Warum absolviert fast jeder zehnte Medizinstudierende aus Deutschland das gesamte Studium im Ausland? Wie sind andernorts die Bewerbungsverfahren? Mit welchen Kosten ist zu rechnen, welche Vor- und Nachteile gibt es, und warum sollten bei der Wahl des Studienortes keine gängigen kommerziellen Rankings zurate gezogen werden? Antworten auf diese und andere Fragen gibt Bildungsforscher Gero Federkeil, Leiter des Bereichs Internationale Hochschulrankings beim Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), im Interview.
Sie und Ihr Team haben den Trend zum Medizinstudium im osteuropäischen Ausland untersucht. Aus welchen Gründen entschließen sich angehende Studierende für ein Medizinstudium im Ausland?
2021 lag die Zahl der Bewerbungen je Medizinstudienplatz bei 4,5 Bewerberinnen und Bewerbern. Diese hohe Bewerbungsquote, nicht ausreichend verfügbare Studienplätze in Deutschland und der strenge Numerus clausus – eine Kombination von Gegebenheiten, die dazu motiviert, das Studium im Ausland zu absolvieren. Das sind die entscheidenden Gründe für ein Studium in Ost- und Südosteuropa, aber auch nach wie vor in Österreich, wo rund 30 Prozent der Deutschen, die Medizin im Ausland studieren, gebührenfrei studieren. Bei einigen Hochschulen, zum Beispiel der Uni Maastricht, steht aber sicher auch das pädagogische Konzept sowie die Gestaltung und Qualität des Studiums im Vordergrund.
Warum sind besonders Studienorte in Ost- und Südosteuropa für deutsche Studierende so interessant?
Die Besonderheit in Ländern wie Polen, Ungarn oder Rumänien ist, dass sie Studiengänge speziell für internationale, zum Teil sogar für deutsche Studierende anbieten. Das heißt, das Studium ist extra für diese Gruppe konzipiert. Gelehrt wird dann auf Englisch. Viele der Studiengänge zeichnen sich im Vergleich zu Deutschland durch eine gute Betreuungsrelation und kleine Lerngruppen aus. Meist bieten die Hochschulen dabei auch Einführung- und Orientierungskurse für ausländische Studierende an.
Wie sieht es zum Beispiel in Skandinavien oder den USA aus?
In anderen Ländern, wie zum Beispiel Skandinavien, aber auch den Niederlanden, Belgien, oder auch Österreich müssen deutsche Studierende den regulären nationalen Studiengang gemeinsam mit den einheimischen Studierenden absolvieren. Besondere Betreuungsangebote gibt es für sie dort meist nicht. Das Studium wird dann auch in der jeweiligen Landessprache absolviert. Das ist für die meisten deutschen Studierenden – mit Ausnahme Österreichs und der Schweiz – natürlich auch eine Hürde.
In den USA ist das Medizinstudium außerdem noch deutlich teurer: In Harvard liegen die Studiengebühren bei 67.000 Dollar pro Jahr! An der Universität Michigan, um ein Beispiel einer Universität zu nehmen, die nicht zur Ivy League gehört, sind es aber auch über 50.000 Dollar im Jahr.
Mit welchen Kosten kann ein Studium im Ausland für deutsche Studierende verbunden sein?
In den internationalen Studiengängen in Ost- und Südosteuropa sind die Studiengebühren für deutsche Studierende schon hoch – in der Regel zwischen 15.000 und 25.000 Euro pro Jahr. In den regulären Medizinstudiengängen in EU-Ländern gelten für deutsche Studierende die gleichen Gebühren wie für einheimische Studierende. In Österreich ist das Studium kostenlos, in den Niederlanden liegen die Studiengebühren aktuell bei rund 2.300 Euro im Jahr.
In einigen Ländern sind die Lebenshaltungskosten geringer als in Deutschland, das macht die hohen Gebühren aber nicht wett. Es gibt mit Blick auf den Ärztinnen- und Ärztemangel in einigen Bundesländern Programme, in denen die Studiengebühren vom Land übernommen werden, wenn sich die Studierenden verpflichten, nach dem Studium im Ausland in diesem Bundesland als Ärztin oder Arzt zu arbeiten.
Klinisches Studium: Beispiele von Kooperationen zwischen Universitäten im Ausland und Kliniken in Deutschland
- Der Asklepios Campus Hamburg (ACH) ist eine offiziell registrierte Niederlassung der Medizinischen Fakultät der Semmelweis Universität in Budapest.
- Kooperation der School of Medicine der Universität Split (Kroatien) mit der Medical School REGIOMED der REGIOMED-Kliniken in Oberfranken und Südthüringen
- Modellprojekt „Studieren in Europa – Zukunft in Sachsen“
- Medizinische Universität Varna: Stipendienprogramm der Bezirkskliniken Mittelfranken
Worin unterscheiden sich die Auswahlverfahren bzw. Zulassungskriterien zu deutschen medizinischen Fakultäten?
Der wichtigste Unterschied ist zunächst, dass man sich im Ausland direkt bei der jeweiligen Hochschule bewirbt. In Deutschland läuft die Vergabe der Studienplätze in der Medizin zentral. Während man sich in Deutschland dann auch nur über die Abi-Note bewerben kann, sind allgemeine Eignungstests, oft auch mit einem Schwerpunkt in Biologie und Chemie, an den ausländischen Hochschulen die Regel. Oft werden diese dann mit der Abi-Note oder bestimmten Fächernoten im Abi kombiniert. Über die genauen Zulassungsbedingungen muss man sich bei der jeweiligen Hochschule rechtzeitig informieren.
Wie wichtig sind bei diesen Auswahlverfahren die Sprachkenntnisse – auch mit Blick auf Länder, die Studiengänge speziell für internationale oder deutsche Studierende anbieten?
Sprachkenntnisse in der Landessprache werden nicht immer vor dem Studium vorausgesetzt; die muss man in der Regel aber während des Studiums erwerben, weil der klinische Unterricht bzw. die Patientenkontakte natürlich in der jeweiligen Landessprache erfolgen. Die Unterrichtssprache an den Unis ist in der Regel Englisch; daher werden Englischkenntnisse erwartet.
Welche Rolle spielen Top-Rankings bei der Auswahl medizinischer Fakultäten?
Zunächst einmal rate ich den Studierenden davon ab, bei der Wahl des Studienortes die gängigen kommerziellen internationalen Rankings (wie, die von QS und Times Higher Education) zurate zu ziehen. Die sagen nämlich wenig bis gar nichts über die Ausbildung und die Studienbedingungen aus, sondern allenfalls etwas über die Leistungen in der Forschung und die Reputation unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. In U-Multirank, einem nicht-kommerziellen Ranking, das das CHE federführend zusammen mit internationalen Partnern und mit Finanzierung der EU erstellt, beleuchten wir – insbesondere aus der Sicht der Studierenden selbst – auch die Studienbedingungen. Dort machen nicht alle deutschen Medizinfakultäten mit. Die Teilnehmenden schneiden jedoch gut ab, zum Beispiel die Uni Witten/Herdecke und die Uni Münster. Insgesamt kommen die gut bewerteten Hochschulen aus einer ganzen Reihe von Ländern; darunter ist zum Beispiel auch die Semmelweis Universität in Ungarn, die auch spezielle Studiengänge für internationale Studierende anbietet.
Das gesamte Medizinstudium im Ausland absolvieren: Welche Vor- und Nachteile gibt es?
Die Erfahrung an einer ausländischen Hochschule, einem anderen Gesundheitswesen und einer anderen Kultur kann natürlich bereichernd sein. Ein Nachteil kann darin bestehen, dass man das deutsche Gesundheitswesen, in dem man nachher dann meist arbeiten will, im Studium nicht kennengelernt hat und man noch mal einen beruflichen Kulturwechsel machen muss.
Ist es problemlos möglich, mit einem Abschluss in Medizin, der im Ausland erreicht wurde, in Deutschland als Ärztin bzw. Arzt zu arbeiten?
Die Anerkennung ist bei Studiengängen in EU-Ländern gewährleistet, wenn der Studiengang im Studienland selbst zur Tätigkeit als Arzt/Ärztin qualifiziert – das ist bei allen Studiengängen, die wir recherchiert haben, der Fall. In Nicht-EU-Ländern muss man sich da vorher erkundigen. Die Approbation muss bei den jeweils zuständigen Landesbehörden beantragt werden, in deren Bundesland man zunächst als Arzt/Ärztin arbeiten will. In Nordrhein-Westfalen ist das zum Beispiel die Zentrale Anerkennungsstelle für Gesundheitsberufe bei der Bezirksregierung in Münster. Dafür, dass es Nachteile bei Bewerbungen in Deutschland gibt, haben wir keine Hinweise – Ärztinnen und Ärzte werden ja gesucht.
Gibt es gegenüber einem Medizinstudium im Ausland heute noch Vorurteile?
Ich denke, da gibt es mit Blick auf einige Länder insbesondere in Südosteuropa sicher noch Vorurteile. Die Qualität der Studiengänge ist sicher auch unterschiedlich – Studieninteressierte sollten also genau hinschauen. Wir können jedoch nicht feststellen, dass die Qualität generell schlechter ist als in Deutschland. Viele der ausländischen Universitäten haben die Studiengebühren investiert, um gute Lehrbedingungen und eine gute Ausstattung bieten zu können. Vielfach sind die Lerngruppen auch kleiner als an deutschen medizinischen Fakultäten.
Der Diplom-Soziologe Gero Federkeil ist seit 2000 beim Centrum für Hochschulentwicklung tätig, dort leitet er den Bereich Internationale Rankings. Er hat unter anderem das Bewertungstool U-Multirank mitentwickelt, eine von der Europäischen Union initiierte internationale, unabhängige und web-basierte Initiative zur Bewertung von Fachhochschulen und Universitäten.