3. Juli 2024
Erfahre, wie ich als Austauschstudent in Japan meinen Traum erfüllt habe: den Mount Fuji zu besteigen – und das außerhalb der Hauptsaison! In diesem Beitrag nehme ich dich mit auf mein Abenteuer zum wohl berühmtesten Berg des Landes.
Anfang Juni war es endlich so weit, nach zwei Monaten in Japan bekam ich erstmals Besuch aus der Heimat. Drei gute Freunde, mit denen ich teilweise gemeinsam im selben kleinen Dorf in der brandenburgischen Provinz aufgewachsen bin, wollten mich zwei Wochen lang besuchen und mit mir Urlaub in Japan machen. Natürlich lag es nun an mir, diesen Urlaub möglichst abenteuerreich und spannend zu gestalten, also beschloss ich mit ihnen gemeinsam mein wohl wichtigstes Ziel hier abzuhaken: die Besteigung des Mount Fuji. Aufgrund von körperlichen Beschwerden war jedoch schnell klar, dass wir den Berg nur zu zweit statt zu viert versuchen werden zu besteigen.
Der Fuji-san oder Mount Fuji, ist der höchste Berg Japans mit einer Höhe von exakt 3776,24 Metern. Es handelt sich dabei um einen aktiven Vulkan, dessen letzter Ausbruch im Jahr 1707 stattfand. Der Fuji ist ein bedeutendes Symbol des Landes und wird häufig in der Kunst und Literatur verarbeitet. Bereits seit Jahrhunderten hat der Berg eine spirituelle Bedeutung für die Bevölkerung, und man sagt, jeder Japaner sollte mindestens einmal im Leben den Gipfel erklommen haben.
Ich holte meine Freunde vom Flughafen Narita in Tokio ab, wir mieteten uns ein Auto und starteten Richtung Fujikawaguchiko, einer kleinen Stadt am Fuße des Berges. Der Mount Fuji befindet sich etwa 1,5 Autostunden südwestlich von Tokio und wird von den fünf Fuji-Seen umgrenzt. In dieser malerischen Umgebung wurde am Vorabend der Wanderung erstmal an gebadet, ein Schlachtplan für die Wanderung geschmiedet und natürlich viel geredet, schließlich hatten wir uns fast drei Monate nicht gesehen.
Der Mythos Mount Fuji
Als ich meinen japanischen Kommilitonen und Professoren vor der Reise davon berichtete, erntete ich zunächst erstaunte Blicke. Ich ging natürlich davon aus, wertvolle Hinweise zu erhalten, weil vermutlich eine Vielzahl der Leute in Akita sich mit der Besteigung auskannten. In fast jedem Reiseführer wird schließlich auf die gesellschaftliche Prägnanz des Berges hingewiesen, somit war meine Hoffnung wohl auch begründet. Überraschenderweise irrte ich jedoch, jeder kannte zwar jemanden, der jemanden kannte, der den Gipfel bestiegen hatte oder es vorhatte oder zumindest mal eine Sekunde darüber nachgedacht hat, aber niemand aus meinem Umfeld hatte es wirklich selbst geschafft. Alle gaben mir nur auf den Weg, dass es neue Regelungen zur kommenden Wandersaison geben soll, die jedoch auf uns nicht zutrafen, da wir etwa zwei Wochen vor dem Start der Hauptsaison (01.07.-10.09.) wandern wollten. Wie wir später erfahren sollten, hat uns das ziemlich in die Karten gespielt.
Neue Regeln zur Fuji-Besteigung seit dem 1.07.2024
- Besteigung wird gebühren- und reservierungspflichtig (Gebühr: 2.000 Yen/ 12 Euro)
- Täglich sind nur noch 4.000 Wanderer zugelassen
- 3.000 Plätze sind online buchbar, 1.000 vor Ort
- Bei einer Wanderung über Nacht muss eine der wenigen Unterkünfte gebucht werden
Mir wurde mehrfach gesagt, dass ich mich nach einer erfolgreichen Besteigung als echter Japaner bezeichnen könnte – nur wahre Japaner schaffen es bis zum Gipfel. Das zeigte mir, wie hoch angesehen die Besteigung ist. Na, wenn das mal kein Ansporn ist!
Dumm ist der, der Dummes tut
Der Abend vor der Wanderung war der erste gemeinsame Abend seit fast drei Monaten, die Euphorie war also groß. Wir spielten die ein oder andere Runde Wizard und tranken ein paar Bier. Natürlich vergaßen wir mehr und mehr die Zeit und achteten nicht weiter auf unser Ziel, frei nach dem Motto: Wird schon schiefgehen. Als meine Wanderkumpanin Maria dann irgendwann die Vernunft packte, wollte ich natürlich nichts davon wissen. Ich lächelte nur hämisch, als sie sich mit den Worten: „Ich will die Sache ernst angehen und du musst morgen ausgeschlafen sein. Vor so einer großen Wanderung kannst du dich nicht besaufen!“ ins Bett verabschiedete und öffnete genüsslich meine nächste Bierdose. Was wusste sie schon? Ich zechte also weiter mit meinem Kumpel Tom, schlief etwa 4 Stunden und war am nächsten Morgen mächtig im Eimer. Meine Güte, war das wieder dämlich von mir. Im späteren Verlauf wäre ich sehr gut beraten gewesen, Marias Worten zu folgen und einfach mal nicht rebellisch zu sein.
Auf zur 5. Station
Die Besteigung beginnt am besten von der 5. Station aus, die sich auf einer Höhe von 2305 Metern befindet und als Ausgangspunkt für die meisten Besucher und Wanderer dient. Wir fuhren also mit dem Mietwagen zur Haltestelle und planten den Aufstieg. Zu Beginn erschien alles etwas verwirrend, da wir uns noch in der Nebensaison befanden, was wohl viele Wanderer abschreckt.
Wie auf dem Foto vielleicht auffällt, war mein Outfit alles andere als professionell. Ich startete mit meinen Alltagsschuhen, hatte weder eine Wanderhose dabei noch vernünftige Wanderschuhe. Das lag vor allem daran, dass mein Gepäck auf der Fahrt von Akita nach Tokio sehr begrenzt war. Ich hatte nicht die Möglichkeit meine klobigen Wanderschuhe zu transportieren und probierte es also in meinen Alltagsklamotten. Dinge die in meinem Rucksack jedenfalls nicht fehlen durften: 3 Liter Wasser, Bananen, ein paar belegte Brote, zwei Bier für den Gipfel und Kopfschmerztabletten.
Vor- und Nachteile zur Besteigung des Berges in der Nebensaison
Vorteile:
- In der Hauptsaison wandern 4.000 Menschen täglich, dass gleicht einer Völkerwanderung. Wer also in Ruhe und für sich sein möchte wählt die Nebensaison
- Keine Anmeldung oder Unterkunft notwendig
- Man trifft nur wenige Menschen, kommt dafür aber schneller ins Gespräch
- Freiheit
- Angenehmere Temperaturen, als zur Hauptsaison im Hochsommer
Nachteile:
- Man ist auf sich alleine gestellt und trifft nur sehr wenige Wanderer
- Keine festen Toiletten, keine Unterkünfte, keine Einkaufsmöglichkeiten und auch keine Mülleimer auf dem Weg
- Keine Erste-Hilfe-Stationen
- Unsichere Wetterlage
Aufgrund der nächtlichen Sitzung verzögerte sich unser Start um etwa eine Stunde. Gegen 9:30 Uhr starteten wir mit dem Yoshida-Trail, der als am besten begehbare Weg für die Wanderung gilt. Dass der Wanderpfad offiziell erst in einem halben Monat öffnet, merkten wir schnell zu Beginn: Der eigentliche Weg war mit einer großen Platte abgesperrt, sodass wir uns über einen Hang auf den Hauptweg vorarbeiten mussten. Zudem befanden sich auf dem Trail überall viele Bauarbeiter mit großen Baumaschinen, die die Strecke für die Hauptsaison präparierten. Wir hatten anfangs ein eher mulmiges Gefühl, dass wir zurückgeschickt würden, jedoch ließen sie uns immer freundlich passieren und zeigten uns den Weg nach oben an.
Die ersten Meter liefen gut und als wir dann nach gut anderthalb Stunden die ersten anderen Wanderer trafen, beruhigte uns das auch ein wenig. Auf dem Weg passierten wir viele geschlossene Stationen, welche in der Hauptsaison geöffnet haben. Dort befinden sich dann kleine Einkaufs- und Übernachtungsmöglichkeiten sowie Toiletten.
Unsere weitere Reise gestaltete sich schwieriger. Die Höhenmeter vergingen ebenso wie die Stunden, die wir mittlerweile auf den Beinen waren. Nach drei oder vier Stunden hatten wir uns dann auch nicht mehr so viel zu erzählen, sodass jeder so ein bisschen seinen eigenen Kampf zu führen hatte. Mich plagten mittlerweile starke Kopfschmerzen und ich fühlte mich müde und dehydriert. Immer öfter verinnerlichte ich Marias Worte vom Vorabend und registrierte, dass ich mich in Zukunft lieber mal zusammenreißen sollte. Die Konzentration ließ zudem immer mehr nach, was eine ernsthafte Gefahrenquelle darstellte, schließlich hätte ein Fehltritt auch fatale Folgen auf über 3.000 Metern Höhe mit sich ziehen können.
Wie bitte, Höhenkrankheit?!
Maria erging es ebenfalls zunehmend schlechter, sie plagten Übelkeit und Schwindel, zusätzlich zu Kopfschmerzen und Müdigkeit. In der Folge dachte ich mehr über die sogenannte Höhenkrankheit nach, was ich anfangs noch ausschloss, da wir uns ja in einer vergleichbar moderaten Höhe aufhielten.
Die Höhenkrankheit bezeichnet ein Syndrom, welches in Höhen ab etwa 2.500 Metern über dem Meeresspiegel auftreten kann. Dabei hat der Körper nicht ausreichend Zeit, sich an den geringeren Sauerstoffgehalt in großen Höhen anzupassen.
Als auftretende Symptome gelten unter anderem:
- Leichte Höhenkrankheit: Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit
- Schwere Höhenkrankheit: Starke Kopfschmerzen, Erbrechen, Kurzatmigkeit, Verwirrtheit, Flüssigkeitsansammlungen in Lunge (Lungenödem) oder Gehirn (Hirnödem), die lebensbedrohlich sein können.
Tatsächlich ist damit nicht zu spaßen und ich war ziemlich froh darüber, eine kleine Reiseapotheke im Rucksack zu haben. Nach einer längeren Trinkpause und einer Schmerztablette konnten wir dann aber auch schon weiter. Schließlich trafen wir eine kleine Gruppe Australier, die ebenso an den Grenzen ihrer Belastung angekommen war. Sie waren bereits morgens um drei Uhr aus dem Tal gestartet waren und somit einen wesentlich größeren Ritt auf sich genommen hatten. Trotzdem ermutigte uns das nur umso mehr, denn wenn die Australier den Gipfel erreichen können, dann wir doch umso mehr!
Prävention der Höhenkrankheit
- Langsamer Aufstieg mit regelmäßigen Pausen zur Akklimatisation
- Viel Wasser trinken und für eine ständige Hydration sorgen
- Medikamente können helfen Symptome zu verhindern oder zu lindern
- Vermeidung von Alkohol 😉
Nach der letzten Station vor dem Gipfel, auf einer Höhe von etwa 3.400 Metern, traf ich auf den ersten Japaner während unseres Abenteuertrips. Er war professionell ausgestattet und gab mir nochmal wertvolle Hinweise für die restlichen Meter. Er erzählte mir zudem, dass er den Berg bereits zum sechsten Mal bestieg, weil er in der Nähe wohnt und es ihm viel bedeutet. Das ermutigte mich nochmal auf den letzten Metern. Nach einer letzten Pause entschlossen wir uns das Ding jetzt durchzuziehen und nicht weiter zu jammern.
Gegen 15:30 Uhr war es endlich soweit, wir erreichten 6 Stunden nach dem Start den Gipfel, ein Erfolg an den ich nicht mehr so recht geglaubt habe, bei all den durchlebten Strapazen.
Nun standen wir also da, auf dem Gipfel des größten Berges Japans. Ich war unheimlich glücklich und stolz auf uns. Wir standen plötzlich über den Wolken und konnten uns jetzt wie echte Japaner fühlen.
Im Ziel war ich gleich so euphorisch, dass ich glatt mein erstes Gipfelbier fallen ließ – 500 Gramm Übergepäck für nichts und wieder nichts quasi. Die Freude über den Erfolg hielt jedoch nicht so lange, nach 20 Minuten mussten wir auch schon wieder hinab, schließlich wollten wir vor der Dunkelheit zurück am Auto sein.
Adieu Knie
Dass so ein Abstieg oft noch anstrengender ist und extrem auf die Knie geht, ist sicherlich jedem bewusst. Wir liefen langsam bergab und lenkten uns ein bisschen mit einem Podcast ab. Die Aussicht nach unten war großartig, die Sonne ging langsam unter und die Wolken zogen vorbei. Wir haben uns viel Zeit gelassen, viele Pausen gemacht und versucht, das Erlebte irgendwie zu greifen und zu verarbeiten. Motivation und Kraft ließen langsam nach, bis wir nochmal Gesellschaft bekamen.
Etwa eine Stunde vor der Rückkehr zur fünften Station überholte uns eine Gruppe italienischer Ingenieure, die auf einer Dienstreise in Japan waren und an ihrem freien Tag wandern wollten. Wir kamen ins Gespräch und boten ihnen eine Mitfahrgelegenheit zurück nach Fujikawaguchiko an, da sie sich sonst ein Taxi hätten nehmen müssen. Somit war unser Abstieg etwas angenehmer, wir konnten uns mit neuen Leuten unterhalten und schöpften neue Motivation.
Gegen 20 Uhr kamen wir von unserer etwas mehr als zehnstündigen Wanderung zurück. Wir trafen unsere Freunde am Auto wieder, klappten die Sitze um und brachten unsere neuen italienischen Freunde zum Bahnhof, von wo es für sie nach Tokio weiterging. Erschöpft, aber überglücklich, kehrten wir zurück in unsere Unterkunft.
Am Morgen danach spielte Deutschland das Eröffnungsspiel der EM gegen Schottland. Dafür steht man doch gern mal um 5 Uhr morgens auf, um das Spiel live zu schauen. Ich setzte mich dafür auf den Balkon, trank eine Tasse Kaffee und genoss den Ausblick auf den Berg, den wir am Vortag bestiegen hatten. Meine Beine schmerzten noch mehrere Tage danach, aber das nahm ich gern in Kauf, denn nun bin ich einer von ihnen: ein echter Japaner.
Philipp