22. Juli 2019
…und das ist gut so. Die italienische Kultur hat meines Erachtens nach sehr viele Parallelen zum Leben auf dem Dorf. Ein Fazit nach fast einem Jahr in Italien.
Die Nachbarn und Nachbarinnen
Egal in welchen Städten ich in Deutschland gewohnt habe: meine Nachbarn habe ich vielleicht einmal im Hausflur getroffen, man grüßt sich, aber meistens bleibt es genau dabei. Selbst in den kleineren Städten hatte ich bis auf ein paar kleine Ausnahmen selten irgendeine Beziehung zu den Bewohnern im Haus. Hier ist das anders: alle meine Nachbarn und Nachbarinnen kennen mich. Mit der Oma unter meiner Wohnung quatsche ich regelmäßig. Wir sehen uns fast täglich wenn wir beide zeitgleich auf unseren Balkonen sitzen, im Hausflur oder auf der Straße auf dem Weg zum Supermarkt. Ihre Tochter, die etwa im Alter meiner Eltern ist, wohnt im selben Haus. Wir drei haben einen regen Austausch an Lebensmitteln: ein paar Stücke Kuchen hier, ein paar frische Aprikosen da, manchmal sind es auch nur italienische Süßigkeiten, die auf dem zurückgebrachten Teller liegen. Wenn gerade Zeit ist, wird man mit dem mitgebrachten Kuchen auch mal zum Kaffee eingeladen oder man trifft sich beim morgendlichen Blumengießen im Garten. Auch mit meinen Nachbarn von Gegenüber stehe ich in regem Austausch. Diese haben Blick auf meinen Garten und Balkon und beglückwünschen mich dann zu neuen Blumen, Kräutern oder Gemüse und beraten mich dann, was ich anders machen soll. Wenn ich morgens auf dem Balkon Kaffee trinke, winkt man sich zu oder ruft sich über den Garten hinweg ein freundliches „Buongiorno“ zu.
Fachgeschäfte statt Einkaufshäuser
Nach meinem subjektiven Empfinden lebt hier anstatt Online-Handel und großen Einkaufshäusern noch der Fachhandel. Das mag in größeren Städten wie Mailand oder Rom anders sein, aber selbst in Kleinstädten in Deutschland wäre mir das bisher nie so aufgefallen. Hier gibt es einen Gaskartuschen-Laden, ein Geschäft für Eisenwaren, einen Laden nur für Partyzubehör, zahlreiche Obst- und Gemüseläden und unzählige kleine Schneidereien. Auf Nachfrage, wo ich jeweils etwas sehr Spezielles wie Schrauben für ein Snowboard bekommen würde, habe ich nie „amazon“ sondern zahlreiche andere Empfehlungen bekommen. Auch die Läden selbst, die dann das gewünschte Teil doch nicht hatten, habe ich mit fünf weiteren Empfehlungen im Umkreis von 100 Metern verlassen.
Smalltalk immer
Egal. wo. ich. hingehe. Der Bäcker, im Restaurant, im Bus, auf dem Berg. Man trifft Menschen und anstatt stur Waren auszutauschen oder stur aneinander vorbeizugehen verwickelt man sich ständig in ein Gespräch. Sei es nur ein kurzes „Ihre Brötchen sehen aber sehr lecker aus“ oder ein „ich studiere hier und dieser Käse schmeckt so lecker ich liebe Italien…“. In der Regel tauscht man sich immer kurz aus. Das führt bei regelmäßigen Einkäufen dazu, dass die Menschen einen nach und nach sehr gut kennen lernen und dazu, dass ich meine Beziehung zur Schneiderin, zum Käsemann, zum Kellner in meinem Lieblingsrestaurant und zum sizilianischen Obstverkäufer als sehr eng empfinde. Ihr seht schon, Essen ist hier meine absolute Priorität.
Zusammen statt Allein
Manchmal sind es nur die kleinen Gesten: wenn meine Nachbarin mich von Weitem auf der Straße laufen sieht und gerade das Haus verlassen hat, läuft sie nochmal zurück und schließt mir die Tür auf, damit ich den Schlüssel nicht herausholen muss. Oft ist es aber mehr als das: egal ob Leute einen kennen oder nicht, man bekommt häufig etwas einfach so. Die Vorspeise aufs Haus, immer ein Wasser zum Kaffee, die mitgebrachte Flasche aufgefüllt, den Knopf bei der Schneiderin angenäht, auf einem Segelboot mitfahren, das Stand-Up Paddle ausgeliehen, den Reifen aufgepumpt… Ich könnte ewig so weiter machen, denn hier in Italien bekomme ich ohne zu fragen sehr oft etwas geschenkt. Gleichzeitig ist man dann auch mehr bereit, selbst etwas zu verleihen oder herzugeben.
Reparieren
Womit wir beim nächsten Punkt wären: wann habt ihr das letzte Mal noch am selben Tag einen Handwerker oder eine Handwerkerin ins Haus bekommen? Hier hatte ich von Anfang an den Handwerker meines Vertrauens (ein Freund meiner Vermieterin, man kann es Vetternwirtschaft nennen oder auch nicht). Die Waschmaschine läuft aus – er besorgt das Ersatzteil innerhalb eines Tages (Fachgeschäft vor Ort!) und tauscht es dann sofort aus. Ihr habt keine Bohrmaschine aber müsst etwas anbringen? Ich rufe den Handwerker meines Vertrauens an und er bringt nicht nur die Bohrmaschine vorbei sondern bohrt auch noch.