Keine Frage, mit einem Auslandsstudium oder -praktikum können Studierende bei potenziellen Arbeitgebern punkten. Allerdings reicht der Nachweis auf dem Papier über die Auslandserfahrung längst nicht mehr aus. Denn für die Personalerinnen und Personaler zählt heute noch etwas ganz anderes. Von gefragten Qualifikationen, der Bedeutung ein Auslandssemester online zu absolvieren und einem überraschenden Ergebnis der aktuellen Studie zur Bedeutung von Auslandserfahrung für den Karriereerfolg, erzählt Dr. Stephan Geifes, Leiter der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im DAAD.
Es herrscht Fachkräftemangel. Manche Unternehmen suchen händeringend nach Personal. Spielt es da bei der Personalauswahl noch eine Rolle, ob man im Ausland war oder nicht?
Die Unternehmen wollen gute Studierende. Vereinfacht gesagt, sind diejenigen, die im Ausland waren, aufgrund ihrer erworbenen Kompetenzen für Personalerinnen und Personaler die besseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sowohl für den Karriereeinstieg als auch langfristig zahlt sich ein Auslandsstudium weiterhin aus.
Die Studie „Die Bedeutung von Auslandserfahrung für den Karriereerfolg von Hochschulabsolventen auf dem deutschen Arbeitsmarkt“ ist nicht die erste, die der DAAD zum Thema Auslandsaufenthalte und Berufseinstieg durchgeführt hat. Die Herangehensweise hat sich jedoch ein wenig geändert – was unterscheidet sie von den früheren?
Die Studie, die wir jetzt zum vierten Mal mit dem Institut der deutschen Wirtschaft durchgeführt haben, unterscheidet sich von den vorherigen Studien in zwei Punkten. Zum einen wurde nicht nur nach der Bedeutung eines Auslandsaufenthaltes für den Berufseinstieg geschaut, sondern auch für den Karriereverlauf. Zum Zweiten gibt es eine methodische Veränderung: Wir haben nicht gleich danach gefragt, wie ein Auslandsaufenthalt eingeschätzt wird. Stattdessen haben wir zuerst nach den Qualifikationen gefragt, die von den Unternehmen gesucht werden. Eine breite Literaturrecherche, sowohl psychologisch als auch betriebswirtschaftlich, belegt, dass die Qualifikationen, die die Unternehmen suchen, nachweislich durch Auslandsaufenthalte gefördert werden.
Es ist bekannt, dass Auslandsaufenthalte während des Studiums Abenteuer sind. Aber was bringen sie nun wirklich für die berufliche Zukunft?
Auslandsaufenthalte sind definitiv Abenteuer und das bestandene Abenteuer schätzen die Human Resources Managerinnen und Manager sehr. Die Studie, die wir erneut durchgeführt haben, hat zweierlei gezeigt: Zum einen schätzen die Personalerinnen und Personaler, dass man mobil war, dass man ein Projekt, und ein Auslandsstudium ist ein Projekt, angegangen ist und es erfolgreich umgesetzt hat. Zudem hat die Studie gezeigt, dass Qualifikationen, die den HR-Managern besonders wichtig sind, nachweislich durch ein Auslandsstudium gefördert werden.
Welche Fähigkeiten sind das genau, die Studierende durch einen Auslandsaufenthalt erlernen können und die dann im Beruf eine Rolle spielen?
Kommunikative Kompetenzen, Problemlösungs-, Planungs- und Organisationsfähigkeiten, Studierende mit Auslandserfahrung sind es gewohnt, selbstständig zu arbeiten, gleichzeitig sind sie auch Teamplayer – durch ihre Zusammenarbeit und Begegnungen mit Menschen aus anderen Kulturen. Sie sind flexibel und anpassungsfähig, besitzen die Fähigkeit, mit ungewohnten Situationen umzugehen, sind selbstbewusst und neugierig und knüpfen neue persönliche Netzwerke.
Sprachkenntnisse wurden nicht genannt. Sind diese nicht relevant?
Ein Ergebnis der Studie ist, dass Fremdsprachenkenntnisse im Vergleich zu den anderen Kompetenzen, die gefordert werden, nicht so hoch eingestuft sind. Das liegt m. E. daran, dass diese einfach vorausgesetzt werden. Gute bis sehr gute Englischkenntnisse zum Beispiel werden von allen erwartet. Darüber hinaus werden weitere Fremdsprachenkenntnisse geschätzt.
Die Studiendauer kann sich durch einen Auslandsaufenthalt verlängern. Wird das von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern negativ gesehen?
Das ist ein Ergebnis der Studie, das mich angenehm überrascht hat: Die Personalerinnen und Personaler sagen ganz eindeutig, dass die Studienzeitverlängerung durch einen Auslandsaufenthalt irrelevant sei. Im Fokus steht, was die Bewerberinnen und Bewerbern aus ihrem Auslandsaufenthalt gezogen haben. Dieser persönliche Mehrwert muss gegenüber den potenziellen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern deutlich gemacht werden.
Bevorzugen Human Resources Manager eher Studien- oder Praktikumserfahrung im Ausland?
Die Unternehmen bevorzugen Praxiserfahrung. Die ist natürlich im Praktikum besonders gegeben, kann aber auch im Studium erworben werden. Wichtig ist es zu zeigen, dass man in die Gesellschaft des Gastlandes eingetaucht ist, und das über den Hochschulbereich hinaus, und was man an praktischen Erfahrungen im Ausland erworben hat.
Bewerten große und kleine internationale Unternehmen den Auslandsaufenthalt in gleicher Weise?
In dieser Frage sind die Unterschiede zwischen den Größenklassen nicht so augenfällig wie bei der Unterscheidung zwischen Unternehmen, die kein Personal im Ausland beschäftigen und Unternehmen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ausland tätig sind. Bei Letzteren haben über 50 Prozent gesagt, dass ein Auslandsaufenthalt die Einstellungschancen signifikant verbessert.
Zu welchem Zeitpunkt der Karriere ist die Auslandserfahrung am wichtigsten – zum Berufseinstieg oder doch erst später, nach ein paar Jahren im Job?
Für den Karriereverlauf ist es genauso wie beim Berufseinstieg nicht mehr das formale Kriterium, im Ausland gewesen zu sein. Viel mehr sind es die nachweislich erwiesenen Kompetenzen, die den Karriereverlauf positiv beeinflussen. Die Personalerinnen und Personaler haben gesagt, dass ein Auslandsaufenthalt für sie ein Hinweis darauf ist, dass gesuchte Kompetenzen vorliegen. Aber sie überprüfen diese Kompetenzen dann auch.
Bringt ein Online-Auslandssemester etwas?
Diese Frage haben wir vor dem Hintergrund der Coronapandemie 2020 in einer qualitativen Tiefensondierung verschiedenen Human-Resources-Abteilungen gestellt. Und sie haben das positiv bewertet, weil die gesamte Arbeitswelt sich gerade verändert und die Fähigkeiten, online zu arbeiten, auch in Distanz wertgeschätzt werden. Es ist ein Plus, wenn man das auch noch auf internationaler Ebene vorweisen kann.
Ein Online-Auslandssemester ist also mit dem Auslandssemester in Präsenz gleichgestellt?
Diejenigen, die online erfolgreich ein Auslandssemester gemacht haben, haben ein Auslandssemester gemacht. Sie haben sich in einer Fremdsprache, in einer anderen Wissenschaftskultur und Pädagogik bewegt und den Biss gehabt, das online durchzuziehen. In einer anderen Lernkultur, in einer Fremdsprache, im internationalen Kontext eine Zoom-Veranstaltung mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern unterschiedlicher Kulturen zu begleiten ist etwas anderes, als wenn man sich in seiner eigenen muttersprachlichen und kulturellen Komfortzone bewegt. Die befragten Unternehmen haben auch gesagt, dass sie nicht davon ausgehen, dass die Auslandsorientierung der deutschen Wirtschaft abnehmen wird – ganz im Gegenteil. Deutschland ist ein weltweit wirtschaftlich vernetztes Land und wird das auch bleiben. Wir werden sicherlich weniger reisen und insofern ist es dann auch wichtig, interkulturell mit Menschen schneller in Kontakt zu kommen. Das im Studium schon gemacht zu haben wirkt sich positiv aus.
Sie würden also jedem Studierenden einen Auslandsaufenthalt empfehlen?
Klares Ja. Ich habe selber mehrfach im Ausland studiert und Praktika im Ausland gemacht. Das hat auch mich im Berufseinstieg und in meinen Fähigkeiten nachhaltig geprägt.