28. Februar 2017
Es ist Samstag halb eins. Wir sitzen in der Küche unseres Wohnheims und warten auf Besuch von jungen Freiwilligen der Adyan Foundation. Adyan Foundation ist eine Stiftung, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, interreligiösen Dialog theologisch und gesellschaftlich neu zu etablieren. ‚Diversity Builds Unity‘ ist dabei ihr Motto. Ob das bei uns geklappt hat? Dialog im Praxistest.
Alles beginnt mit einem Handschlag
Eine Gruppe junger Muslime kommt die Treppe hoch und begrüßt uns. Mein syrischer Kommilitone streckt die Hand aus, während eine junge Muslima ihm gegenüber die ihre zum Herz führt. „Sorry“, kommt es von beiden Seiten, um die merkwürdige Situation aufzulösen. Mir gibt die junge Muslima die Hand, während der nach ihr folgende Kollege mir ebenfalls die Hand gibt. Nach fünf Monaten im Libanon bin ich gewohnt den Handschlag nicht als selbstverständlich zu nehmen, vor allem im interreligiösen Kontext, ihn aber auch nicht selbstverständlich zu vermeiden. Meist hängt meine Hand also auf halbem Weg zwischen meinem Herz und der Hand des Gegenübers, um für beide Eventualitäten adäquat gewappnet zu sein. Beim gemeinsamen Mittagessen wird der übliche Smalltalk über das Studium geführt. Während meine Kommilitonen, genau wie ich, Theologie studieren, kommen die Freiwilligen der Adyan Foundation aus unterschiedlichen akademischen Kontexten. Eine beliebte Frage im Libanon ist außerdem die nach der Herkunft. Bei uns Austauschstudierenden bietet sich die Frage natürlich an, aber auch ein Großteil der Libanesinnen kommen nicht aus der Stadt selber, sondern aus dem Süden, dem Osten, oder dem Norden des Landes. Interessant hierbei: An der geographischen Angabe des Herkunftsorts – und dieser bezieht sich beim dem einen oder der anderen schon auf die Generation der Großeltern – lässt sich nicht selten auch religiöse Zugehörigkeit erahnen. Kommt jemand aus dem Süden oder Osten, ist er häufig schiitisch aufgewachsen. Aus Zahlé sind viele Christen, während das Shouf-Gebirge Herkunftsort der meisten Drusen im Land ist.
Vom Mythos der starren Zugehörigkeit
Nachdem wir uns auf den Weg zu Kaffee und Tee in die universitätseigene ‚Lounge‘ aufgemacht haben, die libanongerecht mit Teppich ausgelegt und mit mächtigen Sesseln und Sofas bestückt ist, bezieht sich die erste Frage an unsere Gäste auf deren konfessionelle Zugehörigkeit. Eine vermeintlich einfache Frage, doch schon ist man mittendrin in Diskussionen rund um Glaube, Religion und Kultur. Im Libanon ist das Familienrecht nach religiöser Zugehörigkeit geordnet und der Zugang zum politischen System funktioniert ebenso allein über jene, da die Sitze des Parlaments paritätisch an Muslime, Christen und Drusen vergeben werden. Da liegt der Schluss nahe, dass es heute nach wie vor wichtig ist jemanden aus der eigenen Sekte, das heißt der eigenen Religion und Konfession, zu heiraten. Schnell wird mir jedoch klar, dass das religiöse Zugehörigkeitsgefühl bei libanesischen Muslimen genauso unterschiedlich ausgeprägt ist, wie bei Gläubigen anderer Religionen oder nicht religiösen Menschen. Bei ihm in der Familie werde immer aufgestöhnt, erzählt einer der Teilnehmenden, wenn er von sunnitischen Freunden erzählt, die sich dazu entscheiden eine Schiitin zu heiraten. Ist es dann aber eine Schiitin aus Beirut, Heimatort der Familie, dann sind die Eltern meist wieder versöhnt. Hier scheint die Kultur der geographischen Lage mehr zu zählen als die Zugehörigkeit zur Religion. Eine andere erzählt dagegen, sie wisse gar nicht so richtig, zu welcher Konfession sie sich zugehörig fühle. Klar, auf dem Papier sei sie Sunnitin, in ihrer Familie gebe es aber Christinnen, Muslime, Schiiten, Sunnitinnen, sogar Drusen, eine religiöse Minderheit zu der man nicht konvertieren kann und die dementsprechend besonders viel Wert darauf legen, ihre eigene Gesellschaft zu erhalten.
Viele Fragen sind die gleichen …
Zurück zu Kaffee, Lounge und unserem Dialog im Kleinen. Wie es sei Theologie zu studieren, fragt eine der Teilnehmenden und man sieht, wie sie mit sich ringt. Sie habe selber überlegt Hausa, islamische Theologie, zu studieren, da sie auf der Suche nach Antworten sei. „Bekommt man Antworten im Theologiestudium?“ Ich habe in den letzten drei Jahren wohl mehr Fragen als Antworten gefunden, aber mit diesen Fragen scheine ich alles andere als alleine dazustehen. Die grundlegenden Fragen im Christentum und im Islam, aber auch in nicht religiösen Kontexten sind sich so ähnlich und über viele von ihnen diskutieren wir heute. Gibt es eine Wahrheit oder viele. Gibt es ein Richtig und ein Falsch. Ist eine gesetzestreue Handlung immer moralisch gut und sollte man in diese Gedanken einen Gott implizieren, richtet jener nach der Erfüllung gegebener Regeln oder nach der eigenen Fähigkeit Regeln zu hinterfragen und dementsprechend anzuwenden. Anders gefragt, kommt erst der Gehorsam und dann die Moral, oder andersherum. Und plötzlich meldet sich eine der jungen Frauen zu Wort, die mir davor schon aufgefallen ist, da sie einen sogenannten Tschador trägt. Das Kopftuch ist im Libanon kein ganz seltenes Bild, auch wenn es darauf ankommt, in welchen Kreisen man sich aufhält. Der Tschador, also die Körperverschleierung in schwarz, ist dagegen eher rar. Die junge Frau hält ein Plädoyer für den Sufismus, für das Bild eines Gottes der Liebe und der Vielfältigkeit der Wege zu ihm. Gegen starres Befolgen der Regeln und gegen den Wahrheitsanspruch einer einzigen Religion. Hier fühle ich mich zuhause.
… aber die Antworten variieren.
Ich traf heute Christen und Muslime, die Religion als Teil ihres Alltags akzeptieren und gleichzeitig Autoritäten hinterfragen. Die sich Gedanken machen über die Grundlagen menschlichen Zusammenlebens. Gerne hätte ich so viele TeilnehmerInnen deutscher Talkshows und besonders jene, die bewusst ein einseitiges Bild auf den Islam vertreten, die darauf setzen Islam und Christentum in einen künstlichen Gegensatz zu rücken, zu diesem Dialog eingeladen. Ein Dialog, der mir mal wieder vor Augen geführt hat, dass vielleicht unsere Antworten auf Herausforderungen variieren, unsere Fragen dagegen die gleichen sind. „Ein anderes ist: Auf etwas antworten; ein anderes: Etwas beantworten“, schrieb schon Lessing. Und ob die ständigen Diskussionen rund um Handschlag und Kopftuch die wirklichen Fragen gemeinsamen Zusammenlebens beantworten, da bin ich mir mal wieder nicht so sicher.