Hans de Wit ist Experte für Internationalisierung im Hochschulwesen. Er forscht zum Thema Auslandsmobilität und hat dazu zahlreiche Studien veröffentlicht. Im Interview erklärt er, welche Maßnahmen helfen, Auslandsaufenthalte nachhaltiger zu gestalten.
Was haben Studierende davon, ins Ausland zu gehen?
Ein Auslandsaufenthalt ist wichtig, um sowohl die akademische als auch die persönliche Perspektive von Studierenden zu erweitern. Sie können sich selbst und ihr Handeln besser reflektieren, wenn sie verstehen, dass es Unterschiede gibt, wie Menschen an anderen Orten auf der Welt denken, arbeiten und studieren. In diesem Sinne ist ein Auslandsaufenthalt eine sehr positive Erfahrung. Ich selber war ein Jahr in Lima. Die Zeit in Peru hat mich in meiner Karriere weitergebracht und großen Einfluss auf mein Denken über die Welt gehabt.
Kurze Aufenthalte im Ausland sehen Sie jedoch kritisch. Was empfehlen Sie stattdessen?
Es gibt Studien, die zeigen, dass auch ein kurzer Aufenthalt positive Effekte haben kann, weil Studierende so die Möglichkeit haben, sich mit einer anderen Kultur auseinanderzusetzen und andere Wege des Lernens und Lehrens zu sehen. Studierende verbringen bei kurzen Aufenthalten im Ausland jedoch häufig viel Zeit mit anderen internationalen Studierenden und haben wenig Kontakt zu Einheimischen, weil die andere Prioritäten haben: Ihre Familien, ihren Freundeskreis, ihre Katzen oder Hunde. Kurze Aufenthalte haben zudem einen schlechteren Einfluss auf die Umwelt. Wir leben in Zeiten der Globalisierung, die Welt ist immer enger verbunden und die Gesellschaft in unseren Heimatländern wird immer multikultureller. Wir können also auch zu Hause viel über andere Kulturen lernen. Hier gibt es nicht nur schwarz und weiß, generell wünsche ich mir jedoch, dass Studierende sich gut überlegen, wieso sie überhaupt ins Ausland gehen, wie sie ihre Pläne verwirklichen und welchen Einfluss das auf das Klima hat.
Wie genau meinen Sie das?
Wollen Studierende im Ausland Veranstaltungen bei einem bestimmten Professor besuchen und dort etwas Bestimmtes lernen oder wollen sie vielleicht wirklich mehr über das Land und seine Kultur oder einen bestimmten Aspekt dieser Kultur lernen? Wenn das so ist, sollten Studierende sich überlegen: Sind die Umstände vor Ort so, dass sie eine Chance haben, sich zu integrieren? Oder leben sie isoliert auf dem Campus mit anderen internationalen Studierenden? Vielleicht ist dann ein Praktikum die bessere Alternative. So muss man sich in einer Firma oder Organisation zurechtfinden und kann viel mehr über den Alltag lernen. Mir wäre es am liebsten, mehr Studierende würden eine Kombination aus Auslandsstudium und -praktikum wählen. Das passiert noch viel zu selten.
Kommen wir zurück zum Umweltaspekt. Wie glauben Sie, kann man den Aufenthalt nachhaltiger gestalten?
Es lässt sich kaum vermeiden, auf einen anderen Kontinent zu fliegen. Mit dem Zug, Schiff oder Auto wäre das sehr viel umständlicher. Man kommt also nicht drum herum, wenn man sich für einen Aufenthalt in der Ferne entscheidet – dann aber bitte für einen angemessenen Zeitraum. Ich muss mir da an die eigene Nase fassen, ich bin selbst schon für einen einzigen Vortrag von Boston nach São Paulo geflogen. Das ist Energieverschwendung, nicht nur für sich selbst, sondern auch für das Klima. Für kurze Reisen würde ich empfehlen, auf Online-Veranstaltungen zu setzen. Für Ziele, die nicht auf einem anderen Kontinent liegen, würde ich den Zug empfehlen, oder auch den Bus, wenn es keinen Zug gibt. In den Anfangstagen von Auslandsmobilität sind alle so gereist. Das war Teil der Erfahrung. Auf der Reise bekommt man viel mehr vom Land zu sehen. In Europa ist das nach wie vor einfacher als zum Beispiel in den USA oder Lateinamerika.
Was können die Hochschulen tun, um mit gutem Beispiel voranzugehen?
Hochschulpräsidentinnen oder -präsidenten oder auch Leitungen von International Offices müssen sich darüber klar werden, dass viele Vorträge oder Veranstaltungen, zu denen sie früher mit dem Flugzeug geflogen sind, heute auch online besucht werden können. Wir können ja nicht von den Studierenden verlangen, sich umweltfreundlicher zu verhalten, und es selber dann anders machen. Unser Reiseverhalten sollte sich auf die wenigen Reisen konzentrieren, die wirklich wichtig und dringend notwendig sind.
Auch an die noch höhere Ebene richten Sie Forderungen: Die Europäische Kommission. Wie sehen diese Forderungen aus?
Das Erasmus-Programm oder andere Institutionen könnten zum Beispiel Studierende nur dann fördern, wenn sie für eine Strecke von sagen wir weniger als 750 Kilometern den Zug oder eine andere CO2-neutralen Reisemöglichkeit wählen. Das Fahrrad, zum Beispiel. Wobei das eine ziemliche Herausforderung wäre. Das alles natürlich nur unter der Voraussetzung, dass es andere Optionen außer einem Flug gibt. Ich würde der Europäischen Kommission außerdem empfehlen, nur Aufenthalte von mindestens einem Semester oder sogar einem Jahr im Ausland zu fördern. Sie könnte zudem den virtuellen Austausch fördern und Online -Alternativen zum gemeinsamen interkulturellen Lernen schaffen, insbesondere als Ersatz für kurze Auslandsaufenthalte.
Es gibt ja mit „Green Erasmus“ bereits erste Bestrebungen. Sind Sie dort involviert?
Nein, aber ich heiße es sehr willkommen, dass es dort Entwicklungen gibt. Die Europäische Kommission richtet viel Aufmerksamkeit auf den Klimawandel und das sollte die Themen Bildung und die großen Programme einbeziehen.
Was würden Sie Studierenden empfehlen, die im Ausland nachhaltiger leben wollen?
Sie sollten sich Gedanken über das Klima machen und versuchen, ihren Alltag möglichst CO2-neutral zu gestalten. Ich sehe immer noch, dass viele Studierende Wochenendtrips mit billigen Airlines unternehmen, um andere Städte zu sehen oder kurz nach Hause zu fliegen. Das hilft dem Klima nicht. Nehmt den Zug, schaut euch die direkte Nachbarschaft an und betrachtet einen Auslandsaufenthalt nicht als Möglichkeit, eine Rundreise zu machen.
Durch die Corona-Pandemie hat sich zum Thema Auslandsmobilität vieles verändert. Glauben Sie, diese Veränderungen haben einen nachhaltigen Einfluss?
Die Pandemie hat uns viele wichtige Lektionen gelehrt. Eine davon ist, dass Studierende sich sowohl ein akademisches als auch ein soziales Leben wünschen – sowohl im Ausland als auch zu Hause. Wir können nicht die gesamte Lehre vom Campus ins Digitale übertragen. Studierende brauchen den Austausch mit anderen Studierenden und Lehrkräften und das soziale Leben auf dem Campus ist immer noch wichtig. Die Leitungsebenen der Hochschulen sollten deshalb Maßnahmen ergreifen, das Campusleben so CO2-neutral wie möglich zu gestalten.
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