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Ist es Fernweh oder Heimweh?


Es gibt einen Unterschied zwischen Heimat und Zuhause. Meine Heimat ist der Ort, an dem ich groß geworden bin und meine Eltern immer noch wohnen. Aber wo ist denn zur Zeit mein Zuhause? In Deutschland, in Portugal oder irgendwo dazwischen?

Einige Schiffe liegen am Hafen, auf dem Fluss "Rio Arade"
Die Sonne geht langsam unter und taucht den Himmel in pastellfarbenes Licht. Die Schiffe liegen ruhig auf dem Rio Arade, dem Fluss bei Portimão.

Meine Heimat wird wohl immer der gleiche Ort bleiben, aber mein Zuhause hat sich in den letzten vier Jahren immer wieder geändert. Nach dem Abi bin ich für ein paar Monate nach England gegangen, danach bin ich zum Studieren nach Passau gezogen. Letztes Jahr im September hab ich dann meinen riesigen Koffer gepackt und bin in den fernen Süden gezogen, nach Lissabon.
Aber ist Lissabon denn jetzt auch wirklich mein Zuhause? Obwohl ich die Letzten acht Wochen wieder bei meinen Eltern gewohnt habe, hatte ich doch Sehnsucht nach Portugal. Oder wie die Portugiesen es nennen würden: Saudade.
Und dieses Gefühl kam nicht nur aufgrund des teilweise ungemütlichen Wetters in Deutschland. Ich habe meine neuen Freunde, die ich in Portugal getroffen haben, vermisst. Meine MitbewohnerInnen und unsere WG-Abende, meine wöchentlichen Spaziergänge mit Maria, meiner Tandem-Partnerin und mittlerweile auch guten Freundin. Ich habe auch die Frau vom Gemüsestand in der Markthalle vermisst, die immer mit mir portugiesisch gesprochen hat und mir die Namen der Gemüse- und Obstsorten verraten hatte, wenn ich mal auf dem Schlauch stand.
Irgendwie habe ich den Ort, der doch eigentlich so weit weg von meinem ursprünglichen Zuhause ist, angefangen zu lieben und dann, als ich nicht mehr da war, auch zu vermissen.

Ein fremder Ort, der plötzlich keiner mehr ist 

Irgendwann, ohne dass ich es gemerkt habe, ist die Avenida Almirante Reis, die Straße, in der ich in Lissabon wohne, mir plötzlich vertraut geworden. Die Sirenen der vielen Krankenwagen, die täglich vorbeifahren, habe ich irgendwann nicht mehr bemerkt und ich musste auch nicht mehr auf meinem Handy nachschauen, welche Metro ich in welche Richtung benötige. Mein Weg zur Uni wurde plötzlich so normal wie der Gang zum Bäcker in Deutschland. Aber wann genau ist das passiert? Wann wird ein fremder Ort zu einem Vertrauten?
 
Als ich letzte Woche noch in Deutschland war, hatte ich ein komisches Gefühl in mir. Es war eine Mischung aus Vorfreude und auch eine Art nagende Unsicherheit. Woher die Vorfreude kam, ist klar, denn ich konnte endlich wieder zurück nach Portugal.
Das Gefühl der Unsicherheit ist nicht so leicht zu erklären. Nach so vielen Wochen bei meinen Eltern hatte sich dann doch ein Alltag hergestellt. Das gemeinsame Abendessen, das regelmäßige Sehen meiner Familie, die wöchentlichen Spaziergänge mit meinen Freunden und natürlich mein Freund Gianni, den ich in den letzten Wochen fast jeden Tag gesehen habe. Irgendwie wollte ich das jetzt auch nicht mehr hergeben und vier Monate weg von zu Hause zu sein – ist ja jetzt nicht die Welt, aber es kann doch eine lange Zeit sein. Die Vorfreude auf Portugal könnte gut als eine Art von Heimweh interpretiert werden, aber wenn ich doch ein „Heim“ habe und gar nicht weg will, ist meine Vorfreude dann vielleicht doch eher Fernweh?
Ruhig liegen die Segelschiffe im Hafen.
Mit dem Segelschiff in die weite Welt hinaus fahren und sein Zuhause immer bei sich haben.

Fernweh statt Heimweh?

Aber kann es überhaupt Fernweh sein? Denn ja, Portugal liegt von Deutschland aus gesehen schon in der Ferne. Schließlich trennen meinen Heimatort und Lissabon über 2.400 Kilometer. Aber irgendwie fühlt sich Lissabon für mich auch nicht mehr wirklich fern an, nach den vier Monaten, die ich dort bereits verbracht habe. Während meiner Zeit in Deutschland, in der ich nicht wusste, wann ich zurückkehren kann aufgrund der aktuellen Situation, da hat sich Lissabon schon sehr weit weg zwischen durch angefühlt. Aber nicht „weit weg“ im Sinne von „fern“, sondern eher im Sinne von „unerreichbar“, jedenfalls unerreichbar zwischendurch in diesen Wochen. Aber wenn es weder Heimweh ist, noch Fernweh, was ist es dann?

Wo ist mein Zuhause? 

Vielleicht liegt die Antwort auf die Frage nicht auf dem WO, sondern vielmehr auf dem WAS. Denn was ist denn ein Zuhause überhaupt?
Laut Duden ist „Zuhause, das“ ein Substantiv, Neutrum. Es wird folgendermaßen getrennt: Zu | hau | se. Und bedeutet so viel wie „Wohnung, in der jemand zu Hause ist [und sich wohlfühlt]; Heim, Wohnung“. Also setzt der Duden voraus, dass „Zuhause“ ein Ort ist, an dem ich mich wohlfühle.

Kann ich denn mehrere Zuhause haben? Weil irgendwie wohne ich ja noch bei meinen Eltern, zumindest in den letzten zwei Monaten, und fühle mich dort wohl. Aber ich wohne ja eigentlich (auch) in Lissabon und fühle mich dort auch sehr wohl. Dann stellt sich natürlich die Frage, ob „Zuhause“ überhaupt ein fester Ort sein muss? Es gibt auch Menschen, bei denen man sich so wohlfühlt, dass ihre Umarmung sich wie „nach Hause kommen“ anfühlt. Zudem kann für jeden anderen „Zuhause“ etwas anderes bedeuten. Also vielleicht bedeutet für mich „Zuhause“ mehr das Gefühl und weniger der Ort. Und wenn es eher das Gefühl ist, dann ist mein Zuhause sowohl in Deutschland als auch in Portugal. Denn an beiden Orten fühle ich mich wohl. Kenne ich die Wege und die Straßen. An beiden Orten habe ich Leute, die ich gerne um mich habe und die ich vermisse, wenn sie nicht bei mir sind.

Ich glaube, dieses Gefühl wird bleiben. Ich denke, Lissabon ist, ohne dass ich es aktiv bemerkt habe, zu meinem Zuhause geworden. Und irgendwie wird es das auch bleiben. Auch wenn ich schon lange einen neuen Ort gefunden habe, den ich dann „Zuhause“ nennen darf, wird die kleine Wohnung im dritten Stock in der Avenida Almirante Reis in Lissabon ein Stück Zuhause sein. 

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