhalten. Die haben tatsächlich diese teure, mehrstündige Reise auf sich genommen, um dann 24 Stunden lang über Vulkane gehetzt zu werden – Fou.
Eine Frage der Organisation
Nach der Taschenkontrolle hatten wir Ehrenamtlichen uns eigentlich darauf eingestellt, den Start der anderen Rennen, die ein paar Stunden nach dem Diagonale des Fous beginnen, anzusehen. Der Startschuss fällt allerdings in den Bergen, der Transport war nicht organisiert und die verantwortlichen Ansprechpartner konnten wir nicht mehr finden.
Und wir waren nicht die Einzigen, die etwas verloren waren: Der Startschuss für den Diagonale des Fous fällt um 22 Uhr, da ist es auch auf La Réunion schon lange dunkel. Das wurde für viele Läufer dieses Jahr zum Verhängnis: Eine große Gruppe hat kurz nach dem Start den falschen Weg eingeschlagen, unter ihnen tragischerweise der Titelverteidiger der letzten beiden Jahre. Viele haben das Rennen daraufhin abgebrochen, weil sie schon zu viel Zeit verloren hatten, um noch gewinnen zu können…
Das Gefühl, Teil vom Grand Raid zu sein, war trotzdem unbeschreiblich. Der Start des Marathons wird riesengroß zelebriert, er wird in ganz Frankreich im Fernsehen übertragen, es gibt ein Feuerwerk, einen DJ und einen riesengroßen Countdown. Alle 2800 Läufer sind merkbar angespannt, die Atmosphäre aus Vorfreude und Aufregung ist unglaublich und führt dazu, dass man am liebsten direkt mitlaufen will – auch, wenn ich das niemals überleben würde.
Aber wer weiß, vielleicht raffe ich mich in den nächsten Jahren doch irgendwann zum Training auf und nehme eine der kürzeren Strecken in Angriff…